Plakat der Frauenbewegung zum Frauentag am 8. März 1914

"Weiber, Kinder, Narren": 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich

In manchen Ländern verlief der Kampf um das Frauenwahlrecht radikaler, in manchen schneller - nirgendwo aber widersprüchlicher als in Österreich.

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Es war ein Ereignis, das man heutzutage als medialen Coup bezeichnen würde: Beim gesellschaftlichen Event des Jahres, dem Pferderennen Epsom Derby, suchte die Aktivistin Emily Wilding Davison die perfekte Stelle vor den Kameras der Wochenschau. Dann warf sie sich vor das Rennpferd von König George V., wurde niedergetrampelt und starb wenig später. Davisons öffentlicher Tod am 4. Juni 1913 grub sich tief ins öffentliche Bewusstsein ein, die Suffragetten-Bewegung wusste die Macht des neuen Mediums Kino zu nutzen. Die Aktion war eine der spektakulärsten der radikalen Engländerinnen, die um das Frauenwahlrecht kämpften.

In Österreich fand die Auseinandersetzung zur selben Zeit statt, wenn auch deutlich friedvoller, dafür umso widersprüchlicher: Die Sozialdemokratie hielt das Männerwahlrecht für ihr Ziel-1-Gebiet, auch weil man fürchtete, dass Frauen konservativ wählen würden. Antisemiten wie Wiens Bürgermeister Karl Lueger argumentierten, dass "auf eine Christin zehn Jüdinnen kommen" und "christliche Frauen auf ein Wahlrecht verzichten". Gutbürgerliche Frauen engagierten sich erst vehement für das Wahlrecht, als Großgrundbesitzerinnen es verloren und legten Wert auf Abgrenzung von "rohen Arbeiterinnen".

Der Konflikt ging auf die Geburtsstunde der politisierten Frauenbewegung, die "Praterschlacht" am 21. August 1848, zurück: Tausende protestierten im Wiener Prater gegen die Senkung der Tageslöhne. "Besonders die Weibsbilder benahmen sich wie Furien", zitiert die Historikerin Gabriella Hauch Zeitzeugen. Die kaiserliche Nationalgarde schlug den Protest brutal nieder. Eine Woche später gründete Freifrau Karoline von Perin-Gradenstein den "Demokratischen Frauenverein"; die Gründungsversammlung begann um zehn Uhr vormittags, ein Zeitpunkt, den Arbeiterinnen als Provokation empfanden.

"Wollte man die Weiber zulassen ..."

Die Männer dagegen waren sich einig. Im Vereinsrecht wurde 1849 explizit festgehalten, dass Frauen sich nicht politisch organisieren durften. Und den Forderungen nach Mitbestimmung von Frauen wurde untergriffig eine Absage erteilt: "Wollte man die Weiber zulassen, weil sie an den Staatslasten Theil nehmen, so müßte man aus gleichem Grunde auch die Kinder und Narren zulassen", höhnte der Abgeordnete Rudolf Brestel, ein Liberaler und Universitätsprofessor.

Das brüske Njet galt aber nicht für alle, kurioserweise durften manche Frauen ab 1849 wählen - auf Umwegen. Ganz spurlos war das Revolutionsjahr 1848 nicht an Österreich vorbeigezogen; der Kaiser herrschte nicht mehr absolut, sondern gewährte schrittweise eingeschränkte Wahlrechte in "Kurien": das "Intelligenzwahlrecht" für Staatsbeamte oder Akademiker und den "Zensus" für Großgrundbesitzer und Großsteuerzahler, unterschiedlich je nach Kronland und Gemeinde. Überall schlug der Faktor Wohlstand den Faktor Geschlecht: Frauen durften prinzipiell nicht wählen außer sie waren reich und besaßen große Latifundien. Der Widerspruch führte zu kniffligen Konflikten: Teils war Frauen das Betreten des Wahllokals verboten, teils gaben Bevollmächtigte ihre Stimme ab, teils wurden Frauenstimmen überhaupt nicht angenommen. 1888 wollte Niederösterreich das Chaos beenden und verfügte, auch wohlsituierten Frauen das Wahlrecht zum Landtag zu entziehen - mit dem Ergebnis, dass die adeligen und großbürgerlichen Frauen für ihr Wahlrecht zu kämpfen begannen. Es war ein Rückzugsgefecht: Als die erstarkende Sozialdemokratie dem Kaiser abtrotzte, dass 1907 alle Männer, unabhängig von Besitz und Bildung, wählen durften und jede Stimme gleich viel zählte, verlor paradoxerweise auch die kleine Gruppe privilegierter Frauen ihr Wahlrecht.

Derlei Wohlstandsprobleme kümmerten die Arbeiterbewegung wenig. Heftig umstritten war aber, wie wichtig sie Frauenanliegen nehmen sollte. August Bebel, der Theoretiker und Mitbegründer der deutschen Sozialdemokratie, erklärte 1879 in seinem Standardwerk "Die Frau und der Sozialismus" Gleichberechtigung zwar für wichtig, aber zum "Nebenwiderspruch": Davor müsse der Hauptwiderspruch, die Klassengesellschaft des Kapitalismus, überwunden werden. Getreu diesem Ja-aber-Motto nahm die SP zwar im Jahr 1892 die Forderung nach dem Frauenstimmrecht theoretisch in ihr Programm auf, in der Praxis erklärte Parteivorsitzender Victor Adler aber den Einsatz für das Frauenwahlrecht zur "politischen Torheit":"Wir müssen alle Kräfte auf die ( ) Erkämpfung des Wahlrechts für Männer konzentrieren."

Erster Frauentag 1911

Die Genossinnen murrten und fügten sich. Erst ab dem Jahr 1907, als das allgemeine Männerwahlrecht durchgesetzt war, machten sie zusehends Druck, ebenfalls wählen zu dürfen. Mit Slogans wie "Heraus mit dem Frauenwahlrecht" und "Gleiches Recht für Mann und Weib" riefen sie zu einer Massendemonstration auf, an der am ersten Frauentag im März 1911 über 20.000 Männer und Frauen teilnahmen. Schließlich gelang auch der Schulterschluss mit der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung, etwa 1913 bei der Frauenstimmrechtskonferenz. Kleine Unterschiede blieben: Während Arbeiterinnen auf der Straße marschierten, wurden die Damen zur Stadtrundfahrt gebeten - und konnten zwischen Fiakern und Automobilen wählen. Neben den Klassenunterschieden tat sich im zerfallenden Vielvölkerstaat noch eine Bruchlinie auf - die nationale: Die Tschechinnen boykottierten die Frauenstimmrechtskonferenz. Der Grund: Deutsch als Konferenzsprache.

Da war die Monarchie schon fast am Ende und der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Frauen werkten massenhaft in der industriellen Produktion - ein neues Rollenbild, das der Wahlrechtsbewegung einen Zusatzschub versetzte, neben der utopischen Hoffnung, dass "Fraueneinfluss es nie dulden würde, dass in der Politik mit der Möglichkeit des Krieges gerechnet wird", wie die Frauenrechtlerin und Friedensaktivistin Olga Misař es formulierte. Das sollte sich zwar spätestens mit Politikerinnen wie Margaret Thatcher als heilloser Unfug erweisen, ebenso wie irrationale Ängste über "politische Mannweiber" ("Grazer Volksblatt").

Wahlrecht kam mit Erster Republik

Bis zuletzt graute den Deutschnationalen davor, dass Frauen kriegsbedingt die Mehrheit der Wahlberechtigten stellen könnten; sie plädierten dafür, Frauen erst ab 24 (und Männer ab 21) wählen zu lassen. Vergeblich: Mit der Ersten Republik kam auch das Wahlrecht, ausgerufen im Dezember 1918. Ganz geheuer war es keiner Partei. Um das Stimmverhalten des "unbekannten Wesens Frau" zu erforschen, wurden verschiedenfarbige Wahlkuverts für Männer und Frauen eingeführt (die sich bei den Wiener Gemeinderatswahlen bis in die 1970er-Jahre hielten). So weiß man genau, wie Männer und Frauen bei der ersten entscheidenden Wahl im Jahr 1920 wählten: Von 100 Männern wählten 39 christlichsozial und 39,3 sozialdemokratisch - von 100 Frauen 47,3 christlichsozial und 32,8 sozialdemokratisch. "Die Tatsache des Frauenwahlrechts hat uns fünf Mandate gekostet", stellte daraufhin der Sozialdemokrat Robert Danneberg fest. Und die Christlichsozialen wurden im "Volksblatt" so zitiert: "Wir schämen uns nicht, dass ein großer Teil der auf uns entfallenen Stimmen gerade von den Frauen stammt."

Unter 170 gewählten Mandataren waren damals elf Frauen. Diese dürftige Quote wurde erst mehr als ein halbes Jahrhundert später übertroffen: Im Jahr 1974 mit 14 weiblichen Abgeordneten.

In Österreich werden derzeit Festlichkeiten zu "100 Jahren Frauenwahlrecht" begangen, mit Ausstellungen und Debatten. Andere Staaten haben sie längst hinter sich - etwa Neuseeland, das Pionierland, in dem schon 1893 das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Anderswo werden die Festakte noch Jahrzehnte auf sich warten lassen: Im Nachzüglerland Schweiz wurde das Frauenwahlrecht erst im Jahr 1971 eingeführt - im Kanton Appenzell Innerrhoden sogar erst 1990.

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Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin