Fritz Mandl: Salonputschist und Austrofaschist
Wenn die Mittelschicht wegbricht, gewinnt das große Geld, und die Demokratie verliert: die Lehre aus der Zwischenkriegszeit. In den Nachwehen des Ersten Weltkrieges, in denen sich Anleihen in Luft auflösten und eine Hyperinflation einsetzte, wurden viele über Nacht bitterarm oder superreich. Für die Mandls aber, eine assimilierte jüdische Industriellenfamilie, zu deren Verwandtschaft Arthur Schnitzler gehörte, ging es stetig aufwärts.
Mit der „Hirtenberger Patronenfabrik“ hatten sie im Krieg blendend verdient; noch besser ging es im Frieden. Die Exporte boomten. Das Verbot der Ein- und Ausfuhr von Kriegsmaterial, das für die Verliererstaaten Deutschland, Österreich und Ungarn galt, wurde diskret umgangen: mit Niederlassungen im Ausland, Scheinkäufern, falschen Etiketten und politischer Rückendeckung.
Millionen Patronen gingen nach Polen, das sich damals im Grenzkonflikt mit der jungen Sowjetunion befand, deklariert als „Messing in bearbeitetem Zustand“.
Fritz Mandl hatte im Alter von 24 Jahren die Fabrik von seinem Vater übernommen. Mandl war ein exzentrischer Charakter mit einer Vorliebe für Aristokraten, seinen Freunden und seinen Frauen gegenüber so verschwenderisch wie herrschsüchtig. Vier Jahre lang war Mandl mit der „schönsten Frau der Welt“, der Schauspielerin Hedy Lamarr, verheiratet.
Zeitlebens sah man ihn mit einer frischen roten Nelke im Knopfloch. Aus Provokation gegen die Sozialdemokratie, die er nicht mochte? Er war ihr Gegner, auch wenn er seinen Lehrer, Otto Kreisky, einen Onkel des späteren Bundeskanzlers, bewunderte.
Die Historikerin Ursula Prutsch, die Einsicht in den Nachlass der Familie bekam und neue Aktenbestände fand, hat eine Biografie über Mandl veröffentlicht, die vieles über den Weg in die austrofaschistische Diktatur erzählt. Mandl hatte politische Ambitionen, die mit seinen Geschäften korrespondierten, und verkehrte in den entsprechenden Salons.
Er wünschte sich ein faschistisches Österreich, war eng mit dem obersten Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg befreundet, der seine Leute einen Eid auf die Abschaffung der Demokratie schwören ließ. Mandl bewunderte Mussolini, war selbst Mitglied der Heimwehr, finanzierte sie, ließ ihr Waffen und Munition zukommen und machte Putschpläne.
Im Jahr der Weltwirtschaftskrise 1929 bekamen die Heimwehren den größten Zulauf. Und Mandl war dabei eine treibende Kraft. Die rechten Milizen zählten 120.000 Mitglieder, rekrutierten sich vor allem aus den ländlichen Gebieten. Ihr Gegenspieler, der sozialdemokratische Schutzbund, war 80.000 Mann stark, das österreichische Berufsheer hatte nicht mehr als 17.000 Soldaten.
Mandl pumpte immer mehr Geld in die Heimwehren, um sie davon abzuhalten, sich nationalsozialistischen Ideen anzunähern. Die Ungeduld mit der Demokratie wuchs.
Die steirische Heimwehr war die erste, die 1931 einen Putsch gegen die konservative Regierung in Wien anzettelte. Sie scheiterte jämmerlich.
Ernsthafter waren die Pläne von Mandl und Starhemberg, Waffen und Munition in großem Stil an die Heimwehr, das österreichische Bundesheer, das man als Verbündeten sah, und Ungarn zu liefern. Mit dem italienischen Diktator Benito Mussolini und dem halbfaschistischen ungarischen Premier Gyula Gömbös stand man in bestem Einvernehmen. Das alles musste unter den kontrollierenden Augen des Völkerbunds in Szene gesetzt werden.
Die Ungarn sollten als Scheinkäufer auftreten, die österreichische Grenzpolizei mitspielen und Mussolini italienische Waffen beisteuern. Der Rest käme aus Mandls Fabrik in der Schweiz. Die ganze Lieferung sollte in Hirtenberg zusammenlaufen und von dort aus verteilt werden. Im ersten Anlauf wurde nichts daraus. Verteidigungsminister Carl Vaugoin, ein Christlich-Sozialer, hatte gezögert. „Zu ängstlich, zu parlamentarisch“, hieß es. Vaugoin blieb nicht lang im Amt.
Selbst den christlich-sozialen Kanzler Engelbert Dollfuß schätzten Mandl und Starhemberg für zu gemäßigt ein, um eine faschistische Diktatur zu errichten. Er sollte weggeputscht werden. Doch in Dollfuß hatten sie sich geirrt. Entgegen früheren Aussagen – „Ich bin doch kein Faschist“ – war Dollfuß durchaus gewillt, bei der Aushebelung der Demokratie mitzumachen.
Er versprach Mandl & Co, seine schützende Hand über die verbotenen Waffenlieferungen zu halten. Am 8. Jänner 1933 hob die sozialdemokratische „Arbeiter-Zeitung“ die „Hirtenberger Waffenaffäre“ auf die erste Seite. Schlagzeilen in ganz Europa befeuerten die Kriegsangst. In Deutschland war die NSDAP in Wahlen als stärkste Partei hervorgegangen. Ende Jänner wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler bestellt, und gegen den „Juden Mandl“ wurde auf Plakaten gehetzt.
Wenige Wochen später war in Österreich die Demokratie abgeschafft. Dollfuß hatte eine Geschäftsordnungspanne im Nationalrat dazu genützt, das Parlament nicht wieder zusammentreten zu lassen. Es folgten Notverordnungen, ein Bürgerkrieg, in dem das Bundesheer Kanonen gegen Schutzbündler und Gemeindebauten richtete; und die Todesstrafe für Aufständische.
Im Juli 1934 fiel Dollfuß einem Nazi-Putsch zum Opfer. Österreich wurde eine Kanzlerdiktatur, in der es keine Rassengesetze wie in Hitlerdeutschland gab, doch Parteienverbot, Zensur und politische Gefangene.
Mandl brachte 1937 sein Vermögen in Argentinien in Sicherheit. 1938 versuchte er in einem Bettelbrief an die neuen Nazi-Herrscher in Österreich – er habe eine „arische Mutter“ – die Hirtenberger zu retten. Ohne Erfolg.
In Buenos Aires war Mandl weiterhin umtriebiger Geschäftsmann. Er wurde als Jude angegriffen, dann wieder als Nazi. Geheimdienste beschäftigten sich mit seinen klandestinen Netzwerken.
Als Mandl nach dem Krieg nach Österreich zurückkam, gab es Widerstand gegen den „Heimwehr-Mandl“. Doch in seiner Geschichte spiegelte sich die Österreichs.
Die „Hirtenberger“ bekam er zurück. Er nahm sein altes Leben wieder auf, heiratete zum fünften Mal, lud die Schallenbergs und die Stürghks wieder an die Côte d’Azur. Eines der Kinder von damals, die jedes Wochenende von Mandls Chauffeur in sein österreichisches Refugium Schwarzau gebracht wurden, ist heute FPÖ-Berater, der Psychotherapeut Ferdinand Stürghk.