Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) heißt heute Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN).
Investigativ

Geheimdienst-Prozess: „Akt bleib liegen“

Mehrere ehemalige Verfassungsschützer stehen vor Gericht. Der Verdacht: Im Zuge eines Deals mit einem potenziellen Informanten soll das Asylsystem manipuliert worden sein. Wie das österreichische BVT in der obersten Geheimdienstliga mitspielen wollte und dabei manches aus dem Ruder lief.

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Das wäre James Bond nie passiert. Hollywoods Top-Spion hätte den wertvollen Überläufer hinter den feindlichen Linien hervorgeholt, ihn im dichten Kugelhagel in einer Luxus-Villa in Sicherheit gebracht, ihm alle Informationen entlockt, in der Zwischenzeit zwei bis drei Schönheiten verführt, mit Miss Moneypenny geschäkert und sich zum Abendausklang im Kasino einen Wodka-Martini (geschüttelt, nicht gerührt) gegönnt. Ein Nachspiel vor Gericht? Nicht bei 007.

Von der Kinoleinwand zur österreichischen Realität: Seit vergangenem Freitag müssen sich drei ehemalige Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT – die Behörde wurde mittlerweile umstrukturiert und heißt nun DSN) vor Gericht verantworten. Unter ihnen findet sich immerhin der ehemalige Leiter des Nachrichtendienst-Referats. Eigentlich sind sogar vier einstige Verfassungsschützer angeklagt. Einer von ihnen erschien allerdings nicht zum Prozessstart (dazu später mehr). Die Ex-BVTler teilen sich die Anklagebank mit einem einst hochrangigen Mitarbeiter der Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA).

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wirft den Männer Amtsmissbrauch in unterschiedlichen Ausformungen vor. Grundsätzlich geht es um eine 2015 gestartete BVT-Operation mit Codenamen „White Milk“, die letztlich alles andere als nach Plan verlaufen ist. In Partnerschaft mit dem israelischen Geheimdienst Mossad sorgten die BVTler dafür, dass ein desertierter syrischer General in Österreich als potenzieller Informant Unterschlupf fand. Dabei soll – so der Verdacht der WKStA – allerdings das Asylsystem manipuliert worden sein. Als dann auch noch Foltervorwürfe gegen den Syrer auftauchten, hätten sich die Verfassungsschützer zu lange Zeit gelassen, die Justiz zu informieren, und stattdessen gegen die NGO, welche die Vorwürfe erhob, zu ermitteln begonnen.

Die Beschuldigten haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten. Doch auch unabhängig von allfälligen strafrechtlichen Aspekten wirft der Fall strukturelle Fragen auf: Was genau dürfen Österreichs Nachrichtendienstler eigentlich? Wie viel internes Misstrauen verträgt eine Organisation, in der eigentlich gesammeltes Wissen zusammenfließen sollte? Hat Österreich überhaupt das Zeug, bei den Großen der Geheimdienstwelt mitzuspielen? Und nicht zuletzt: Darf man einem „befreundeten Partnerdienst“ alles glauben?

Der Mann, der etwas wusste

Khaled H. war eine größere Nummer im Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad: Geheimdienstoffizier im Rang eines Brigadegenerals, Leiter einer Abteilung des Statssicherheitsdiensts in der Stadt Raqqa, in der sich besonders starker Widerstand gegen den Machthaber zeigte. Kurz bevor Raqqa im Jahr 2013 von Rebellen erobert wurde, setzte sich H. ins Ausland ab. Der desertierte General landete in Frankreich, wo er um Asyl ansuchte.

Ein Regime-Insider wie H. steht naturgemäß ganz oben auf dem Informanten-Wunschzettel. Im konkreten Fall war es der israelische Mossad, der den Überläufer akquirieren wollte. Doch in Frankreich ließ sich das nicht so unproblematisch umsetzen, weshalb der Mossad an Österreich herantrat. Das BVT schloss mit dem israelischen Geheimdienst eine Kooperationsvereinbarung: der syrische General würde in Österreich untergebracht, die Israelis die finanziellen Mittel dafür bereitstellen.

Der Ex-General wurde im Juni 2015 vom Mossad mit dem Auto nach Österreich gebracht und in Salzburg an einen BVTler übergeben, der dann in weiterer Folge mit dem Mann nach Wien und ins Asyl-Erstaufnahmezentrum Traiskirchen fuhr. Der potenzielle Informant brauchte schließlich einen ordentlich Aufenthaltstitel. Und hier setzt der erste Anklagevorwurf an.

Lizenz für gar nichts

Dass James Bond nie vor dem Richter landet, liegt daran, dass der Actionheld nicht nur über eine Lizenz zum Töten verfügt, sondern auch alles andere tun und lassen darf, was seiner Mission dienlich ist. Hier liegt der große Unterschied zwischen Kinoleinwand und Rechtsstaat. Der österreichische Verfassungsschutz hätte nicht einmal das Pouvoir, geltende Asylregeln außer Kraft zu setzen, um einem Überläufer behilflich zu sein.

Die Angeklagten bestreiten ohnehin, dass sie das getan hätten. Die WKStA hegt jedoch genau diesen Verdacht – und verwies in ihrem Eröffnungsplädoyer vergangene Woche auf ein E-Mail des BFA-Mitarbeiters an einen der BVT-Beamten. Laut WKStA soll darin eine Möglichkeit geschildert worden sein, wie Österreich eine Zuständigkeit für das Asylverfahren des Syrers erlangen könnte, obwohl eine solche – durch dessen früheren Antrag in Frankreich – eigentlich gar nicht gegeben gewesen sei. Österreich hätte zwei Monate Zeit gehabt, Frankreich zu informieren und den General zurückzuschicken, argumentiert die WKStA. Im Mail heißt es: „es kann aber passieren, dass die frist für ein konsultationsverfahren abläuft. Kommt öfters vor.“ Und: „akt bleib (sic!) liegen.“

Der Anwalt des BFA-Mitarbeiters erklärte vor Gericht, sein Mandant habe beim Verfassen dieses E-Mails nur über allgemeine Informationen verfügt. Österreich könne auch ohne Angabe von Gründen ein Asylverfahren an sich ziehen.

Tatsächlich wurde dem syrischen Ex-General im Dezember 2015 Asyl zuerkannt. Doch schon im Jänner 2016 begann die Aktion aus dem Ruder zu laufen. Eine internationale Nicht-Regierungsorganisation Namens CIJA schlug im Justizministerium auf und stellte den Verdacht in den Raum, H. würde sich möglicherweise in Österreich aufhalten und könnte für Folterung in Syrien mitverantwortlich sein. Bei der Besprechung waren auch BVTler anwesend, die haargenau wussten, dass der Syrer seit Monaten im Land war. Letztlich informierte das BVT aber erst einige Wochen später die Justiz. Laut WKStA hätten die Beamten dadurch gegen ihre Berichtspflicht verstoßen. Deren Anwälte bestritten das vor Gericht. Hinter vorgehaltener Hand heißt es im Geheimdienst, dass es auch verheerend gewesen wäre, in einem Termin mit einer bis dato unbekannten Organisation Details aus einer geheimen Operation zu unterbreiten.

Dass bei einer Dienstreise die vermutete CIJA-Zentrale in den Niederlanden fotografiert und unter die Lupe genommen wurde, wertet die WKStA wiederum als verbotene Ermittlungsmaßnahme. Letztlich wird sich das Gericht auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sich das BVT mehr für die CIJA interessierte als für Foltervorwürfe gegen den Informanten. Laut einem der Verteidiger vertraute man im BVT den Angaben des Mossads, denen zufolge der Verdacht nicht zutreffen würde. Als dann jedoch Frankreich den Ex-General 2018 international zur Fahndung ausschrieb eskalierte die Situation. Die damalige BVT-Führung wandte sich selbst an die WKStA. (Ermittlungen zu den Foltervorwürfen, welche die Staatsanwaltschaft Wien führt, sind übrigens bis heute nicht abgeschlossen. Der Syrer hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten.)

Der unsichtbare Erste

Der höchstrangige Angeklagte – und Justiz-Jargon auch „Erstangeklagte“ – ist Martin W., früherer Abteilungsleiter im BVT. W. heuerte später im Umfeld des damaligen Wirecard-Vorstands Jan Marsalek an und soll auch in die Organisation von dessen Flucht involviert gewesen sein. Der Ex-BVT-Beamte hat strafrechtliches Fehlverhalten immer bestritten. Mittlerweile soll er sich in Dubai aufhalten. Dem Prozessauftakt in der Causa „White Milk“ blieb er fern – aus gesundheitlichen Gründen wie er behauptete. Die WKStA will nun ein Gutachten über seine Transport- und Verhandlungsfähigkeit einholen lassen.

Ein Quantum Frust

W. war auch einst einer von vier zentralen Zeugen der WKStA, bevor die Behörde im Februar 2018 eine aufsehenerregende Razzia im BVT durchführte. (Diese wurde später vom Oberlandesgericht Wien für unrechtmäßig erklärt, die WKStA hätte um Amtshilfe ersuchen müssen.) In der Folge befand sich die Behörde endgültig im Ausnahmezustand. Von Grabenkämpfen, Misstrauen und Intrigen dürfte das BVT jedoch auch zuvor schon geprägt gewesen sein. Laut Anklageschrift sollen etwa elektronische Akten so angelegt worden sein, dass sie für Dritte nicht auffindbar waren. Zusammenführung und Auswertung von Informationen und Wissen scheint in einer solchen Struktur schwierig. Von den Ursprungsvorwürfen ist jedenfalls auch nach jahrelangen Ermittlungen kaum etwas übrig.

Die WKStA bemühte sich vergangene Woche vor Gericht, die Causa um den General als unabhängig von der Razzia darzustellen. Fest steht: Wenn geheimdienstliche Operationen auffliegen, hat das meist etwas Peinliches an sich. Im Unterschied zu James Bond war „Operation White Milk“ niemals für die Kinoleinwand gedacht.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).

Anna  Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.