Geld gegen Lunge: Was wurde aus den Vorwürfen gegen Walter Klepetko?
„Amtszeugnis“ steht über dem Dokument. Mit wenigen, nüchtern abgefassten Sätzen besiegelt die Oberstaatsanwältin am 18. Mai das Ende eines bösen Spuks: „Die Erhebungen lieferten keinerlei Anhaltspunkte, die auf ein strafbares Verhalten hindeuten, geschweige denn die erhobenen Vorwürfe indizieren.“ Und nun?
Walter Klepetko, 67, empfängt profil im Dachgeschoss der „Wiener Privatklinik“. Auf seinem Schreibtisch steht das in Acryl gegossene Modell einer transplantierten Lunge. Es ist das Geschenk eines Patienten und zugleich eine Mahnung an die Zerbrechlichkeit des Lebens. Zweieinhalb Jahre lang hatte der international angesehene Transplantationsmediziner mit Anschuldigungen gelebt, die zu zerstören drohten, woran er gearbeitet und geglaubt hatte, seine Reputation und ein Lebenswerk, das weit über die Grenzen ausstrahlt.
Bestechlichkeit stand im Raum. Gewerbsmäßiger Betrug. Gefährdung der körperlichen Sicherheit. Was bleibt, nachdem die Vorwürfe widerlegt sind? Für Klepetko vor allem die Bestätigung, dass seine Lebenszeit für Bitterkeit und Zank zu schade ist: „Ich will mich wieder den positiven Dingen widmen.“ Dafür braucht es nicht Rache, sondern Rehabilitierung.
Ins Rollen gebracht hatte den vermeintlichen Skandal die „Süddeutsche Zeitung“. Eine 47-jährige Griechin habe in Wien „seltsam schnell“ eine Lunge eingepflanzt bekommen, vermeldete das Blatt im Oktober 2019. Innerhalb weniger Stunden habe die Patientin aus Athen das lebensrettende Organ erhalten, andere würden Monate oder länger warten. Und: Die Griechin sei nicht die einzige Nutznießerin gewesen. „Über Jahre hinweg erhielten internationale Patienten in großer Zahl eine Spenderlunge, und dies zulasten österreichischer Kranker.“ Ein gefundenes Fressen für den Boulevard. „Keine Lunge: 55 Patienten tot“, titelte die „Kronen Zeitung“.
Im Leben Walter Klepetkos blieb danach kein Stein auf dem anderen. Der Thoraxchirurg hatte 1989 einem Wiener die erste Spenderlunge Österreichs eingepflanzt, daraufhin im AKH eines der größten Lungentransplantationszentren der Welt aufgebaut – und Österreichs Rennfahrerlegende Niki Lauda operiert. Als Motiv unterstellte die „Süddeutsche Zeitung“ Klepetko Geldgier: Er habe von den ausländischen Patienten überhöhte Honorare kassiert.
Drei Tage nach Erscheinen des Artikels erreichte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien ein 70-seitiges Dossier. Anonym. Der Verfasser, offenkundig ein Insider, hatte eine Menge interner Daten aus dem AKH zusammengetragen; auch aus dem Führungskreis des Eurotransplant-Netzwerks, einer Kooperation aus acht Staaten, der die Vergabe von Organen obliegt, flossen Informationen.
Die Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln. Die Ärztekammer sprang dem von Klepetko geleiteten Transplantationszentrum der Medizinischen Universität Wien zur Seite und räumte die Unterstellung aus, verrechnete Honorare seien nicht rechtens und zu hoch gewesen. Bei ausländischen Patienten – etwa im Fall der erwähnten Griechin – seien „Aufschläge auf den Tarif der österreichischen Privatkrankenversicherungen üblich“. Die von Klepetko verrechneten (und überwiegend an sein Team weitergereichten) Honorare seien „angemessen“.
Auch Eurotransplant hielt im Fall der Griechin fest, es gäbe keine Beanstandungen. Der Transplant-Beirat des Österreichischen Instituts für Gesundheitswesen (Öbig) nahm sowohl die Organ-Bilanzen als auch die Wartelisten-Mortalität unter die Lupe. Fazit: Österreich hatte keinerlei Nachteile durch Klepetkos Kooperationen mit Griechenland und anderen Oststaaten, im Gegenteil: 70 Lungen mehr standen österreichischen Patienten laut Öbig in der vergangenen Dekade zur Verfügung, als an ausländische Patienten abgegeben wurden. Die Kooperation lohnte sich aber auch für osteuropäische Länder: 1994 operierte Klepetko die ersten tschechischen Patienten in Wien und lehrte die Kollegen aus Prag die komplexe Prozedur. Seit 1997 transplantiert man in Prag im eigenen Zentrum. Es folgten Verträge mit Ungarn, Estland und Kroatien, die mittlerweile ebenfalls eigenständig operieren.
Hatte der Erfolg Neider auf den Plan gerufen?
Angesichts des vermeintlichen „Organ-Krimis“ („Kronen-Zeitung“) startete die MedUni Wien ein international besetztes Audit-Verfahren. Im März 2020 lag der Abschlussbericht vor. Auch hier das Fazit: Alles korrekt. Daneben gingen die Ermittlungen der WKStA weiter. Dutzende Zeugen wurden befragt, darunter Rektor Markus Müller. Er legte den Ermittlern sinngemäß dar, was er im profi-Gespräch wiederholt: „Das war ganz offensichtlich ein Komplott, das lange vorbereitet wurde und zum Ziel hatte, die Lebensleistung eines weltweit bekannten Chirurgen zu diskreditieren.“ Sollte der Urheber jemals gefunden werden, drohen ihm dienstrechtliche Konsequenzen.
Nicht alle im Haus goutierten Klepetkos grenzüberschreitende Aktivitäten. Zu den Kritikern gehört auch Günther Laufer, heute Leiter der Klinik für Herzchirurgie im Wiener AKH, vor der Bestellung Klepetkos interimistischer Chef der chirurgischen Klinik. Im November 2019 erschien er mit dicken Büroordnern zu einer Sitzung des Österreichischen Instituts für Gesundheitswesen. Seine Unterlagen sollten „Transplanttourismus und Transplantkommerzialisierung“ in Klepetkos Abteilung belegen. Am Ende wurde abgestimmt. Die von Klepetko vorgelegten und von der Öbig geprüften Daten wurden mehrheitlich angenommen. Die einzige Gegenstimme stammte von Laufers Gattin.
Laufer sitzt im Eurotransplant-Vorstand. Er hat sich dort eigenen Angaben zufolge immer dafür ausgesprochen, die Kooperationen mit den Ostländern zu beenden, weil sie zum Nettoverlust von Spenderlungen geführt hätten, so Laufer in einer Stellungnahme gegenüber profil 2020. Dass die Staatsanwaltschaft nun „mehr als zwei Jahre intensiv ermittelt hat“, zeige doch, „dass ein begründeter Anfangsverdacht gegeben war, der sich jetzt zum Glück nicht bestätigt hat“. Auch die Ermittlungen, die keinen der anonym erhobenen Vorwürfe erhärteten, sieht Laufer in einem positiven Licht : „Ich denke, dass damit sehr viel mehr Transparenz geschaffen wurde und jetzt mehr ÖsterreicherInnen transplantiert werden.“ Und er stellt klar, „keinesfalls Unterlagen an die Süddeutsche Zeitung“ weitergeleitet zu haben.
Wie blickt Walter Klepetko heute zurück? Er sei anfangs „schwer erschüttert“ gewesen, und es sei ihm rasch klar geworden, „dass ich meine ganze Kraft hineinlegen muss, um zu beweisen, dass nichts davon wahr ist“, sagt Klepetko im profil-Gespräch: „Wir konnten ja mit Fug und Recht behaupten, dass wir an unserer Abteilung optimale Umstände für Patienten geschaffen haben.“
Doch die Schlagzeilen hinterließen Spuren. „Vor allem die Menschen auf der Warteliste waren verunsichert“, sagt Günther Gansger vom Verband der Herz- und Lungentransplantierten. Sie befürchteten einen Operations-Stopp während laufender Ermittlungen. „Für manche ging es um Wochen, die sie ohne eine neue Lunge noch durchgehalten hätten“, sagt Gansger. Dass Klepetko jemanden gegen Geld vorgereiht haben soll, hätte unter den Transplantierten niemand geglaubt: „Wir waren überzeugt, dass es nur darum ging, ihn anzupatzen.“
Im Oktober 2019 demonstrierten ehemalige Patienten vor dem Wiener Stephansdom. Sie hielten Schilder in die Höhe, auf denen stand: „2000 Leben gerettet. Danke Prof. Klepetko und seinem Team“. Auf Tafeln war die Zahl der „geschenkten Lebensjahre“ notiert, die seit der Lungenoperation vergangen waren: zehn, elf, 15, in einem Fall sogar 16. Auch Gansger lebt seit fünf Jahren mit einer gespendeten Lunge. Es gehe ihm hervorragend, sagt er, zumal Walter Klepetko völlig reingewaschen sei. Im Burggarten widmeten bulgarische Patienten den Wiener Lungentransplanteuren einen Rosenstrauch, aus Dankbarkeit dafür, „dass wir leben dürfen“.
Erst Ende des vergangenen Jahres wurde Klepetko selbst von der Staatsanwaltschaft einvernommen. Inzwischen war hier ein zweites, 30-seitiges Konvolut eingelangt. Ebenfalls anonym. Es versuchte zu belegen, dass der Ex-Fomel-1-Pilot und spätere Airline-Gründer Niki Lauda, dem Klepetko im August 2018 eine Lunge eingepflanzt hatte, für eine Transplantation nicht infrage gekommen sei. Lauda sei zu alt und zu krank gewesen, so der Vorwurf. Auch diese Anschuldigung entkräftete Klepekto: Lauda lebte nach dem schweren Eingriff noch elf Monate; er sei letztlich an den Folgen einer Grippe verstorben, die er sich bei einem Weihnachtsurlaub auf der spanischen Ferieninsel Ibiza zugezogen hatte.
Der angebliche Skandal schuf Fakten. So musste Kroatien schneller auf eigenen Beinen stehen als geplant. Wegen der Ermittlungen platzten OP-Termine kroatischer Patienten im AKH. Lungentransplantationen bei Ausländern wurden per Weisung untersagt. „Das war ein Desaster und kostete mindestens einen unserer Patienten das Leben“, sagt Miroslav Samarzija vom Transplantationszentrum Zagreb. Doch das Team um Klepetko und seinen Nachfolger Konrad Hötzenecker habe ihn nicht im Stich gelassen. Nachdem Samarzija sein Zentrum binnen sechs Monaten aufgerüstet hatte, reisten die Österreicher fünf Mal nach Zagreb, um ihm bei Operationen beizustehen. Für einen jungen Patienten auf der Warteliste kam dies allerdings zu spät.
Griechenland hat indes einen Schlussstrich unter seine Kooperation gezogen.
Der Grund: Eurotransplant hatte die Vergabe einer Lunge an die griechische Patientin zuerst als regelwidrig gerügt und erst später eingeräumt, dass die Organzuteilung rechtens war. „Wir informieren Sie über unsere Entscheidung, dass wir von nun an alle überschüssigen Organe anderen europäischen Organisationen anbieten“, schrieb Andreas Karabinis, Präsident der Hellenic Transplant Organization im November 2019. Ein schwerer Verlust für Eurotransplant: Die Griechen hatten immerhin zwölf bis 14 Lungen im Jahr mehr geliefert, als sie selbst verpflanzt hatten.
Klepetko sagt, selbst in den härtesten Phasen habe man sich bemüht, die Fäden nicht reißen zu lassen. Sein Team habe einen „Zusammenhalt der Extraklasse“ an den Tag gelegt, habe neben der normalen Arbeit im OP-Saal und am Krankenbett wochenlang Unterlagen für die Staatsanwaltschaft zusammenzutragen. Während der Pandemie fand in seiner Abteilung die weltweit erste Covid-Lungentransplantation statt, über 30 weitere folgten, so viele wie in keinem anderen Land. Mehrmals flogen Chirurgen seines Teams nach Griechenland, nach Slowenien oder Kroatien, um bei Lungen-OPs zu helfen. Von insgesamt neun grenzüberschreitenden Transplantations-Programmen laufen mittlerweile sechs ohne Unterstützung aus Wien, drei scheiterten: in Rumänien waren die logistischen Hürden zu groß; in Bulgarien zerschellte die Initiative an der Pandemie; in der Ukraine, aus der im vergangenen Herbst ein sechsköpfiges OP-Team zum Transplantationstraining im AKH angereist war, fuhr der Krieg dazwischen.
In Klepetkos Büro hängt eine alte Fotografie, die den aufstrebenden Thoraxchirurgen in seinen 30ern zeigt. Er sei sein ganzes berufliches Leben lang mit Freude ins AKH gegangen, sagt Klepetko: „Ich muss schon zugeben, dass ich für einen gewissen Zeitraum diese Freude nicht mehr empfunden habe.“ Inzwischen sei sie „Schritt für Schritt“ zurückgekehrt. 2019 legte Klepetko die Leitung der Uni-Klinik in die Hände von Konrad Hötzenecker. Bis Ende September stehe er seinem Nachfolger als „gemeiner Professor“ zur Seite, denn das Wissen muss weiterfließen. Er habe „immer alles, was ich gelernt habe, sofort geteilt und nie die Angst gehabt, dass mir jemand etwas wegoperiert“, sagt Klepetko. Zu tun gäbe es genug. Für alle.
Seit dem Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft sei quasi amtlich, „dass Transplantationen bei uns absolut sauber und nach bestem Wissen und Gewissen ablaufen“. Auch Eurotransplant und die „Süddeutsche Zeitung“ sollten das erfahren. Kürzlich legte Klepetko in Schreiben an beide Adressen den „Verlauf eines nunmehr über zwei Jahre gelaufenen Verfahrens, dessen Ausgangspunkt ein offenkundig unrichtiger Bericht in der SZ war“, dar. Den Einstellungsbescheid der WKStA fügte er bei und knüpfte daran die Frage, wie man sich eine Rehabilitierung vorstelle. Die Antworten stehen aus.