Franz Schellhorn: Weihnachten mitten im Hochsommer
Wir Menschen sollten wissen, was wir wollen. Aber auch, was wir nicht wollen. Letzteres kriegen Österreichs Politiker derzeit richtig gut hin. Noch bevor das erste Wahlkampfprogramm eine Druckerei von innen gesehen hat, ist den meisten Parteichefs schon klar, mit wem sie nach der Wahl auf keinen Fall zusammenarbeiten wollen. Dabei spielen inhaltliche Gründe eine auffallend untergeordnete Rolle. So wollen SPÖ und NEOS keinesfalls mit der FPÖ koalieren, während die Grünen weder mit den Freiheitlichen noch mit der ÖVP „können“. Womit eine mögliche Dreierkoalition bestehend aus Volkspartei, NEOS und Grünen keine wirkliche Zukunft haben dürfte, auch wenn das in Salzburg nicht so schlecht zu funktionieren scheint.
Die SPÖ wiederum setzt alles auf eine höchst spekulative Option. Nämlich jene, dass Rot-Grün-NEOS von den Wählern mit einer Mehrheit ausgestattet wird. Das ist zwar möglich, aber aus heutiger Sicht nicht sehr wahrscheinlich. Natürlich wäre auch eine Neuauflage von Schwarz-Rot rein rechnerisch machbar, wollen dürfte das aber niemand. Am allerwenigsten die ÖVP, deren Vertreter die Ereignisse von Anfang Juni vermutlich noch länger nicht vergessen werden. Aus Sicht der Volkspartei ist nach Absage der Grünen eine neuerliche Zusammenarbeit mit der FPÖ die aussichtsreichste Variante – also ausgerechnet jene, die insbesondere die Grünen mit aller Kraft verhindern wollen. Diese Neuauflage hätte aber den Charme, dass die Oppositionsparteien nur auf die nächsten Ausrutscher warten müssten, statt die Modernisierung staatlicher Institutionen voranzutreiben und mitzutragen.
An dieser Erneuerung scheint aber ohnehin keine überschießende Nachfrage zu herrschen. Wer die politischen Debatten der vergangenen Wochen auch nur am Rande mitverfolgt hat, weiß doch längst, dass Österreich nicht an ineffizienten Strukturen krankt, sondern an einem viel zu schwach ausgebauten Sozialstaat. Deshalb werden vor der Wahl im September noch jede Menge sozialer Segnungen verabschiedet. Wie das Recht auf den Papamonat oder die außertourliche Erhöhung der Mindestpensionen, die ja bereits zu Beginn des Jahres angehoben wurden. Doch mehr Geld für Pensionisten macht sich immer gut, über zwei Millionen Rentner sind schließlich eine Wählergruppe, die bei Laune gehalten werden will.
Die Einnahmen aus der Lohnsteuer springen zwar von einem Rekord zum nächsten, aber für eine großflächige Steuersenkung findet sich keine parlamentarische Mehrheit.
Nicht zu vergessen die vielen freiwilligen Helfer, die tagtäglich mit vollem Einsatz das Werkel am Laufen halten und dem Staat damit Unsummen an Gehältern ersparen. Für Rettungsdienste oder Feuerwehren zum Beispiel. Fünf Tage Sonderurlaub und Lohnfortzahlung für die Zeit der Hilfseinsätze wurden mit den Stimmen von SPÖ und FPÖ beschlossen. Und ja, dann hätten wir natürlich noch das Pflegethema. Schon heute ist klar, dass die Kosten für die Pflege explosionsartig ansteigen werden. Wenn sich nichts ändert, wird demnächst ein Drittel des gesamten Bundesbudgets allein dafür aufgewendet werden müssen, um die Finanzierungslöcher im staatlichen Pensionssystem und in der Pflege stopfen zu können.
Und wie reagieren die Parlamentarier auf diese Aussichten? Sie erhöhen kurzerhand das Pflegegeld und koppeln selbiges an die Pensionen. Statt zuerst einmal darüber zu diskutieren, ob die Pflege der eigenen Angehörigen in die Zuständigkeit der Familie fällt oder doch eine Sache der Solidargemeinschaft ist. Ob die Bedürftigen besser zu Hause oder stationär gepflegt werden sollen. Ob die rasant steigenden Kosten am besten über eine Versicherungspflicht oder eine Pflichtversicherung in den Griff zu kriegen sind. Bevor all das auch nur ansatzweise geklärt wurde, haben die Nationalräte eine automatisierte Ausgabenerhöhung beschlossen: Steigen die Pensionen, steigt auch das Pflegegeld. Was das eine mit dem anderen zu tun haben könnte, weiß kein Mensch.
Was man aber weiß: In einem der bestausgestatteten Sozialstaaten, die es auf diesem Planeten zu finden gibt, sind neuen sozialen Segnungen keine finanziellen Grenzen gesetzt. Geld ist nicht das Thema. Nur für die kräftige Entlastung der hochbesteuerten Bürger dieses Landes reicht es nicht. Die Einnahmen aus der Lohnsteuer springen zwar von einem Rekord zum nächsten, aber für eine großflächige Steuersenkung findet sich keine parlamentarische Mehrheit. Schon gar nicht für die Abschaffung der Inflationssteuer (kalte Progression). Trotz der Einnahmenschwemme darf der Staat den Arbeitnehmern und Arbeitgebern das Geld ungeniert aus den Taschen ziehen.
Und was sagt die allseits umjubelte Expertenregierung unter der Führung von Brigitte Bierlein zu all dem? Nichts. Schweigen im Walde. Niemand, der auf die Notwendigkeit eines höheren gesetzlichen Pensionsantritts hinweisen würde oder Erleichterungen für die heimischen Steuerzahler einmahnte. Einzig Neo-Finanzminister Eduard Müller warnt immer öfter vor wahltaktisch motivierten Budgetexzessen.
Wir Menschen sollten eben nicht nur wissen, was wir wollen. Sondern auch, was wir nicht wollen.
Franz Schellhorn ist Direktor des Thinktanks Agenda Austria.