Gegenwind: Wie mächtig sind die Windkraft-Gegner?
Der größte Widerstand gegen Windkraft kommt ausgerechnet aus jenem Bundesland, in dem das erste Windrad Österreichs gebaut wurde – und in dem die größten Potentiale schlummern. Die Interessensgemeinschaft (IG) Waldviertel aus dem Norden Niederösterreichs gilt als die lauteste Bewegung gegen die Erschließung neuer Windräder. Würde es nach ihnen gehen, würde kein neues Windrad mehr gebaut werden, zumindest nicht in ihrer Region.
Im Oktober und November kampierten die Anti-Windkraft-Aktivisten tagelang im St. Pöltner Regierungsviertel, unweit von jenem Eingang, der zum Büro von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) führt. Nun wurde ihnen laut profil-Infos Einlass gewährt.
Termin bei der Landesregierung
Ende Oktober wurden Vertreter der Initiative laut profil-Infos ins Büro von Mikl-Leitner eingeladen, am vergangenen Freitag soll es einen zweiten Termin beim Land mit Experten gegeben haben. Die Windgegner durften vor einer Expertenrunde gegen 250 neue Windräder argumentieren, die das Land zusätzlich zu den bestehenden 750 Anlagen errichten will.
Die Gruppierung ist bestens organisiert. Sie versucht jedes einzelne Windparkprojekt im Waldviertel zu Fall zu bringen. Durch Bürgerproteste, durch Einwände bei Umweltverträglichkeitsverfahren und durch Druck auf die Lokalpolitik. So mancher Bürgermeister knickte bereits ein.
Um sich den Volkszorn zu ersparen, den ein Windpark mit sich bringen kann, setzen viele Ortschefs auf Volksbefragungen zum Thema – laut der Interessensgemeinschaft der Windparkbetreiber, der IG Windkraft, gab es seit 2004 österreichweit 62 solcher Abstimmungen. 23 geplante Parks wurden abgelehnt, 19 davon in Niederösterreich. Das entspricht einer Ablehnungsquote von 37 Prozent.
Die Landespolitik hat schon vor längerem Wind von den Protesten bekommen. Vor den Landtagswahlen sandte Mikl-Leitner ein Signal an die Windparkgegner: „Ich will keine neuen Windräder mehr in Niederösterreich“, sagte sie im November 2021, nur um dann wieder zurückzurudern: „Es wird nur keine neuen Windzonen mehr geben, Windräder sollen in Zukunft nach wie vor aufgebaut werden.“
Schwache Argumente
Michael Moser ist Sprecher für die IG Waldviertel. Das Label „Windkraftgegner“ weist er von sich, denn er beteuert, dass er nur gegen Windräder im Waldviertel kämpft – anderswo könnten sie laut Moser gerne gebaut werden. Damit erfüllen Moser und seine Mitstreiter die Definition von sogenannten „Nimby“-Initiativen („Not in my backyard“, zu deutsch: Nicht in meiner Nachbarschaft). Rückenwind erhält die Truppe vom aus Waidhofen stammenden Zweiten Landtagspräsidenten Gottfried Waldhäusl (FPÖ), der erst im Herbst öffentlich von einem „Windradwahnsinn“ sprach und sich selbst als „Schutzpatron des Waldes“ inszeniert.
Moser und seine IG, ein Zusammenschluss aus schätzungsweise 40 zumeist pensionierten Personen, verstehen etwas von Öffentlichkeitsarbeit. Immer wieder greift die Regionalpresse die Aktionen der Gruppe auf. Kürzlich verschickte sie eine 20-seitige Broschüre an rund 12.500 Haushalte in der Region Waidhofen an der Thaya. In dem Schrieb rief die IG dazu auf, gegen fünf geplante Windparks aktiv zu werden.
profil hat Experten zu den zentralen Argumenten der IG Waldviertel befragt. Soviel vorweg: Wirklich stichhaltig sind sie nicht.
Die IG Waldviertel führt den Artenschutz als einen ihrer Hauptgründe für einen Windradstopp an. Großvögel wie der Seeadler würden den Rotorblättern nicht früh genug ausweichen können. Der Ökologe Franz Essl von der Universität Wien widerspricht: „Auch wenn Windparks nahe an Nationalparks stehen, halten sich die Auswirkungen für Großvögel meist in Grenzen“, sagt er. „Der Großteil der Seeadler brütet in der Nähe von Windrädern – das sind die östlichen Gebiete um den Seewinkel, Neusiedlersee und die Donau-Auen. Der Seeadler war vor 20 Jahren noch fast ausgestorben, heute hat sich sein Bestand auf 60 Brutpaare vervielfacht.“ Das zeige: „Die Erholung dieser Vogelarten und die Nutzung von Windrädern ist kompatibel.“
Weiters behauptet die IG Waldviertel, dass Windenergie keine zuverlässige Energiequelle sei, da sie Zufallsstrom liefere. Es müssten immer andere Kraftwerke für die sichere Versorgung bereitstehen. Dazu antwortet Christoph Dolna-Gruber von der Österreichischen Energieagentur: „Keine Technologie alleine kann für Versorgungssicherheit im Stromsystem sorgen.“ Notwendig sei ein Mix an vielen Erzeugungsarten, kombiniert mit Speichern, robusten Stromnetzen und mehr Flexibilität beim Stromverbrauch. In diesem Mix spiele die Windkraft aber eine entscheidende Rolle, „denn im Gegensatz zu Photovoltaik und Wasserkraft liefert sie vor allem dann Energie, wenn unser Stromverbrauch am höchsten ist: In der kalten Jahreszeit.“
Hinzu komme, dass Windprojektentwickler Standorte eingehend prüfen würden, bevor Windräder gebaut werden. Standorte, die zu wenig oder nur unzuverlässig Windstrom liefern, sind wirtschaftlich nicht interessant und werden auch nicht erschlossen: “Wo Projekte geplant sind, passen auch die Bedingungen.”
Niederösterreich als „Powerhouse“
Wie Niederösterreich mit dem Thema umgeht, ist für ganz Österreich relevant. Denn dort schlummern die größten Potenziale für die Windkraft. Oder wie es Dolna-Gruber von der Energieagentur formuliert: „Niederösterreich ist das Powerhouse Österreichs.“
Ein weiteres Argument der Windgegner lautet, dass neue Windräder dem Klimaschutz widersprechen, da Wälder zubetoniert würden. Dabei sind gewisse Waldflächen ohnehin von der Bebauung ausgeschlossen, wie Thomas Hansmann von der Umweltanwaltschaft in Niederösterreich erklärt: „Eine Waldfläche allein ist noch kein Ausscheidungsgrund. Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete sowie Natura 2000-Gebiete sind aus unserer Sicht abzuschichten. Dort würde auch kein Windrad hinkommen.“ Laut Christoph Dolna-Gruber werden etwa 0,2 Hektar Wald für ein Windrad dauerhaft gerodet.
„Ein Windrad ist wie jedes Bauwerk ein Eingriff in die Natur“, sagt Ökologe Essl von der Universität Wien, sieht aber ein „gewisses Ungleichgewicht“ in der Debatte: „Wenn woanders massive Eingriffe gemacht wurden, die aus Sicht des Naturschutzes ähnlich problematisch wie einzelne Windräder sein können – zum Beispiel die Umfahrung Zwettl [sie liegt ebenfalls im Waldviertel, Anm.] –, hat es diese Proteste nicht gegeben.“
Neue Windzonen geplant
Niederösterreich hat bereits jetzt recht strenge Regeln für die Erschließung neuer Windparks. Auf 99 Prozent der Landesfläche darf kein Windrad gebaut werden. Innerhalb des einen Prozents kann eine Gemeinde Flächen für Windkraftanlagen widmen. Dafür braucht es ein eigenes Widmungsverfahren durch die jeweilige Gemeinde samt Gemeinderatsbeschluss, erklärt die zuständige Abteilung beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung gegenüber profil. Fällt das Verfahren positiv aus, muss jeder Windpark noch eine Umweltverträglichkeitsprüfung absolvieren. Die Kriterien dafür gibt der Bund durch das Klimaministerium vor. Die Gemeinden haben also volle Autonomie: Sie werden nicht gezwungen, Windräder zu errichten.
Ein Genehmigungsprozess kann bis zu zwölf Jahren dauern. Das kritisiert wiederum die IG Windkraft stark. Das führe nämlich auch dazu, dass veraltete Anlagen gebaut werden. Das Land Niederösterreich will die die jetzige Zonierung erweitern. Bis zum ersten Quartal nächsten Jahres sollen geeignete Flächen für zusätzliche Windräder gefunden werden, hört profil aus dem Land. Mikl-Leitner dürfte also von ihrer ursprünglichen Haltung ein wenig abrücken – Windkraftgegner hin oder her.
Das Ziel des Landes Niederösterreich sieht vor, den Stromertrag durch Windkraftleistung in den nächsten Jahren zu verdreifachen. Neben der Errichtung neuer Parks sei eine Modernisierung bestehender Anlagen geplant, ein sogenanntes Repowering – wenn alte Windräder durch neue Modelle mit höherer Leistung ersetzt werden, kann das in Summe deutlich mehr Strom in die Netze speisen. Das Land Niederösterreich hat dafür auch das Genehmigungsverfahren beschleunigt.
Ob sich die IG Waldviertel damit zufriedenstellen lassen wird, dass das größte Potential für neue Windräder im Bezirk Bruck an der Leitha und im Weinviertel liegt? Wohl kaum. Die Gruppierung plant bereits ihre nächsten Aktionen.