Gastkommentar von Beate Meinl-Reisinger: Faßmann - Ehrlich enttäuschend
Wenn die „message control“ der Regierung mal nicht ganz so funktioniert, dann muss „damage control“ her. Kürzlich so gesehen bei Bildungsminister Heinz Faßmann. Was war passiert? Christian Rainer hatte in seinem Leitartikel die kürzlich präsentierte „Bildungsreform“ aus bildungswissenschaftlicher Sicht beleuchtet und als ungenügend bewertet. Faßmann bemühte sich im Anschluss in seiner Replik, die Maßnahmen in einen pragmatisch evidenzbasierten Kontext zu stellen. Freilich nur wenige Tage, nachdem er in einem Interview zugegeben hatte, dass Teile seines Pakets jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrten – und dass er den politischen Willen von Schwarz und Blau, wie im Regierungsprogramm skizziert, abbilden müsse. Entwaffnend ehrlich. Und ehrlich enttäuschend.
Heinz Faßmann war einmal ein sehr guter Wissenschafter. Als er Bildungsminister der schwarz-blauen Regierung wurde, hofften wir, dass er seinen Beitrag leisten würde, das Bildungssystem in die Zukunft zu führen. In eine entpolitisierte Zukunft. Wir hofften, dass ein unabhängiger Experte Kinder vor Politik stellte, Wissenschaft vor den Einfluss der Parteien. Mittlerweile erklärt er in Phrasen, wie man unwissenschaftlich das Bildungssystem missverwaltet. Das ist tragisch für ihn – und eine Katastrophe für unsere Kinder.
Mit „Pragmatismus“ und „ehrlichem Bemühen“, schrieb Faßmann, will er die Probleme beim Namen nennen und lösen. Dieser Pragmatismus geht aber Hand in Hand mit dem bildungspolitischen Horizont der ÖVP: Wir bauen Mauern um unsere bürgerlichen Gymnasien, „Durchmischen“ ist nicht erwünscht. Der Sinn für eine Gesamtverantwortung ist schon nicht mehr vorhanden. Der Blick aufs Ganze: Fehlanzeige.
Bitte mich nicht missverstehen: Wir können schon über Noten reden, vielleicht auch noch darüber, Klassen zu wiederholen. Aber ernsthaft? Ist das alles, was dem Bildungsminister in den Volksschulen einfällt? Ist die Lesekompetenz in Bayern wirklich so hoch, weil Kinder Klassen wiederholen, oder gibt es möglicherweise noch andere Gründe für ihr gutes Abschneiden? Hier unterstellt er eine Korrelation, die nicht begründet wird. Diese Antworten haben mit wissenschaftlicher Evidenz und aktuellem Forschungsstand nichts zu tun. Ähnliches gilt für die Leistungsniveaus: Ja, unsere Kinder sind nicht gleich, aber alle Kinder verdienen Chancengerechtigkeit. Je nachdem, wo die Talente unserer Kinder liegen, müssen wir sie fördern. So weit so einverstanden. Aber an den „Mittelschulen“ die alten A- und B-Züge wieder einzuführen, das ist auch hier viel zu wenig. Wir brauchen eine möglichst individuelle und differenzierte Hinwendung sowie Förderung und Forderung von Schülerinnen und Schülern. Aber unsere Kinder einem Leistungsbegriff unterzuordnen, von dem die ÖVP selbst nicht weiß, wie sich dieser definiert, ist nichts als Besitzstandswahrung und riecht nach romantischer Verklärung der „guten alten Zeit“. Es würde nicht wundern, wenn wir demnächst über Sanktionsmöglichkeiten und Disziplin reden werden. Das Rohstaberl lässt grüßen.
Ich möchte kritische Menschen, die genau wissen, wie sie zwischen Fakten und Gerüchten unterscheiden. Und ganz sicher will ich keine abgerichteten, gehorsamen Systemerhalter.
Faßmann gibt keine Antworten auf die Fragen, wie wir zukünftige Generationen auf die Welt von morgen vorbereiten können. Ja, wir brauchen echte Leistungsträger: Das sind mündige Menschen, die sich mutig und selbstbewusst den Herausforderungen der Zukunft stellen. Ich möchte kritische Menschen, die genau wissen, wie sie zwischen Fakten und Gerüchten unterscheiden. Und ganz sicher will ich keine abgerichteten, gehorsamen Systemerhalter.
Mit dem Bildungsprogramm von Schwarz-Blau wird aber genau das passieren. Gut, stellen wir uns der „nüchternen empirischen Realität“: Aber dann müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass man die Herausforderungen – wie die, dass jedes fünfte zehnjährige Kind nicht ordentlich lesen und schreiben kann – nicht durch ein paar Einzelmaßnahmen löst. Wo sind radikale Ansätze wie echte Schulautonomie, Transparenz und Vergleichbarkeit bei den Leistungen einzelner Schulstandorte oder mutige Schritte wie in Finnland, wo der klassische Fächerkanon abgeschafft wurde?
Und wenn wir feststellen, dass es vor allem in Wien Brennpunktschulen gibt, dann wird dieses Problem nicht mit ein paar Deutschklassen in den Griff gebracht. Wo bleibt das große bildungspolitische Konzept, um diese Herausforderungen in den Griff zu bekommen? Anderswo ist es bei Weitem keine Utopie, wenn man verlangt, dass an jedem Schulstandort ein Sozialarbeiter, eine Schulpsychologin und eine Krankenschwester zugegen sind. Und die Schulen in jedem Fall ganztägig geführt werden. Und wo bleiben die Anreize für Schulen, für stärkere soziale Mischung zu sorgen?
Am österreichischen Schulsystem ist viel zu lange – parteipolitisch motiviert – herumgedoktert worden. Es braucht jetzt keinen Pragmatismus, sondern eine echte Vision und endlich Wissenschaftlichkeit.