Gaskrise, teurer Strom: Ein Ofenhändler macht das Geschäft seines Lebens
Von Edith Meinhart
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Verrückte Wochen waren das. Semir Varli, 61, steht in seinem Geschäft am Wiener Margaretengürtel, einem eindrücklichen Kabinett unterschiedlichster Ofen-Charaktere, runde, weiße, elegant aufragende neben bulligen, russschwarzen Gerätschaften, mit Kochplatte oder ohne, manche in verspieltem Retro, andere in urbanem Minimalismus, Schaustücke, die wie offene Kamine aussehen neben alten Omaherden, Skandinavier, Italiener, Deutsche. Alle gingen sie damals weg.
Varli wirkt immer noch verdutzt, wenn er an den Winter 2022 denkt. Die Saison begann wie immer. Je tiefer die Temperaturen fielen, desto größer wurde die Sehnsucht der Großstädter, sich zuhause an einem heimelig knisternden Feuer zu wärmen. Varlis Ofenhandlung brummte behaglich. Bis zu jenem 24. Februar, an dem der russische Präsident Wladimir Putin die Ukraine bombardierte und in der zwei Millionen Metropole Wien ein nie dagewesener Ansturm auf Holzöfen losbrach, der Varlis Geschäft fast aus den Angeln hob.
Das Gas geht aus, Strom wird unbezahlbar, titelten Medien. Europa wurde sich seiner Abhängigkeiten ebenso schlagartig wie schmerzlich bewusst. Und Menschen wie der 61-jährige Semir Varli avancierten zu Einheizern in der Not. Vor Ofenhandlungen - seine Söhne führen ein zweites Geschäft in Wien-Mariahilf - bildeten sich Schlangen von Wartenden, die hofften, noch ein lagerndes Gerät zu ergattern. „Die Industrie ist mit dem Produzieren nicht mehr nachgekommen, auf manche Öfen musste man Monate oder sogar ein Jahr warten,“ sagt Varli.
Einheizer in der Not
Nun steht ein neuer Winter vor der Tür. Die Gasspeicher sind gefüllt. Die Angst hat sich gelegt. In Varlis kleiner Ofenwelt gehen die Geschäfte wieder ihren gewohnten, saisonal schwankenden Gang. Daneben bleibt sogar ein wenig Zeit zurückzublicken. Varli ist das Kind von assyrischen Christen aus dem Südosten der Türkei, aufgewachsen in einer kleinen Stadt, die 40 Kilometer von der syrischen und etwa 90 Kilometer von der irakischen Grenze entfernt liegt. Seine Eltern kamen Anfang der 1970-er Jahren als Gastarbeiter ins wirtschaftlich aufstrebende Österreich. Der Vater arbeitete in einer Metallfabrik in Wien, seine Mutter als Büglerin in einer Schneiderei.
© Edith Meinhart
„Was gibt es Schöneres, als in ein Feuer zu schauen?“, fragte Varli namhafte, österreichische Ofenproduzenten, nachdem in Skandinavien, die ersten Geräte mit Sichtfenster auf den Markt gekommen waren: „Sie wollten die Zeichen der Zeit nicht sehen.“ Und? „Es war bald Feierabend."
"Was gibt es Schöneres, als ins Feuer zu schauen?" Aus Skandinavien importierte Semir Varli die ersten Öfen mit Sichtfenster, heimische Produzenten wollten die Zeichen der Zeit nicht sehen. "Es war hier dann bald Feierabend."
Er selbst war zwölf, als die Eltern ihn nachholten, und verging fast vor Heimweh. Er vermisste das Viertel, in dem ein großer Teil seiner Verwandtschaft lebte, die Gleichaltrigen, mit denen er jeden Tag gespielt hatte. In der Volksschule in Wien-Favoriten, wo er sich im Dezember 1974 wiederfindet, versteht er weder die Lehrer noch die anderen Kinder. Deutschkurse gibt es nicht. „Mach die Ohren auf!“, heißt es. Damit muss er zurechtkommen. Varli wiederholt die Klasse, schafft danach „irgendwie“ die Hauptschule, beginnt eine Lehre zum Installateur und erwirbt die Konzession für Gas, Wasser, Heizung.
Das Metier wirft im Laufe der Jahre immer weniger ab, weshalb Varli sich auf offene Kamine und Holzöfen verlegt, „eine gute Entscheidung“, wie er immer noch findet. Mit 22 eröffnet er eine Ofenhandlung im sechsten Wiener Gemeindebezirk. Er importiert Geräte aus Schweden, die ersten mit Sichtfenster, und liegt namhaften heimischen Firmen in den Ohren, die Ofentüren aus Glas zu bauen. „Was gibt es Schöneres, als in ein Feuer zu schauen?“, habe er gefragt: „Sie wollten die Zeichen der Zeit nicht sehen.“ Und? „Es war bald Feierabend“, so Varli.
Wir haben in 40 Jahren nie so viele Geräte mit Backrohren und Kochplatten verkauft.
Die ersten Öfen seien „Vernichtungsgeräte für Holz, Kohle oder Koks“ gewesen, mit einem Wirkungsgrad von bloß 40 oder 50 Prozent. „Heute liegt er bei über 80 Prozent“, sagt Varli. Der Handel floriert, bis er im Vorjahr explodiert.
Er habe sich von der Angst nicht anstecken lassen, sagt Varli. Aber er machte sich Gedanken. Was, wenn wirklich Not ausbricht? In seinem Geschäft könne man sich aufwärmen, eine Suppe wärmen. „Hundertprozentig wäre ich einer, der hilft“, sagt er. Varli ist seit fast 50 Jahren im Land, Österreich ist längst seine Heimat, er weiß, wie die Leute hier ticken. „Nicht alle denken so. Es gibt viel Neid“, sagt er. Wenn er mit seinem Auto, das stattlich sein soll, weil er damit Zigtausende Kilometer im Jahr zurücklegt, vor einem Baumarkt parkt, passiert es schon einmal, dass er mithört, wie zwei rauchende Männer über ihn herziehen: „Schau dir den an, der hat sicher in seinem Leben noch nie gearbeitet.“ Und es passiert auch, dass er widerspricht: „Ich habe 40 Jahre lang gearbeitet, mir ist noch nie etwas geschenkt worden.“
Orientalisch anmutender Ladenhüter
In der Türkei, seiner alten Heimat, wo er ein paar Wochen verbrachte, als der Ansturm des vorigen Winters abebbte und das Gros der bestellten Öfen ausgeliefert und montiert war, genieße jemand, der es zu Wohlstand bringe, hohes Ansehen, sagt Varli.. „Der war fleißig, der hat etwas aufgebaut,“ heiße es dann. Wenn der Ofenhändler sich irgendwann zur Ruhe setzt, will er mehr Zeit im Haus seiner Kindheit verbringen, das sein Vater, ein Steinmetz, gebaut hat. Es steht seit über 30 Jahren leer. Die Substanz aber ist gut erhalten. Varli schaut in die Zukunft.
„Die Welt wird schon nicht untergehen“, habe er vor einem Jahr, im Winter der Angst, des Öfteren gesagt. Nervösen Kunden habe er manchmal sogar geraten, „nicht irgendeinen Ofen zu kaufen, nur weil er gerade lagernd ist, sondern lieber zu warten.“ Die wenigsten wollten auf ihn hören. Leute mit viel Geld fürchteten, es werde bald „nichts gar nichts geben, kein Gas, keinen Strom“ und deckten sich für den Notfall ein. „Wir haben in 40 Jahren nie so viele Geräte mit Backrohren und Kochplatten verkauft“, sagt Varli. Auch Leute mit weniger Geld schlugen zu. Öfen in guter Qualität waren ab 1000 Euro zu haben. Und am Ende waren alle weg - bis auf einen.
Der Ladenhüter ist ein eher eigenwilliges, orientalisch anmutendes Teil, das Varli vor langer Zeit als Blickfang erstand. Bei Messen und Ausstellungen war der Ofen immer dabei. Bei sich zuhause wollte ihn bisher aber niemand stehen haben. Nicht einmal in der ärgsten Not. Wer weiß, vielleicht landet er noch in dem Haus, in dem Varli Kind war.
Edith Meinhart
war von 1998 bis 2024 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges.