Wie die FPÖ mit allen Mitteln um die Stimmen der Wiener Türken buhlt
Von Daniela Breščaković und Nina Brnada
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Die Szene scheint nicht ungewöhnlich. Wiens FPÖ-Klubobmann Maximilian Krauss reicht einem älteren Herrn einen Teller mit Würsteln und Semmel. Der blaue Parteifunktionär Leo Lugner steht daneben mit Bierflasche in der Hand. Beide lächeln für das Social-Media-Foto. Es ist nicht das Bild, das dieses Posting außergewöhnlich macht, sondern der dazugehörende Text – er ist in türkischer Sprache gehalten: „Die Anzahl der Wiener Türken, die die FPÖ unterstützen, steigt von Tag zu Tag“, steht da geschrieben. Und: „Eigentlich sollte Sie das gar nicht überraschen!“
Ausgerechnet die FPÖ, jene Partei, die seit Jahren gegen Muslime und türkische Vereine wettert, präsentiert sich als neue politische Heimat der türkischstämmigen Wienerinnen und Wiener. Viele Jahre war es die Wiener Sozialdemokratie, die Stimmen der Türkischstämmigen auf sich vereinte und aktiv um sie warb. Nun aber hat sie mit der FPÖ Konkurrenz bekommen: Plötzlich tauchen blaue Parteifunktionäre in türkischen Moscheevereinen auf, um während des Fastenmonats Ramadan am Iftar, dem Fastenbrechen, teilzunehmen; zum ersten Mal stellt die FPÖ Wien mit dem weitestgehend unbekannten Goldhändler Memo Özay einen türkischstämmigen Kandidaten auf. So mancher aus der Community sieht Bestrebungen der FPÖ, aus den „Türken die neuen Serben“ zu machen – auch eine Gruppe, bei der die FPÖ ihre historische Feindschaft in eine politische Freundschaft umgewandelt hat.
Längst hat die Gruppe der Migrantinnen und Migranten mit österreichischem Pass und damit Wahlrecht eine kritische Größe erreicht. Laut Statistik Austria ist eine halbe Million österreichischer Staatsbürger im Ausland geboren, in Wien sind es an die 200.000 – das ist mehr als Floridsdorf, der drittgrößte Bezirk der Stadt, Einwohner hat. Nahezu 30.000 davon wurden in der Türkei geboren. Das macht sie zur größten Gruppe der Eingebürgerten in der Bundeshauptstadt und auch deshalb interessant für die Parteien. Zwar leben in Wien mehr Serben als Türken, es sind dennoch weniger eingebürgert. Die Türkeistämmigen sind auch aus einem anderen Grund ein dankbares Publikum: Sie sind organisierter als andere Migrantengruppen, regelrecht „Vereinsmeier“ – eine Reminiszenz, die sich gleich aus zwei verschiedenen Richtungen speist: Zum einen haben Linke aus der Türkei ihre Aktivitäten stark über Vereine organisiert, ebenso aber waren Moscheenvereine quasi eine Notwendigkeit für Gastarbeiter, denn wo sollten sie auch sonst beten, erklärt Migrationsexperte Kenan Güngör. Mit der Zeit sind aus diesen Vereinen wichtige politische Faktoren geworden, über die auch die österreichischen Parteien versuchen, Einfluss zu nehmen. Bisher war das vor allem eine Spezialität der SPÖ Wien.
Schlacht um die Stimmen
Bei der letzten Wien-Wahl 2020 hatte die türkischstämmige SPÖ-Kandidatin Aslıhan Bozatemur vom Listenplatz 30 aus dem Stand 3571 Vorzugsstimmen bekommen – mehr erreichten nur Wiens SPÖ-Sozialstadtrat Peter Hacker und Michael Ludwig selbst. Bürgermeister Ludwig attestiert Bozatemur eine „Brückenfunktion“ zur türkischen Community; ihren Einzug in den Gemeinderat soll sie jedoch auch der – zumindest indirekten – Unterstützung der Union Internationaler Demokraten (UID) verdanken, einer Organisation, die als Lobbyorganisation des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei AKP in Europa fungiert und hier auch seine Auslandswahlkämpfe orchestriert, profil berichtete.
So unbekannt Aslıhan Bozatemur für die breite Öffentlichkeit auch ist – seit Jahren schlägt sie Interviews mit deutschsprachigen Medien aus, so auch diesmal –, so machtbewusst soll sie innerhalb der türkischen Community agieren. Hakan Gördu, Obmann der SÖZ und somit politischer Konkurrent, erhob im März 2024 den Vorwurf, Bozatemur würde die schlechte wirtschaftliche Stellung türkischsprachiger Medien in Österreich ausnutzen, um sie mit Inseraten für sie einzunehmen. Die rote Wiener Gemeinderätin Bozatemur soll sie dazu gedrängt haben, exklusiv über sie, die SPÖ und etwa die SP-Fraktion in der Arbeiterkammer (AK) zu berichten. „Sie ruft aktiv an und tadelt die Leute, die es wagten, über jemand anderen zu berichten“, schrieb Gördu in seinem Posting. Bozatemur klagte Gördu wegen Kreditschädigung und Ehrenbeleidigung. Im Verfahren, das noch anhängig ist, sagt Bozatemur zwar, dass sie durchaus als Ratgeberin herangezogen wird von ihrer Partei und etwa der sozialdemokratischen Fraktion in der Arbeiterkammer, sie habe jedoch nie Exklusivität verlangt, das hätten manche Medien von sich aus angeboten, aus Sympathien gegenüber der SPÖ. Dem widersprechen zwei Zeugen vor Gericht, beides türkische Medienschaffende in Wien, beide hätten Angebote bekommen, mit Frau Bozatemur exklusiv zu arbeiten.
Die Anzahl der Wiener Türken, die die FPÖ unterstützen, steigt von Tag zu Tag.
Satz aus FPÖ-Inserat im türkischen Medium „Avusturya Gündemi“
In diesem Teich will nun auch die FPÖ fischen. Am Donnerstag fand im FPÖ-Klub im Wiener Rathaus eine Pressekonferenz statt, allerdings nur für türkische Medienvertreter. profil durfte daran nicht teilnehmen. Die FPÖ Wien hält gegenüber profil fest, es habe am Mittwoch „keine Pressekonferenz gegeben, sondern eine Anfrage türkischer Medien für ein Interview, die positiv beantwortet wurde“. profil sei zu diesem Termin nicht eingeladen gewesen, daher hätte es auch nicht ausgeladen werden können. Es sei ein normaler Vorgang, zu Interviewterminen keine weiteren Medien hinzuzuziehen. Dies sei profil von FPÖ-Klubobmann Krauss am Vortag auch zur Kenntnis gebracht worden. Am Mittwoch ist profil noch von Güray Kaan Aras, ein Wiener Gastronom und Berater, der die Medienvertreter am Donnerstag im FPÖ-Klub in Empfang nahm, die Teilnahme an der Pressekonferenz telefonisch bestätigt worden. Weiters geht aus einer Chatnachricht hervor, die am Mittwoch um 17.32 Uhr an die türkischen Medienvertreter verschickt wurde, dass es sich bei dem Termin, der zuerst als Iftar-Einladung gedacht war und dann geändert wurde, um eine Pressekonferenz handelt (siehe Foto). Übersetzt bedeutet das:„Mit Bedauern möchten wir mitteilen, dass wir die Iftar-Einladung aufgrund eines Termins von Dominik Nepp absagen müssen. Um 15 Uhr findet im Rathaus eine Pressekonferenz statt. Liebe Grüße.“
Der Medientermin soll auf Auftrag von FPÖ-Spitzenkandidat Dominik Nepp erfolgt sein. Eine Anfrage von profil ließ er bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Nepp ist nicht der Einzige, der um die Gunst türkischstämmiger Wähler wirbt: Vergangenes Wochenende wurde Leo Lugner auf einem Fest des Erdoğan-nahen Atib-Vereins in Wien gesichtet, wie profil berichtete. Umgekehrt lädt am 23. März derselbe Verein zum Fastenbrechen in die Lugner City. Seit Jahren wurde die Atib, der größte Moscheenverein in Österreich, von der FPÖ als Hort des politischen Islam bezeichnet, als Erdoğans verlängerter Arm. Es dürfte den Türkeistämmigen in Österreich, die mehrheitlich Muslime sind, nicht entgangen sein, dass die FPÖ ein Verbot der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) forderte und zuletzt im Oktober die Aberkennung ihres Status als Glaubensgemeinschaft verlangte. Nichtsdestotrotz war vergangene Woche eine Einladung zum Fastenbrechen im Umlauf, bei der neben Leo Lugner auch Maximilian Krauss und Dominik Nepp als Gäste angekündigt wurden. Genauso kurzfristig wurde das Ganze wieder abgesagt, zuerst aus terminlichen Gründen von Nepp. Später gaben sowohl Krauss als auch Nepp an, nichts von einem derartigen Termin gewusst zu haben. Wie passt das alles zusammen?
Es ist eine weitere Transformierung der Rechten, sagt Migrationsexperte Kenan Güngör: „Schon mal haben die Rechtspopulisten ihren Antisemitismus scheinbar abgelegt, sich mit anderen Nationalisten zusammengetan, es gab eine Internationalisierung der Ultranationalisten, die einst gegeneinander agierten.“ Die noch zaghafte, aber spürbare Öffnung der FPÖ zu den Türkeistämmigen sei ein weiterer Schritt: „Die allgemeine Ausländerfeindlichkeit ist übergegangen in Islamfeindlichkeit und wurde nun erweitert um Flüchtlingsfeindlichkeit gegen Menschen aus Syrien und Afghanistan.“ Die Türkeistämmigen, die ständigen Außenseiter, haben durch die neuen Zuwanderer einen Statusgewinn, sagt Güngör. Sie sind jetzt „etablierte Außenseiter“, so Güngör.
Daham im Islam
Die Islamkritik wird hintangestellt zugunsten der gemeinsamen traditionellen Weltanschauung. Homophobe Aussagen und konservative Werte werden in den Vordergrund gestellt, die sich hauptsächlich an türkische Eltern richten sollen. Im Lauf der vergangenen Woche tauchten mehrere bezahlte Beiträge auf den Portalen „Avusturya Gündemi“ und „SN Media“ auf. Darin heißt es übersetzt: „Für Wähler mit türkischen Wurzeln, die Kinder in Wiener Schulen haben, ist die FPÖ mittlerweile die einzige Hoffnung! Denn sie ist die einzige Partei, die sich klar gegen die ‚LGBT-Propaganda‘ positioniert. Viele Eltern sind äußert besorgt über die Erzählungen ihrer Kinder über Lehrer, die Homosexualität in den Schulen loben. Für muslimische Eltern ist das völlig inakzeptabel – und die FPÖ ist die einzige Partei, die sich gegen diese Entwicklung stellt … Wen sollen türkische Eltern also sonst wählen?“
Ein weiterer Punkt: das Kopftuchverbot. Dazu heißt es: „Diejenigen, die der FPÖ ‚Muslimfeindlichkeit‘ vorwerfen, sehen nun, dass die Dreierkoalition in ihrem Regierungspaket ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren vorbereitet!“ Dass unter Blau-Schwarz ebenfalls ein Kopftuchverbot für Schülerinnen bis 14 geplant war, wird verschwiegen. Was die Sicherheit angeht, wolle die FPÖ gezielt gegen „kriminelle Banden und extremistische Gruppen“ vorgehen. Am Ende der Werbeanzeige wird noch einmal betont: „In den letzten zwölf Monaten haben türkischstämmige Österreicher keine negativen Erfahrungen mit der FPÖ gemacht.“ Doch wer steckt hinter dieser Anzeige?
Rechnung von Gastronom
Auf einer Rechnung, die profil vorliegt, steht der Name der Beraterfirma Kaer Consulting GmbH. Laut Firmenbuch gehört sie dem türkischen Gastronomen Güray Kaan Aras, der in Wien zwei bekannte Restaurants betreibt, eines im 1., das andere im 4. Bezirk, und am Donnerstag die türkischen Medienvertreter im FPÖ-Klub in Empfang nahm. Die Rechnung für die Veröffentlichung der Anzeige samt Fotos beläuft sich auf 4000 Euro. Auf Nachfrage bei Aras, warum ein Gastronom Werbung für die FPÖ auf türkischen Medienportalen schaltet, wollte er keine Stellungnahme abgeben. Auch die Wiener FPÖ-Politiker Maximilian Krauss und Dominik Nepp, die unter anderem auf den Fotos zu sehen sind, gaben an, von der Werbeschaltung nichts gewusst zu haben. Beide betonen, Aras nur als Gastronomen zu kennen – mehr nicht.
Als mögliche Verbindung zwischen den verschiedenen Akteuren kommt stattdessen ein anderer Name ins Spiel: Ozan Ceyhun, ein umtriebiger Zeitgenosse, einst linker Dissident, der nach dem Militärputsch in der Türkei 1980 per Haftbefehl gesucht wurde. Er ging nach Deutschland, war einst enger Freund des deutschen Grünpolitikers und ersten türkischstämmigen deutschen Ministers Cem Özdemir und saß selbst für die Grünen im EU-Parlament, ehe er zu den Sozialdemokraten überlief.
Schließlich wurde Ceyhun Berater des autoritären türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, er trat auch Erdoğans Partei AKP bei und ließ sich bei Wahlen aufstellen. 2020 wurde er zum türkischen Botschafter in Wien. Ceyhun, der seit August 2024 einen Nachfolger als Botschafter hat und selbst nicht erneut zum Botschafter für ein anderes Land ernannt wurde, pflegte während seiner Amtszeit Austausch mit dem Freiheitlichen Lager. Zahlreiche Bilder zeigen ihn mit FPÖ-Vertretern wie Dominik Nepp und Leo Lugner. Auf Nachfrage von profil bestreitet Ceyhun, sich für die aktuelle Annäherung zwischen der FPÖ und den türkischen Vereinen engagiert zu haben.
Doch die jüngsten Treffen, Inserate und Social-Media-Kampagnen deuten auf eine neue Strategie der FPÖ im Umgang mit türkischstämmigen Wählerinnen und Wählern hin.

Daniela Breščaković
ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.

Nina Brnada
Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.