Oh, wie ist das schön!
Das Bild zeigt einen begeisterten Kanzler mit aufgerissenem Mund. Interessant wäre es zu wissen, was Nehammer, als er abdrückte, von sich gab. Ein herzhaftes „Jawoi!“ ist der Lippenstellung nicht abzulesen, auch kein „Bravo!“ oder „Ole!“, eher ein „Supa!“ oder „Supa, Burschna!“.
Auch im Büro des Kanzlers ist dies nicht mehr eruierbar. Ansonsten zeigt man sich dort sehr auskunftsfreudig. Demnach bleibt Nehammer etwa 15 Minuten lang in der Kabine. Laut Kanzlerbüro habe er „kurze Worte der Freude und des Dankes ausgedrückt“ und „in Gruppen mit mehreren Spielern gesprochen“.
Die Fußballer wurden nach dem Besuch von Nehammer und Kogler von Journalisten auf ihre Eindrücke angesprochen. Verteidiger Philipp Lienhart hielt dazu fest: „Sie haben kurz zur Mannschaft geredet und dann noch ein Lied angestimmt.“
Nun weiß man, dass in der Kabine des Nationalteams während der EM vor allem zwei Rainhard-Fendrich-Klassiker gesungen wurden: „Strada del Sole“ und „I am from Austria“.
Da 2024 ein Wahljahr ist, kann man wohl davon ausgehen, dass Nehammer und Kogler eher „I am from Austria“ anstimmten, schließlich sind Nationalspieler wahlberechtigt. Der Text ist auch gängiger. Vorstellbar wäre auch, dass beide bloß den Schlachtruf „Immer wieder Österreich!“ angrölten.
Weit gefehlt: Auf offizielle Anfrage von profil teilt das Presseteam des Bundeskanzleramts mit: „Der Bundeskanzler hat das bekannte Fußball-Lied ,Oh wie ist das schön‘ angestimmt.“
Public Viewing statt Cabin Crashing
Die „Kronen Zeitung“ brachte das Selfie groß heraus, wenn auch mit etwas Spott versehen: „Nehammer und Kogler crashen ÖFB-Kabinenparty“. Unterzeile: „Aktuell ist man sich ja in der türkis-grünen Koalition nicht immer ganz so einig – außer wenn’s um Fußball geht.“
Zur selben Stunde setzt der SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler auf seinen Social-Media-Kanälen Fotos ab, die ihn beim Mitfiebern am Wiener Rathausplatz zeigen. Public Viewing in Wien hat sicher weniger Reiz als Cabin Crashing in Berlin, aber unter Umständen ist Babler ja selbst bald Vizekanzler und Sportminister.
Das nächste Großevent mit Selfie-Gelegenheit wäre die Ski-WM in Saalbach-Hinterglemm im Februar. Babler könnte dort die Siegesfeier eines ÖSV-Athleten crashen, falls es eine gibt.
Dass Nehammers Selfie in der intimen Sphäre einer Umkleidekabine voll dampfender junger Männer entstand, gibt ihm einen voyeuristischen Touch. Es zeigt aber auch die Einsatzbreite des Bundeskanzlers, der nicht nur im Frack am Opernball neben Witwe Presley gute Figur macht, sondern auch dorthin geht, wo es der Nase wehtut.
„Die Kräfte der Informalisierung machen die Umkleidekabine zu einem von Gleichheit geprägten Ort, an dem Männer nach dem Sport zusammentreffen. Statusunterschiede werden symbolisch fallen gelassen wie die durchschwitzte Kleidung“, ist in einer soziologischen Betrachtung auf der Website des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen zu lesen. Allerdings spielten Kanzler und Vizekanzler nicht mit und ließen daher auch nicht ihre Hosen runter.
FKK in der Kabine
Und was die Gleichheit betrifft: Einige der Herren in durchschwitzten Leiberln verdienen im Monat mehr als Nehammer, Kogler und der Rest der Bundesregierung zusammen. Dennoch hält das Selfie den Moment der Informalisierung präzise fest. Dem Kanzlerbüro zufolge ist Nehammer mit den Teamspielern per du.
Nackte sind auf dem Bild nicht zu sehen. Nehammer ist dezenter als Angela Merkel. Nach einem Match der DFB-Auswahl bei der WM 2014 in Brasilien ließ die Kanzlerin ein Gruppenbild von sich mit den deutschen Spielern aus der Kabine veröffentlichen. Man konnte erkennen, dass die Fußballer nur noch Handtücher um die Lenden trugen beziehungsweise hielten.
Als Ostdeutsche hatte Merkel damit wohl kein Problem. FKK war in der DDR bekanntlich etwas ganz Normales.
Der westdeutsche Teamchef Ralf Rangnick hat es nicht auf Nehammers Selfie geschafft. Entweder stand er noch beim TV-Interview oder die Situation war ihm zu informalisiert. Vielleicht wollte Rangnick aber auch dem Kanzler der Republik Österreich nicht dabei zuhören, wie er „Oh, wie ist das schön“ anstimmt.