Gastkommentar von Simon Kravagna: Kurz mal weg
Wenn der Außen- und Integrationsminister, wie vergangene Woche, vom profil-Cover lächelt, sorgt das schnell für Kritik in den sozialen Medien: "profil, Sonderausgabe, sponsored by Außenministerium?“, fragt ein Grüner auf Twitter. Und ein Leser appelliert an die Moral der Redaktion: "Dem Mann, der so vielen Flüchtlingen den Weg ins Land verwehrt hat, so ein Cover zu widmen, finde ich fragwürdig.“
Natürlich kann die multimediale Hyperaktivität von Sebastian Kurz irritieren. Etwa wenn der ÖVP-Mann in Richtung des türkischen Premiers Erdoğan via Facebook verkündet: "Wer die Todesstrafe einführt, schlägt die Türe zur EU zu.“ Erstens wird die Türkei aber angesichts der katastrophalen demokratiepolitischen Entwicklungen ohnehin nicht der EU beitreten. Und zweitens vergisst Kurz dabei, dass Europas traditioneller Verbündeter, die USA, allein im letzten Jahr 28 Menschen exekutierte. Aber: So ein Türkei-Posting bringt stolze 15.000 Likes. Das schafft selbst Facebook-König H.C. Strache selten.
Oder wenn Kurz das Burka-Verbot für Österreich fordert - obwohl dieses bereits in Frankreich mehr Schlagzeilen als Strafen bringt. Das wusste Kurz auch selbst einmal: Noch vor zwei Jahren bezeichnete er die Forderung nach einer Vollverschleierung als "künstliche Debatte“.
Echt ermüdend ist bei Kurz - und generell der ÖVP - das beliebte Wien-Bashing. Ja natürlich läuft einiges falsch in der Hauptstadt. Nur: Nirgendwo in Österreich gibt es mehr Migranten, mehr Flüchtlinge, mehr Muslime. Wien trägt seit Jahren den größten Teil der Integrationslast dieses Landes. Und zeigt unter Bürgermeister Michael Häupl trotzdem immer wieder auf, wenn Menschen geholfen werden muss. Statt einem großen Dankeschön gibt’s nur Watschen. Ganz zu schweigen von Kurz’ Forderung nach der Internierung von Flüchtlingen auf Inseln im Mittelmeer.
Aber bei allem Verständnis für Kurz-Kritiker: Denken wir uns den 30-Jährigen doch einmal kurz aus der Politik weg - was bliebe dann eigentlich von der Integrationspolitik? Rückblende in die Zeit vor Kurz: Integration, das war ein Thema, an dem niemand in SPÖ und ÖVP anstreifen wollte. "Finger weg“ hieß es in den Parteizentralen. Damit könne man nur verlieren. Die Folgen: Allein die FPÖ griff zum Teil berechtigte Missstände auf. Der Rest der Republik mauerte. Diese Zeiten sind vorbei. Mit der Bestellung von Kurz als Integrationsstaatssekretär 2011 wurde erstmals das Integrationsthema von einer Regierungspartei prominent besetzt - und Kurz besetzt es erstaunlich gut.
Zwar scheint seine Maxime zu lauten: Gut ist, was meinem Image nützt. Aber der geschickte Umgang mit den Medien hat dem Integrationsthema in Österreich - mit Ausnahme von einigen rein populistischen Forderungen - unterm Strich bei Weitem mehr gebracht als geschadet.
Anders als Altbundespräsident Heinz Fischer in seiner Amtszeit ist Kurz heute nicht der beliebteste Politiker, weil er möglichst wenig sagt, sondern weil er sich traut, auch anzuecken. Der Politaufsteiger, der seit 2013 auch noch die Außenpolitik schupft, gibt vielen wieder das Gefühl, dass Politik handeln kann. Und das ist ein gutes Gefühl - vor dem Hintergrund der Tagespolitik, in der jede noch so banale Forderung in einem Gewirr aus Rücksichten und komplexen Strukturen das Nachsehen hat.
Es gibt nur einige handverlesene Politiker, die vielen Österreichern abgehen würden, wenn sie weg wären. Sebastian Kurz zählt zweifellos dazu.
Natürlich betreibt auch Kurz oft nur Symbolpolitik. Aber erstmals gibt es in Österreich ein Islamgesetz, es gibt Wertekurse, ein verpflichtendes Kindergartenjahr, ein Nostrifizierungsgesetz - um nur einige Beispiele zu nennen. Vieles davon vorbereitet von einem Expertenrat für Integration.
Und die Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge - egal wie man dazu politisch stehen mag - kann man nicht über Nacht erreichen. Der Außenminister hat Allianzen in der Region aufgebaut. Nicht umsonst hält sich Kurz eine Stabstelle "Strategie und Planung“.
Bei all dem macht der 30-Jährige "Bella Figura“, gibt Interviews in "FAZ“ und "Spiegel“, sitzt in deutschen Talkshows, ohne dass man sich als Österreicher genieren müsste. Immerhin wird Kurz in Deutschland nicht, wie weiland FPÖ-Chef Jörg Haider, als Rechtspopulist eingeladen. Denn auch wenn Kurz die Zuwanderungspolitik komplett umkrempeln möchte (EU-Außengrenzen dichtmachen, Flüchtlinge dürfen nur mittels Resettlement-Programmen kommen), motiviert ihn nicht die Angst vor "Überfremdung“ oder blanker Rassismus, wie viele in der FPÖ. Kurz will mit missionarischem Eifer Ordnung ins Migrationschaos bringen - wird dabei aber niemals gehässig im Ton.
Kurz und seine Politik können einem politisch gefallen oder mittlerweile zu sehr nach rechts abdriften. Aber unabhängig vom politischen Standpunkt des Betrachters lässt sich sagen: Es gibt nur einige handverlesene Politiker, die vielen Österreichern abgehen würden, wenn sie weg wären. Sebastian Kurz zählt zweifellos dazu.
Ob Kurz mit seinem Geschick auch die ÖVP retten kann? Keine Ahnung. Aber für Österreich ist es ohnehin wichtiger, die Zehntausenden Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien zu integrieren. Wenn das nicht gelingt, werden wir die Folgen davon ganz sicher härter zu spüren bekommen, als wenn die ÖVP bei der nächsten Wahl auf Platz drei abstürzt. Inschallah.*
*Arabisch für "So Gott will“.