Freiheitliche auf Kriegsfuß

Ist seine FPÖ nicht nur die Partei der Corona-Schwurbler, sondern auch der Putin-Versteher? Wie Herbert Kickl derzeit die Welt sieht.

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„Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Polen sind die unmittelbaren Nachbarländer. Dort sollten daher auch die vor den Kriegshandlungen flüchtenden Menschen primär aufgenommen werden.“ 
 

Herbert Kickl, FPÖ-Bundesparteiobmann

Nein zu Flüchtlingen

 „Die Ukraine ist unser Nachbar. Humanitäre Hilfe ist unsere Pflicht. Dazu zählt auch die Aufnahme von geflüchteten Menschen sowie die Bereitstellung medizinischer Hilfe.“
 

Markus Abwerzger, FPÖ-Tirol-Obmann

Ja zu Flüchtlingen

Vier Wochen nach der Invasion tut sich die FPÖ noch immer schwer, eine einheitliche Haltung zum russischen Angriffskrieg zu finden oder auch nur einfache Antworten zu präsentieren, wie es ansonsten ihre Art ist, ob bei Pandemie, Zuwanderung oder Inflation. Und selbst der vermeintliche Meisterstratege Herbert Kickl verlor offenbar sein Gespür und schätzte die Stimmung in der eigenen Partei falsch ein.  

Nach dem Einmarsch der Russen hatte sich Kickl klar festgelegt, Österreich solle keine ukrainischen Flüchtlinge aufnehmen: „Rumänien, Ungarn, die Slowakei und Polen sind die unmittelbaren Nachbarländer. Dort sollten daher auch die vor den Kriegshandlungen flüchtenden Menschen primär aufgenommen werden.“ 

Der Zugang des FPÖ-Chefs blieb in der eigenen Partei eine Minderheitsmeinung. Tirols FPÖ-Chef Markus Abwerzger hielt fest: „Die Ukraine ist unser Nachbar. Humanitäre Hilfe ist unsere Pflicht. Dazu zählt auch die Aufnahme von geflüchteten Menschen sowie die Bereitstellung medizinischer Hilfe.“  Von der Salzburger FPÖ-Chefin Marlene Svazek erhielt er dafür „volle Zustimmung“. Die FPÖ-Obmänner von Oberösterreich, Wien und der Steiermark, Manfred Haimbuchner, Dominik Nepp und Mario Kunasek, sprachen sich ebenfalls für die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge auf; wie auch Kickls Vorgänger als FPÖ-Chef, der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer: „Ich begrüße es, dass unser Land bereit ist, Menschen aufzunehmen, zu versorgen und zu schützen.“  

Die nüchtern analysierende Austria Presse Agentur bezeichnete die Stellungnahmen der FPÖ-Spitzenvertreter als „Stimmen zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine, die sich nicht mit der ablehnenden Haltung von Parteichef Herbert Kickl decken“.

Erkundigt man sich in der FPÖ nach möglichen Differenzen zwischen Chef und erweiterter Parteiführung, wird abgewiegelt. So heißt es aus dem Büro von Markus Abwerzger: „Eine Meinungsverschiedenheit gibt es nicht. Die Position der FPÖ ist klar, einheitlich und birgt keinen Widerspruch in sich. Eigentlich lässt dies keinen Raum für etwaige Interpretationen offen.“ 

Manfred Haimbuchner spricht von einer „künstlichen Geschichte in den Medien“. Und Herbert Kickl selbst verweist im Gespräch mit profil auf die Sitzungen von FPÖ-Bundesparteivorstand und Bundesparteileitung vorvergangene Woche. Da habe es keine unterschiedlichen Standpunkte zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge gegeben. Jede andere Darstellung sei „ein absoluter Blödsinn“. Seine Bemerkungen, so Kickl, seien als Warnung vor  einer schrankenlosen Flucht durch die östlichen Nachbarländer nach Österreich zu verstehen. 

Die Sitzungen der FPÖ-Gremien fanden in Vösendorf bei Wien statt, da in Niederösterreich die Corona-Regeln lockerer sind. Und natürlich tagten die Blauen in Präsenz. Mit der Festlegung der Termine war bis zur Sistierung der Impfpflicht zugewartet worden, damit auch nicht geimpfte Funktionäre bedenkenlos teilnehmen konnten, ganz im Sinne des Parteichefs. Denn Kickl positionierte die FPÖ seit seinem Amtsantritt im Juni 2021 als strammer Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen und hetzte öffentlich gegen die „Falotten-Regierung“. Der Zuspruch von radikalen Querdenker-Gruppen, denen die Wiener Polizei bereits  „zunehmende Gewaltbereitschaft“ attestiert, war ihm willkommen. Allerdings konnte sich die Corona-Leugner-Partei MFG trotz Kickls Offensive nachhaltig etablieren und macht der FPÖ neue Konkurrenz. In der aktuellen profil-Umfrage liegt MFG derzeit bei acht Prozent.

Dass die Freiheitlichen die Partei für Impfverweigerer sind, bestreiten sie gar nicht, wiewohl sie lieber von „Impfpflicht-Verweigerern“ sprechen. Das Etikett „Putin-Versteher“ weist Herbert Kickl schroff zurück. Jeder in der FPÖ verurteile „den Angriff auf die Ukraine auf das Schärfste“. Es gebe „keine Rechtfertigung für einen Überfall auf ein Nachbarland“. Nicht immer fällt die Wortwahl so eindeutig aus. In einer Presseaussendung bezeichnete Kickl die Ukraine und Russland undifferenziert als „Länder, die derzeit aktiv in kriegerische Auseinandersetzungen involviert“ seien.

Der Verdacht, die FPÖ habe eine bedenkliche Nähe zum Regime von Wladimir Putin, kommt nicht von ungefähr. Am 9. März forderte das EU-Parlament schärfere Maßnahmen gegen die Einflussnahme des Kremls auf die EU. Als ein Negativbeispiel wurde die FPÖ genannt, da diese unter Obmann Heinz-Christian Strache 2016 in Moskau einen Kooperationsvertrag mit der Kreml-Partei „Einiges Russland“ abgeschlossen hatte. Der Vertrag sei mittlerweile ausgelaufen, so die Mitteilung der FPÖ. Ursprünglich hätte er bis 2026 gültig sein sollen.

Für Herbert Kickl ist die Beurteilung des EU-Parlaments „ganz, ganz weit weg von der Realität“. Er selbst sei übrigens nie Mitglied der „Neigungsgruppe Moskau“ in der FPÖ gewesen. Unmittelbar nach dem Angriff der Russen am 24. Februar machte er allerdings den Westen dafür mitverantwortlich: „Ich denke, dass es in vergangenen Jahren und Jahrzehnten sowohl von russischer Seite, also auch von den USA, der NATO und in deren Windschatten auch von der EU, zu provokativem Verhalten gekommen ist.“ Vier Wochen später sagt er zu profil: „Wir sind Geschichtsmenschen. Es gibt bei jedem Ereignis ein Zuvor und ein Danach. Als verantwortungsbewusster Politiker muss man alle Faktoren berücksichtigen.“ Alles andere sei „Eindimensionalität und Einseitigkeit“. 

Für den FPÖ-Obmann ist Außenpolitik nur aus innenpolitischer Sicht interessant. Es wäre nicht Kickl, wenn er dabei nicht eine Möglichkeit für schnelle Punkte fände. Aktuell bietet dazu die Neutralität jede Menge Gelegenheiten. Nach der Meinung des FPÖ-Chefs werde diese derzeit von der Regierung verraten. Schon die Teilnahme an Sanktionen stelle eine Völkerrechtsverletzung dar. Und natürlich würde auch eine Rede des ukrainischen Präsidenten vor dem Nationalrat gegen die Neutralität verstoßen und sei daher nicht geboten. So richtig zündete Kickls Vorstoß nicht, auch weil Kanzler Karl Nehammer eine mögliche Neutralitätsdebatte in der ÖVP im Ansatz abwürgte.

Die FPÖ ist eine Kampagnenpartei. Sie benötigt regelmäßig emotionale Themen, um das eigene Publikum ansprechen zu können. Zwei Jahre lang bot die Corona-Krise genug Kampagnen-Stoff. Doch nun zeigen sich die Folgen der monothematischen Ausrichtung. Beim dominanten innenpolitischen Thema, der allgemeinen Teuerung, gelingt es der FPÖ – im Gegensatz zur SPÖ – kaum, Akzente zu setzen. 

Ganz so geschlossen, wie es Kickl darstellt, ist seine Partei nicht. Nicht alle Spitzenfunktionäre haben vergessen, dass Kickl Norbert Hofer im Vorjahr unsanft aus dem Amt mobbte. Ruhe herrscht aus Disziplin und weil derzeit kein Landesparteiobmann Interesse an Auseinandersetzungen haben kann. In Niederösterreich, Salzburg, Kärnten und Tirol stehen 2023 Landtagswahlen an. Die Umfragen sind nicht gerade berauschend. In Salzburg liegt die FPÖ bei 13 Prozent, in Tirol, Niederösterreich und Kärnten bei 15 Prozent. 

Für Herbert Kickl sind 2022 und 2023 die Jahre der Bewährung. Und die Partei schaut zu, ob ihr Obmann über genug Ausdauer und Geduld zur Führung der Partei verfügt. Kickls Machtzentrum ist der Parlamentsklub, dessen Abgeordnete geschlossen hinter ihm stehen. 

Innerhalb der FPÖ ist noch ungeklärt, wen die Partei in die heurige Bundespräsidentschaftswahl schickt. Hofer wäre bereit, sollte Amtsinhaber Alexander Van der Bellen auf eine Kandidatur verzichten. Allerdings ist keinesfalls garantiert, dass Kickl Hofer eine zweite Chance geben würde. Der FPÖ-Chef soll erwägen, eine Frau zu nominieren, etwa die oberösterreichische Abgeordnete Susanne Fürst. Dass Kickl wie kolportiert selbst antritt, bezeichnete er als „Fake News“. Tatsächlich ist auch diese Option noch offen.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.