Gatterjagd: Der ewige Clinch zwischen Tierschützern und Landadel
In Bildein hat Österreich ein Eck. Betrachtet man die 350-Einwohner-Gemeinde auf einer Landkarte, sieht man, wie die Grenze mit Ungarn dort einen markanten Zacken aufweist. Es ist der östlichste Punkt des Südburgenlandes. Der Zacken ist nur spärlich bebaut, stattdessen steht dort ein Wald. Entlang des Waldes verläuft ein Maschendrahtzaun – bis zu zwei Meter hoch, an manchen Stellen mit Stahldraht verstehen. Dieser Zaun ist seit einigen Jahren ein ziemliches Politikum.
Denn der Zaun ist die Umfriedung eines Jagdgatters. Er verhindert, dass sich die Tiere im Wald frei bewegen können. Findet eine Jagd statt, können sie nicht flüchten. Solche Gatter gibt es nicht nur in Bildein, zehn gab es zuletzt im Burgenland. Nach langwierigen Verhandlungen und einer Vielzahl von Gerichtsverfahren verbot das Bundesland – als letztes in Österreich – mit Februar 2023 derartigen Gatterjagden. Sie sei mit Tierwohl und Tierschutz nicht vereinbar, erklärte die Landesregierung damals. Doch der Zaun in Bildein steht noch immer, und auch andere Gattereigentümer weigern sich, ihre Begrenzungen abzubauen. Tierschützer, ehemalige Landadlige und die burgenländische Landesregierung tragen darum seit bald sieben Jahren einen erbitterten juristischen Streit aus.
Familienbande
Um die Geschichte zu verstehen, muss man zunächst wissen: Fast alle der Jagdgatter gehörten Familien, die sich einst stolz zur Aristokratie zählten. So zum Beispiel jenes mit dem trügerischen Namen Tiergarten im Bezirk Eisenstadt-Umgebung. Statt mit einem Zaun ist es von einer Steinmauer umgeben, 17 Kilometer ist sie lang, angeblich ist es die längste des Bundeslandes. Besitzer des Tiergartens ist die vormals hochadlige Familie Esterházy. Sie ist bis heute einflussreich, ihr gehört der Großteil des Neusiedlersees und der Schlosspark im Zentrum Eisenstadts, die Öffentlichkeit darf ihn nur aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung nutzen.
Ferdinand II. erhob das Geschlecht der Draskovich 1631 in den Rang der Grafen. Ein Teil der Familie besitzt heute vier Gatter im südburgenländischen Güssing. Und das Gatter in Bildein gehört Alfons Mensdorff-Pouilly. Das Stammwappen der früheren Grafen ziert ein Zufahrtstor und sein Schloss im nahen Luising. Es wurde erst 1990 errichtet. Die Familie war zwischenzeitlich verarmt, erst durch die regen Geschäftstätigkeiten des Lobbyisten erfolgte die Rückkehr in standesgemäße Gefilde.
Auch die Jagdgatter stellten vor ihrem Verbot ein Geschäftsfeld dar. Denn meistens war damit ein Zuchtbetrieb verbunden. Die Tiere – im Regelfall Wild wie Hirsche, Wildschweine oder Mufflons – wurden dann zur Jagd ausgesetzt. Wer wollte und es sich leisten konnte, durfte in den Gattern zur Büchse greifen und mit Hilfe von Treibern und Jagdführern auf die Pirsch gehen. So kursierte vom Tiergarten bei Eisenstadt eine Liste, auf der interessierte Jäger die Preise pro Abschuss erfuhren. 2015 zahlte man beispielsweise für einen Wildschwein-Frischling 208 Euro, für einen Keiler 441 Euro und für einen Mufflon der höchsten Kategorie 2900 Euro. Bei den Rothirschen gingen die Preise sogar bis zu 22.000 Euro, je nach Gewicht und Größe des Geweihs.
Dokumentation am Zaun
Die Liste wurde von Martin Balluch veröffentlicht. 2013 begann der Obmann des „Vereins gegen Tierfabriken“ (VGT) gegen die Gatter zu mobilisieren. „Wir haben damals von einem Bauern von diesen Praktiken erfahren“, erzählt er. „Es war erschütternd, was wir gesehen haben.“ Bei den Gatterjagden habe er erlebt, wie verängstigte Tiere auf der Flucht vor den Schüssen entlang der Zäunentkommen wollten oder sie sich angeschossen und schwer verwundet durchs Gehege schleppten.
Um die Geschehnisse zu dokumentieren, fuhr Balluch mit anderen Aktivistinnen und Aktivisten regelmäßig zu Gatterjagden. Sie stellten sich an die Zäune, fotografierten und filmten. Immer wieder erstatteten sie wegen Tierquälerei Anzeige. Das wollten sich nicht alle Jäger gefallen lassen. Und so verband Balluch mit Mensdorff-Pouilly bald eine waschechte Feindschaft. Im November 2015 ersuchte der Lobbyist beispielsweise um eine polizeiliche Sperrzone rund um das Gatter in Bildein, um dort in Ruhe jagen zu können. Der damalige Chef der burgenländischen Polizei, der jetzige Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, erfüllte den Wunsch. 20 Beamte kontrollierten die Zufahrtswege zum entlegenen Wald.
Wenig später klagte Mensdorff-Pouilly Tierschützer Balluch. Die Aktionen an den Gattern seien nicht nur „Besitzstörungshandlungen“, sie hätten auch existenzbedrohende Ausmaße ausgenommen, stand im Jänner 2016 in der Klageschrift. „Jeden Tag fahren sogenannte Aktivisten mit ihren Autos durch die Ortschaft, jeden Tag rufen mich Bauern an: „Herr Graf, schon wieder sind die da, können Sie die nicht einmal fortschicken?„“, sagte Mensdorff-Pouilly damals in einem Interview mit „News“. Schließlich einigte man sich auf einen außergerichtlichen Vergleich. Balluch hat dennoch genug Erfahrung mit der Justiz gemacht, 2008 wurden er und neun weitere VGT-Mitglieder wegen der vermeintlichen Bildung einer kriminiellen Organistion in Untersuchungshaft genommen, am Ende des „Tierschützerprozesses“ aber in allen Punkten freigesprochen.
Zick-Zack-Kurs
Auf politischer Ebene zeigte die Gatterjagd-Kampagne des VGT große Wirkung. Zwischen 2017 und 2020 wurden in Niederösterreich, Wien und Salzburg die Gatterjagden verboten, in fünf anderen Bundesländern waren sie bereits davor illegal. Nur im Burgenland zog sich die Sache – und nahm einige Umwege. 2017 beschloss der Landtag zwar das Verbot, das die Auflösung der Gatter bis 2023 vorsah. Doch drei Jahre später nahm die Landesregierung diesen Schritt zurück. Unter strengen Auflagen und in Einzelfällen sollen sie weiterhin möglich sein, erklärte der zuständige Landesrat Leonhard Schneemann (SPÖ) im November 2020. Der VGT protestierte mit Transparenten und Mund-Nasen-Schutz – es war ja Corona – in Eisenstadt.
Dabei blieb es nicht. „Wir haben alles, was möglich war, gegen diesen Rückzieher unternommen“, sagt Balluch. Also sammelte der Verein Unterschriften, um eine Volksabstimmung zum Gesetz zu erzwingen – eine Möglichkeit, die der burgenländische Gesetzgeber seither mit höheren Hürden versah. Trotz niedrigen Temperaturen und Pandemie gelang es Balluch und seinen Leuten, die notwendigen 12.000 Unterschriften zu sammeln. Anstatt es auf die Volksbefragung ankommen zu lassen, erklärte die Landesregierung die Gatterjagd im Frühjahr 2021 für verboten und griff den alten Zeitplan wieder auf: Mit 1. Februar 2023 trat das Gesetz in Kraft.
Umgehungskonstruktion
Diese Fristsetzung stört den Unternehmer und Forstwirt Nikolaus Draskovich. „Stellen Sie sich vor, Sie leben in einem Haus und plötzlich macht die Behörde das Grundstück zum Grünland und sie müssen alles abreißen“, sagt er. „Das würden Sie doch auch nicht akzeptieren.“ Draskovich empfängt profil in Güssing in Lederhose und kariertem Hemd. Fotografiert werden möchte er nicht, aber seine Gatter könne man sehen. Im Ortszentrum hat die Familie seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein klassizistisches Schloss mit ausladender Grünanlage. In der Umgebung bewirtschaftet Draskovich 1400 Hektar Wald.
Zwei seiner Gatter hat er aufgelassen, bei zweien allerdings hat er die Zäune stehengelassen. Stattdessen hat er dort eine Sonderkonstruktion installiert. Die Zufahrtstore wurden entfernt, ersetzt wurden sie durch vier horizontale Baumstämme, die in geschweißten Verankerungen eingehängt werden. Rehe und Wildschweine hätten kein Problem die Barriere zu überwinden, sagt Draskovich, sie können dann das Gatter verlassen. „Aber wenn ich ganz aufmache, kommt das Rotwild und zerstört den Jungwald“, sagt er. „Sie zerbeißen mir Setzlinge und machen die Umsetzung des “klimafitten„ Waldes kaputt.“ Kämen Wildarten die bisher „draußen“ waren, sei die Vegetation im Wald empfindlich gestört. Ihm als Forstwirt und nachkommenden Generationen entgingen potenzielle Einnahmen. Der Abbau und die Entsorgung der Zäune würden außerdem eine sechsstellige Summe kosten. „Wenn meine Konstruktion nicht rechtens ist, steht mir eine ordentliche Entschädigung zu“, sagt er bei der Spazierfahrt in seinem Pickup entlang der Zäune.
Draskovich nennt Balluch einen „Gegner, den ich respektiere, auch wenn wir anderer Meinung sind“. Der Tierschützer will die ökologischen Bedenken nicht durchgehen lassen. „Das Problem ist ja hausgemacht“, sagt er. Immerhin haben auch in dessen Gattern Jagden stattgefunden, und viele der Hirsche seien im familieneigenen Zuchtbetrieb entstanden.
Ich habe gelernt, nicht zu allem etwas zu sagen.
Nicht ausjudiziert
Ob Draskovich mit seinem Provisorium dem Gesetz Genüge getan hat, ist nicht klar – vielleicht wird die Frage bald höhere Gerichte beschäftigen. Denn die Verbotsbestimmung ist relativ vage, sie legt lediglich fest, dass den Tieren das jederzeitige „Ein- und Auswechseln des Wildes in diese Gebiete“ möglich ist. Für den Grünen Landtagsabgeordneten Wolfgang Spitzmüller, der mit Balluch gegen die Gatter demonstriert hat, ist Draskovichs Konstruktion zu wenig. „Tiere merken sich Wege zu solchen Ein- und Ausgängen ja nicht“, sagt er. „Außerdem hindert es die Öffentlichkeit, die Wälder nutzen zu können. Wir sind in der Angelegenheit noch lange nicht fertig.“ Landesrat Schneemann ließ in einer Stellungnahme im April allerdings durchklingen, dass auch er die Entfernung der Zäune nicht als entscheidend erachte.
Noch einmal anders stellt sich die Frage beim Tiergarten der Esterházys. Denn die dortige Steinmauer kann man nicht ohne großen baulichen Aufwand entfernen. Noch steht sie unverändert, der Grüne Spitzmüller verweist aber darauf, dass man zumindest Teile davon abreißen oder Wildbrücken könnte.
Und dann ist da noch das Gatter in Bildein, das bei einem Lokalaugenschein von profil völlig unverändert wirkte. Möglicherweise leben darin gerade keine Tiere, das wäre ein mögliches Schlupfloch für Mensdorff-Pouilly. Der 69-Jährige Mensdorff-Pouilly selbst gab sich zugeknüpft. Eine Anfrage zum Zustand seines Gatters ließ er unbeantwortet. Vor einigen Wochen von profil nach seiner Einschätzung zur Gesetzeslage gefragt, sagte er: „Ich habe gelernt, nicht zu allem etwas zu sagen.“
Fest steht im sechsten Jahr der juristischen Causa um das Verbot der Jagdgatter nur eines: Auf Einladung und mit festgesetzten Tarifen darf darin nicht mehr geschossen werden. Die Besitzer haben sich an die Jagdzeiten, die auch in allen anderen Revieren herrschen, zu halten. Wer weiter im Gatter jagen möchte, kann das in Ungarn tun. Dort ist das weiterhin legal, im Internet gibt es Preislisten und All-Inclusive-Angebote. Aus dem Burgenland ist es nicht weit, aus Bildein schon gar nicht.