Hofburg-Wahl

Gedränge um die Hofburg – und ein Top-Favorit

Amtsinhaber Alexander Van der Bellen liegt in der ersten großen Umfrage zur Bundespräsidentenwahl mit 66 Prozent meilenweit vor seinen Mitbewerbern. Walter Rosenkranz, Kandidat der gebeutelten FPÖ, folgt mit nur 13 Prozent. Die große profil-ATV-Umfrage zur Wahl.

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Es ist ein Rückschritt in die Vergangenheit: Keine Partei hat es geschafft, eine Kandidatin für die Bundespräsidentenwahl aufzustellen – das gab es zuletzt 1980. 1986 kandidierte Freda Meissner-Blau für die Grünen, seither stand immer zumindest eine Frau auf dem Stimmzettel. Diesmal wohl nicht. 

21 Männer und zwei Frauen wollen für die Hofburg kandidieren und bemühen sich, bis 2. September die notwendigen 6000 Unterstützungs-unterschriften zu sammeln. Wie viele davon es auf den Stimmzettel für die Wahl am 9. Oktober schaffen, ist ungewiss – schon jetzt scheint aber klar: Es wird ein Gedränge am Stimmzettel herrschen, möglicherweise stehen erstmals sieben Kandidaten zur Wahl. 

Erwartet wird eine niedrige Wahlbeteiligung, was Umfragen schwierig macht. profil und der Fernsehsender ATV entschlossen sich daher, die Stichprobe zu verdoppeln – und gemeinsam die erste große Umfrage zur Bundespräsidentenwahl bei „Unique research“ zu beauftragen. Die Ergebnisse weisen einen haushohen Favoriten aus: Amtsinhaber Alexander Van der Bellen kommt mit 66 Prozent auf eine Zweidrittelmehrheit – alle anderen Kandidaten folgen weit abgeschlagen. Walter Rosenkranz, der für die zuletzt gebeutelte FPÖ antritt, erreicht mit 13 Prozent immerhin noch ein zweistelliges Ergebnis – alle anderen Kandidaten sind einstellig.

Ist die Wahl schon entschieden? Jein. Drei Thesen, warum dieser Wahlkampf noch ungemütlicher für Van der Bellen werden könnte, als es derzeit scheint.

Getümmel am Stimmzettel

FPÖ-Mann Walter Rosenkranz. Michael Brunner, Chef der Impfkritiker-Partei MFG. Gerald Grosz, Ex-FPÖ- und Ex-BZÖ-Politiker, Wutkommentator. Tassilo Wallentin, bis vor einer Woche Kolumnist der „Kronen Zeitung“, auch als FPÖ-Kandidat im Gespräch, unterstützt von Frank Stronach. An eher rechten Kandidaten herrscht kein Mangel, im Gegenteil. Manche – wie Wallentin – sind der breiten Öffentlichkeit bisher nur bedingt bekannt, das kann sich im Lauf des Wahlkampfs ändern, vor allem, falls die „Kronen Zeitung“ ihn unterstützt. Dazu kommt aus der Öko-Ecke der Unternehmer und Impfgegner Heinrich Staudinger (GEA Waldviertler). Und Bierpartei-Chef Dominik Wlazny – den viele Befragte allerdings nur als „Marco Pogo“ kennen. Eine Fülle von Kandidaten, die das Potenzial haben, einiges an Stimmen abzuziehen – zumal dann, wenn viele Wählerinnen und Wähler überzeugt sind, die Wahl sei ohnehin gelaufen.

Blaue Hochburg Hofburgwahl

Die Bundespräsidentenwahl ist keine klassische Parteienwahl. Denn gegen einen amtierenden Bundespräsidenten (Gendern erübrigt sich, in Österreich besetzte noch nie eine Frau das höchste Amt im Staat) verzichteten ÖVP und SPÖ häufig auf eine Kandidatur – was immer wieder Raum für freiheitliche Kandidatinnen und Kandidaten eröffnete. 

Im Jahr 1951 errang der Arzt Burghard Breitner, der in der Nazi-Zeit Zwangssterilisationen durchgeführt hatte, erkleckliche 15,4 Prozent bei der Bundespräsidentenwahl. Seither erzielten blaue Bewerber und Bewerberinnen immer wieder gute Ergebnisse – oft deutlich über den Resultaten ihrer Partei bei Nationalratswahlen: Wilhelm Gredler etwa kandidierte 1980 gegen Rudolf Kirchschläger und kam auf fast 17 Prozent – zu einer Zeit, als die FPÖ bei sechs Prozent grundelte.

Heide Schmidt wiederum trat 1992 gegen zwei starke Kandidaten der Großen Koalition an: Thomas Klestil, den unverbrauchten Diplomaten für die ÖVP, und den beliebten SPÖ-Verkehrsminister Rudolf Streicher. Trotz dieser übermächtigen Konkurrenz der damaligen Großparteien kam Schmidt auf bemerkenswerte 16,4 Prozent. (Und gründete wenig später das Liberale Forum.)

Und 2016, als Österreich fast ein Jahr lang versuchte, einen Bundespräsidenten zu wählen, markierte Norbert Hofer bei der ersten Stichwahl (die der Verfassungsgerichtshof aufhob) ein Ergebnis von 49,7 Prozent – das beste Resultat, das ein FPÖ-Politiker jemals verbuchen konnte. Diesmal überlassen ÖVP und SPÖ der FPÖ von vornherein das Feld, sie stellen gegen Amtsinhaber Alexander Van der Bellen keinen Kandidaten auf. 

Ein Ventil für Protest

Die Zustimmung für die beiden Regierungsparteien: im Keller. Die Stimmung im Land: nach langer Dauerkrise angespannt bis explosiv. So geschehen im Jahr 2016, als nach der langen Flüchtlingskrise die Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP viel Vertrauen verloren hatten. Die Auswirkung auf die Bundespräsidentenwahl ist bekannt: Die Koalitions-Kandidaten Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol, eigentlich ein beliebter Sozialminister und ein wortgewaltiger Verfassungsexperte, wurden bei der Bundespräsidentenwahl nach hinten durchgereicht und landeten gerade noch vor dem Wurstel Richard Lugner. Das Scheinwerferlicht galt Irmgard Griss, Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen, die um den Einzug in die Stichwahl ritterten.

Die Bundespräsidentenwahl von 2016 gilt als Paradebeispiel dafür, wie eruptiv sich aufgestauter Protest bei der Wahl für die Hofburg entladen kann. Und das macht den Wahlgang Anfang Oktober für Van der Bellen riskanter, als er für den Amtsinhaber eigentlich sein sollte.

Denn das Vertrauen der Bevölkerung zur ÖVP-Grünen-Regierung ist abgesackt, die Koalition erhält seit Monaten nur ein Drittel Zustimmung, ein Rekordtief. Das spiegelt sich in der aktuellen Sonntagsfrage: Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne haben längst ihre Mehrheit verloren, kommen gemeinsam derzeit auf mickrige 32 Prozent.

So niedrig lagen die Werte für eine Koalition noch nie. Die ÖVP befindet sich im Sinkflug und liegt wieder hinter der FPÖ, die Grünen gleichauf mit den NEOS. Und: Regierungschef Karl Nehammer hat jeglichen Kanzlerbonus eingebüßt und erreicht in der Kanzlerfrage nur 15 Prozent, weniger als SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, nur knapp mehr als FPÖ-Chef Herbert Kickl.

Und die Proteststimmung ist ausgeprägt: Wer immer gegen Corona-Maßnahmen, Lockdowns, Impfung, Russland-Sanktionen, Teuerung, Energiekrise rebellieren will – die Bundespräsidentenwahl ist die erste bundesweite Wahl, seit der Ausnahmezustand im Jahr 2020 mit Corona begann. 

Möglich, dass sich aufgestaute Wut über Van der Bellen entlädt – der zwar nicht in der Regierung sitzt, von Protestwählern aber als Teil des „Systems“ wahrgenommen wird.

Auftraggeber: profil & ATV; Rest auf 100%: k. A.; Methode: Kombination telefonische und Online-Befragung; Zielgruppe: Österr. Bevölkerung ab 16 Jahren; Max. Schwankungsbreite der Ergebnisse: 2,4 Prozentpunkte; Sample: n = 1615 Befragte; Feldarbeit: 10. bis 18. August 2022

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin