Training des ÖFB-Teams am 9. Juni in Seefeld. Die österreichische Fußball-Nationalmannschaft wird am Sonntag im Rahmen der EURO 2020 ein EM-Auftaktspiel gegen Nordmazedonien bestreiten.
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11 Freunde für Europa

Unser Autor wundert sich über die EURO und holt sich Tipps vom Fußball-Kolumnisten.

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Kleines Geständnis an diesem casual friday: Ich stehe aktuell ein wenig zwischen Stühlen; plötzlich Sommer, die ersten Impftermine im persönlichen Umfeld sind überstanden, das Leben kehrt mit all seiner Pracht, Wucht und Lautstärke zurück. Und dann all diese Fragen: Bin ich noch sozial verträglich? Muss ich zum Public Viewing? Die ersten Flüge buchen? Muss ich Spaß haben und womöglich proaktiv das Leben feiern? Und jetzt?, frag ich mich – und natürlich hat mein Kollege Sebastian Hofer dieses diffuse Post-Corona-Gefühl in einem Essay für Ihr Lieblingsmagazin bereits auf den Punkt gebracht.

Jetzt also nicht nur Neustart, sondern auch noch Fußball-Europameisterschaft quer durch Europa? Ist das nicht zu viel? Oder ist es genau die richtige Einstiegsdroge zurück ins Leben? Eigentlich hätte das Turnier, das mit Start heute quer über den Kontinent ausgetragen wird, bereits letztes Jahr stattfinden sollen. Gespielt wird bis 11. Juli (das Finale findet im Londoner Wembley Stadion statt) zwischen Rom, Sankt Petersburg, Bukarest und Baku (quasi die freundschaftliche Asien-Erweiterung) – Pandemie hin oder her. Das ursprüngliche Ziel dieses europäischen (Fußball-)Gedankens, formuliert 2012 vom damaligen UEFA-Chef Michel Platini und dem heutigen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino: Zum 60-jährigen Bestehens des Wettbewerbs sollte quer über den Kontinent gefeiert werden – man wollte ein vereintes Europa, offene Grenzen, Fußballfest, Osterweiterung zelebrieren. Im April dieses Jahres wurden Bilbao und Dublin als Spielorte gestrichen, das schmälerte die Vorfreude auf ein europäisches Sommermärchen dann doch ein wenig. Der Grund: Die fehlende frühzeitige Zusicherung für den Einlass von ZuseherInnen. Der europäische Gedanke endet eben dort, wo der Euro nicht mehr rollt.

Und nun zum Sport: Kommenden Sonntag (13. Juni, 18 Uhr) spielt Österreichs Nationalmannschaft gegen EM-Neuling Nordmazedonien. Ich frage nach bei Gerald Gossmann, versierter profil-Fußballkolumnist und Kritiker unseres Teamchefs Franco Foda: Was dürfen wir uns von dem Auftaktmatch und dem Turnier erwarten? Österreich verfüge über große Baustellen, schreibt mir Gossmann: „Der Ball wird zwar oft erkämpft, doch mit der Kugel am Fuß weiß man nicht weiter; das Pressing sieht unkoordiniert aus, die Abwehr ist bei höherem Tempo schnell ausgehebelt.“ Das Spiel sei, kulinarisch formuliert, weder Fisch noch Fleisch. „Die Spieler wollen angreifen, der Teamchef traut sich aber nicht so recht. Franco Foda hofft auf einen fitten Marko Arnautovic, der mit Genieblitzen die Großbaustelle zudecken soll.“

Für Österreich, so unser Fußball-Auskenner in seiner Analyse, bleibt wieder einmal nur die Hoffnung: „Auftaktgegner Nordmazedonien (62. der Weltrangliste, Österreich liegt auf Rang 23 – zuletzt hat Österreich 4:1 und 2:1 gewonnen) sollte kein Problem darstellen. Und Holland steckt unter dem biederen Teamchef Frank De Boer in einer ähnlichen Identitätskrise wie das österreichische Team. Die Chancen stehen gut: Zwei Drittel aller Mannschaften steigen ins Achtelfinale auf – das Minimalziel sollte gelingen. Normalerweise ist das Stimmungsbarometer abschätzbar: vor dem Turnier himmelhochjauchzend, danach zu Tode betrübt. Nun scheint das Land schon jetzt depressiv verstimmt. Wer an Küchenpsychologie glaubt, darf auf eine Umkehr der traditionellen Stimmungsschwankungen hoffen.“

Alles wird gut.

Philip Dulle

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Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Von 2009 bis 2024 Redakteur bei profil.