Frau Bürgermeisterin, warum gibt es nicht mehr wie Sie?
Von Iris Bonavida
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Franz und Hans sollen es bitte nicht persönlich nehmen, aber ihre Zeit scheint vorbei zu sein. Jahrelang galten sie als fixe Messgröße der österreichischen Kommunal-Statistik, als Symbol für fehlende Gleichstellung. Zumindest bis zum März 2023, als der Gemeindebund freudig verkündete: Erstmals gab es in den 2093 Gemeinden Österreichs mehr weibliche Bürgermeister als solche, die Franz oder Hans heißen. Mittlerweile sind elf Prozent der Ortschefs Frauen.
Was vergangenes Wochenende in einem Schweizer Konferenzsaal passierte, scheint statistisch also, gelinde gesagt, unmöglich. Die Bürgermeisterin von Dornbirn stand da in einer Menschentraube, als sich eine Frau vorsichtig näherte und fragte: „Sind Sie Andrea Kaufmann?“ Ja, das ist sie. „Freut mich, ich bin es auch.“ Gelächter, Jubel, ein Beweisfoto: In einem Raum voller Gemeindechefs hielten sich tatsächlich mehr Bürgermeisterinnen namens Andrea Kaufmann auf als männliche Bürgermeister. Adieu, Franz und Hans.
Die zweite Andrea Kaufmann ist Bürgermeisterin von Kerzers, einer 5500-Einwohner-Gemeinde in der Schweiz. Um sie zu treffen (und nicht nur sie) reiste eine Delegation aus Österreich bis nach Schaffhausen, eine hübsche Kleinstadt am Rhein. Zwei Tage lang kamen dort Bürgermeisterinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu einer überparteilichen Konferenz zusammen. Ihr Ziel war es, zwei drängende Fragen zu beantworten: Warum gibt es nur so wenige von uns? Und wie lässt sich das ändern?
Schon am Weg nach Schaffhausen, in einem Kleinbus, diskutiert die österreichische Runde darüber. Auch Franz und Hans drängen sich in die Unterhaltung. Die Namen sind schlicht nicht mehr so üblich, glaubt die Delegation, das sei sicher mit ein Grund, warum die Bürgermeisterinnen sie in der Statistik überholt haben. Denn Macht wird nach wie vor gerne von Männern ausgeübt, auch wenn sie heute anders heißen. Der geringe Frauenanteil in der Politik zieht sich durch alle Bereiche, bis hin ins Parlament. Derzeit sind zwar immerhin 40 Prozent der Nationalratsabgeordneten weiblich, aber nach der Wahl am 29. September droht der Anteil wieder zu sinken. Bald müssen die Fraktionen in allen Regionalwahlkreisen eine Reihung festlegen, und allzu oft wird sich ein Mann auf Platz eins finden, prophezeit die Runde. „Ich war schon in Sitzungen, in denen zuerst gesagt wurde, wir brauchen mehr Frauen, und als eine halbe Stunde später eine Funktion vergeben werden musste, war das vergessen“, erzählt eine Bürgermeisterin später. In Niederösterreich und Kärnten zeigte sich das zuletzt auch nach den Landtagswahlen. In St. Pölten sitzen 43 Männer (vier davon Franz) und 13 Frauen im Landtag, in Klagenfurt 30 Männer (ein Franz-Josef) und sechs Frauen.
Es ist also kein exklusives Problem der Kommunalebene, vor allem ist es kein rein österreichisches Problem. In Deutschland sind nur knapp zehn Prozent der Bürgermeister weiblich, es sei denn, es geht um eine Funktion mit weniger Prestige und Entgelt: Bei den sogenannten ehrenamtlichen Bürgermeistern macht der Frauenanteil 19 Prozent aus. Manche Gemeinden waren auf ihre erste Chefin auch gar nicht vorbereitet, das zeigte sich bei den scheinbar banalsten Dingen: Im niedersächsischen Pattensen ordnet eine Satzung aus dem Jahr 1853 einen strikten Dresscode für den Bürgermeister am Schützenfest an: Frack, Zylinder, weiße Handschuhe und Bürgermeisterkette. „Als ich gewählt wurde, war eine der häufigsten Fragen, was ich bei der Eröffnung anziehe“, erzählt Ramona Schumann. Sie begründete ihre eigene Tradition – mit Kleid und buntem Hut.
Kathrin Stainer-Hämmerle, Politologin und Professorin an der FH Kärnten, reiste mit mindestens einem Lösungsvorschlag im Gepäck nach Schaffhausen mit: Schon allein das Bewusstsein, dass es zu wenige Frauen in den Gemeinden gibt, wäre ein erster Schritt. Diese Botschaft ging weniger an ihre Zuhörerinnen in der Schweiz als an die Männer in den Kommunen, inklusive Franz und Hans. Stainer-Hämmerle hatte für eine Studie die Bürgermeister, Bürgermeisterinnen und Vizebürgermeisterinnen Österreichs befragt, ob es genügend Frauen in der Gemeindepolitik gibt. 42 Prozent der Männer antworteten mit ja.
Männer finden, Frauen interessieren sich nicht
Dass es nicht mehr Bürgermeisterinnen gibt, argumentierten Frauen wie Männer vor allem mit der schwierigen Vereinbarkeit von Amt und Familienleben. Auf Platz zwei der meistgenannten Gründe zeigten sich dann große Unterschiede. 57 Prozent der Männer gaben mangelndes Interesse der Frauen an, Frauen hingegen fehlendes Selbstvertrauen und eine männlich geprägte Parteikultur.
Auf eine klare Lösung, die sich sofort umsetzen ließe, konnten sich die Bürgermeisterinnen auf der Schaffhausener Konferenz nicht einigen. Wie denn auch? Erstens müssten sie das mit den Männern an der Macht klären. Und zweitens, sagt Kathrin Stainer-Hämmerle, „trennen Frauen ja auch unterschiedliche politische Ansichten“. Wer Frauen fördern will, tut das nicht mit einer einheitlichen Frauenpartei, sondern quer durch alle bestehenden Organisationen. Die Ortschefinnen wünschen sich aber, ganz unabhängig vom Geschlecht, eine bessere soziale Absicherung für die Kommunalpolitik in allen Bundesländern. Manche sprechen sich auch für Karenzregelungen aus; für Männer und Frauen.
Die erste Bürgermeisterin zu stellen, sei noch keine Lösung, sagt Stainer-Hämmerle. Es brauche auch die zweite, dritte, vierte Frau im Amt. Beinahe jede zweite von ihr befragte Vizebürgermeisterin wollte aber nicht in der ersten Reihe stehen. Nur knapp 28 Prozent gaben an, Bürgermeisterin werden zu wollen.
Im Gastgeberland, der Schweiz, haben Frauen übrigens erst seit 1971 das Wahlrecht. Dafür wirkt der Bürgermeisterinnen-Anteil von 15 Prozent schon richtig hoch. Andererseits: Ein Mitglied des Schweizer Ständerats erzählt, dass noch im Jahr 2018 mehr Männer mit dem Namen Hans Gesetze mitbeschlossen hatten als Frauen insgesamt. Aber auch diese Zeit ist, langsam, vorbei.
Vier von elf Prozent: Bürgermeisterinnen im Wortlaut
„Ich habe Führungsqualität, und der Job ist wunderbar“
Maria Knauder, St. Andrä (Kärnten), Bürgermeisterin seit 2020, SPÖ
Ich habe mit der Entscheidung, Bürgermeisterin zu werden, nie gehadert. Manche Frauen sagen, dass sie in das Amt hineingestolpert sind oder gedrängt wurden. Das ist sicher manchmal so – aber es klingt fast danach, als müsste man sich entschuldigen, wenn man so wie ich sagt: Ich wollte es machen, ich habe Führungsqualität, und der Job ist wunderbar.
Dass ich eine Frau bin, hat von Anfang an einen Unterschied gemacht. Bei der Bürgermeister-Direktwahl lag ich mit 49 Prozent knapp unter der absoluten Mehrheit. Etliche meiner Parteikollegen haben gesagt, dass sie keine Frau wählen. Wäre ich ein Mann, hätte ich es sofort geschafft. Jetzt merke ich allerdings schon, dass ich akzeptiert werde.
Vor meiner politischen Karriere war ich 40 Jahre lang recht unpolitisch. Als mich der damalige Bürgermeister aber gefragt hat, ob ich in die Kommunalpolitik möchte, hab ich mir eine Bedenkzeit erbeten und dann zugesagt. Als Intensivkrankenschwester bin ich gerne für andere da. Und ich habe mehrere Kurse gemacht, zum Beispiel den überparteilichen Frauenpolitik-Kurs des Landes Kärnten.
Das Rollenbild von Männern und Frauen wandelt sich langsam. Ohne Quote würden wir in der SPÖ aber nicht dort sein, wo wir sind. Je mehr Macht hinter einer Funktion steckt, desto mehr Männer drängen darauf.
Bei uns in der Gemeinde verdient die Männer-Fußballmannschaft fürs Training und für die Spiele. Das Frauenfußball-Team muss alles selbst bezahlen. Da freut es mich, dass ich sie mit einem Dress unterstützen kann.
© bonavida
„San’s schwanger?“ Bernadette Geieregger, Kaltenleutgeben (Niederösterreich), Bürgermeisterin seit 2020, ÖVP
„Wenn ich nichts trinke, heißt es gleich: San’s schwanger?“
Bernadette Geieregger, Kaltenleutgeben (Niederösterreich), Bürgermeisterin seit 2020, ÖVP
Bürgermeisterin war kein Kindheitstraum von mir, ich habe mich eigentlich nach dem Studium in der Privatwirtschaft gesehen. Aber dann kam ein Brief von einem Bekannten aus der Gemeinde, der einen Beachvolleyball-Platz errichten wollte. Ich fand es cool, mitreden zu können. Ich wurde dann geschäftsführende Gemeinderätin für Familie und Gesundheit, 2016 Landesgeschäftsführerin der Jungen ÖVP. Und es hat sich herauskristallisiert, dass ich besonders viel Engagement zeige. Als Fraktion haben wir dann später beschlossen, uns zu trauen, bei der Wahl 2020 mit einer jungen Frau ins Rennen zu gehen.
Ich bin so etwas wie ein doppelter Alien, weil ich jung und eine Frau bin. Dass man eine gewisse Skepsis hat, wenn eine 27-Jährige Bürgermeisterin werden will, verstehe ich auch. Jetzt sehen die Leute, dass ich es kann.
Nächstes Jahr haben wir wieder Gemeinderatswahlen, und ich bin dabei, Frauen zu rekrutieren. Das Erste, was mir jede Frau sagt, ist: Ich kann das ja nicht. Dabei kann es am Anfang niemand, alle müssen es lernen. Bei Frauen ist das fehlende Selbstvertrauen systematisch. Das ist zwar kein Schalter, den man einfach umlegen kann, aber hier müsste man dringend ansetzen.
Natürlich ist das Amt nicht für jeden etwas. Das Privatleben ist zum Beispiel immer ein großes Thema, das ist manchmal hart. Ich bin seit drei Jahren verheiratet und weiß gar nicht, wie oft schon angenommen wurde, dass ich schwanger bin. Ich bin öfter bei Feiern zu Goldenen Hochzeiten oder Ähnlichem, und wenn ich da einmal nichts trinke, heißt es gleich: „San S’ schwanger?“
Mir ist aber auch wichtig, andere zu motivieren und das Positive anzusprechen: Es ist wirklich eine tolle Aufgabe, bei der man viel gestalten kann.
„Ich hab geantwortet: Glaubst du, ich habe studiert, um zu diskutieren, ob der Kanaldeckel scheppert?“
Kerstin Suchan-Mayr, St. Valentin (Niederösterreich), Bürgermeisterin seit 2010, SPÖ
Ich bin Bürgermeisterin geworden, als mein Vorgänger verstorben ist. Mein Ziel war das Amt nicht. Mein Vorvorgänger hat mich einmal danach gefragt, und ich hab ihm geantwortet: Glaubst du, ich habe studiert, um zu diskutieren, ob der Kanaldeckel scheppert? Ich war aber schon viele Jahre Gemeinderätin, später Stadträtin und war für Jugend, Familien und Frauen zuständig. Als Soziologin und Kindergartenpädagogin war das genau mein Ding. 2009 wurde mein Vorgänger Bürgermeister und ich seine Vize. Er wäre sicher noch die nächsten 25 Jahre im Amt geblieben, aber dann kam die Diagnose Magenkrebs. Niemand wollte es wahrhaben, wir haben noch die Flyer für seine Wiederwahl gedruckt. Im Jänner ist er verstorben, im März war die Gemeinderatswahl. Es gab keine Zeit mehr, darüber zu diskutieren, ob es wer anderer machen will.
2012 ist mein Kind Martin zur Welt gekommen. Für mich wäre eine Karenz kein Thema gewesen, weil die Schwangerschaft und der Martin unkompliziert waren. Aber wenn etwas nicht so läuft wie geplant, ist es sicher eine andere Situation. Karenzzeiten müssen für Bürgermeister klarer geregelt sein, für Männer und Frauen im Amt.
Ich bin auf meinem politischen Weg von Männern immer gefördert worden. Als ich in die Politik eingestiegen bin, gab es wenige andere Frauen, heute haben wir einen Frauenanteil von 45 Prozent im Gemeinderat. Einmal war ich in einem Seminar, bei dem Frauen erzählt haben, wie schlecht sie von männlichen Gemeinderatskollegen behandelt werden. Bei mir war es zum Glück anders. Es braucht aber eine Verpflichtung zur Frauenquote. Männer haben sich über Jahrhunderte Strukturen erarbeitet, in die wir uns über die letzten Jahrzehnte erst hineinkämpfen mussten.
„Ich brenne für Adlwang“
Maria Achathaler, Adlwang (Oberösterreich), 2021, ÖVP
Vier Mal wurde ich von meinem Vorgänger gefragt, ob ich in die Politik einsteigen möchte. Ich habe gezweifelt, ob ich wirklich geeignet bin. Mein fachlicher Schwerpunkt lag im Sozialbereich, nicht bei den Finanzen. Dann habe ich aber die Gesunde Gemeinde geleitet, ein Projekt zur Gesundheitsförderung, und mir das Know-how angeeignet. Ich wurde Vizebürgermeisterin und war für Generationen, Schule, Sport und Kindergarten verantwortlich – und bin total darin aufgegangen, das hat mir getaugt.
Ich habe mir als Frau schon öfter anhören müssen, „do wirst di schon noch anschauen“. Ein Mann hat es wohl leichter und macht sich vielleicht weniger Gedanken. Ich möchte immer eine Win-win-Situation erreichen, aber das ist eben nicht jedes Mal möglich. Wir müssen wie viele andere Gemeinden finanziell auf Sparflamme fahren, auch der Bau unserer Volksschule ist eine große Herausforderung.
Ich bin die erste Bürgermeisterin hier und wirklich stolz darauf, ich brenne für Adlwang. Wir haben mit unserer Fraktionsobfrau ausgemacht: Wenn eine Gemeinderätin einmal keine Zeit hat, gibt es eine Ersatzgemeinderätin, die sie vertritt. So wird der Platz nicht von einem Mann eingenommen und eine gewisse Frauenquote im Gemeinderat ist gesichert.
Wichtig ist es auch, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit junge Politikerinnen und Politiker leichter Fuß fassen. Mir gefällt das Schweizer Modell, das bei einer Abwahl für eine gewisse Zeit eine Art Versicherung oder Politpension für Bürgermeister vorsieht.
Die Reise nach Schaffhausen fand auf Einladung des Österreichischen Gemeindebundes statt.
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.