Frage der Woche: Warum ein Verhältniswahlrecht?
Dass Wahlsysteme den Wahlausgang entscheidend beeinflussen, erscheint logisch. Dass jedoch ein und dieselbe Wahl, je nach Wahlrecht, stark unterschiedliche Ergebnisse produzieren kann, erscheint dann schon ungewöhnlicher. Doch genau das kommt mitunter vor, auch in westlichen Demokratien. Bestes Beispiel aus dem vergangenen Jahr ist die Präsidentschaftswahl in den USA. Hätten die US-Amerikaner etwa analog zur Bundespräsidentenwahl in Österreich ein Verhältniswahlrecht, hieße ihre Präsidentin jetzt Hillary Clinton. Der "POTUS" trägt jedoch den Namen Donald Trump und der Grund dafür ist ein komplexes Mehrheitswahlrecht.
Was bedeutet ein Verhältniswahlrecht?
Zwar findet am Sonntag keine Präsidentenwahl, sondern die Nationalratswahl statt, doch eines steht in Österreich – trotz unterschiedlicher gesetzlicher Grundlagen – fest: es wird nach Verhältniswahlrecht gewählt. Das bedeutet, dass jeder Wahlberechtigte in dem Wahlkreis, dem er zugeteilt ist, zur Urne schreitet und seine Stimme abgibt. Alle abgegebenen Stimmen werden ausgezählt und sowohl auf Regionalebenen, Landesebene und Bundesebene zusammengerechnet. Der absolute Wert an abgegebenen Stimmen für eine Liste wird im Verhältnis zu allen abgegebenen Stimmen gesehen, wodurch sich ein Prozentwert ergibt, der von uns als Wahlergebnis wahrgenommen wird.
Die Vier-Prozent-Hürde
Dass sich dieses Wahlergebnis nicht eins zu eins im Nationalrat widerspiegelt, hat einen einfachen Grund: die Vier-Prozent-Hürde. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Sperrklausel, die in Verhältniswahlsystemen üblich ist. Dadurch wird verhindert, dass das Parlament zu sehr zerstückelt wird und eventuell in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Sperrklauseln können unterschiedlich hoch angesetzt sein, werden sie nicht erreicht, bleibt man – im Regelfall – aus dem Parlament ausgeschlossen.
Die Ausnahme von der Regel ist das Erreichen eines Grundmandats, welches durch ein besonders gutes Ergebnis auf Regionalebene erlangt werden kann. Über ein solches Grundmandat kann also der Einzug in den Nationalrat geschafft werden, ohne dass die eigene Liste zwangsläufig die Vier-Prozent-Hürde überspringen muss. Praktisch ist das jedoch bedeutungslos, da es noch nie einer Liste gelungen ist, ein Grundmandat zu erreichen, ohne auch die Vier-Prozent-Hürde zu schaffen. Selbst Jörg Haider konnte dieses Kunststück 2006 nicht vollbringen, obwohl er in Kärnten ein Grundmandat nur sehr knapp verfehlte.
Realpolitisch bedeutet das österreichische Nationalratswahlsystem also, dass die Vier-Prozent-Hürde vorgibt, wer im Nationalrat mitgestalten kann und somit auch, wessen Wählerstimmen Gehör finden. Denn scheitert die eigene gewählte Liste an der Hürde, verfällt praktisch auch die eigene Stimme, die man dieser gegeben hat. Das Verfallen der eigenen Stimme ist jedoch ein Umstand, der in Mehrheitswahlsystemen noch ausgeprägter ist.
Was sind die Unterschiede zum Mehrheitswahlrecht?
Im Zuge eines Mehrheitswahlsystems werden Mandate direkt über Regionalwahlkreise vergeben. Jener Kandidat, der in einem solchen Wahlkreis die meisten Stimmen auf sich vereint, erhält das Mandat. Dadurch wird kein Verhältnis an Wählerstimmen repräsentiert, sondern faktisch nur die stärkste Fraktion. Alle anderen Stimmen verfallen.
Durch einen solchen Wahlmodus wurde also Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten, obwohl Hillary Clinton – wie im Übrigen auch Al Gore im Jahr 2000 – in absoluten Zahlen mehr Wählerstimmen auf sich vereinigen konnte.