Warum ein Gemeinderat Infos von der Stadt Wien einklagen muss
Wie viel Geld geben Stadträte für PR aus? Welche Unternehmen haben Aufträge von der öffentlichen Hand bekommen? Wie hat sich die Zahl rechtsextremer und islamistischer Straftaten entwickelt?
Mit Fragen wie diesen können Abgeordnete in Landtagen, im Bundesrat und im Nationalrat (hier braucht es die Unterschrift von mindestens fünf Mandataren) die Arbeit der Regierenden kontrollieren, Informationen aus den Zentren der Macht erfragen und den medialen Fokus auf die Themen der Anfragen lenken. Parlamentarische Anfragen sind eines der wichtigsten Tools, das Abgeordneten zur Verfügung steht. Die Grundlage dafür bildet das sogenannte Interpellationsrecht (Anfragerecht) und steht in der Bundesverfassung. Insbesondere Oppositionsparteien decken Regierungspolitiker regelmäßig mit solchen Anfragen ein. Voraussetzung: Die Fragen müssen einen Bezug zur Tätigkeit der Regierungsmitglieder und der ihnen unterstehenden Organe und Unternehmen haben. Alleine im Jahr 2024 richteten Nationalratsabgeordnete in Summe 2407 Anfragen an Regierungsmitglieder.
Warum das Fragerecht Schwächen hat
Doch das Fragerecht hat eine entscheidende Schwachstelle, wie ein aktueller Fall des Wiener Grünen-Gemeinderats Georg Prack zeigt. Der Wohnbausprecher seiner Partei stellte im März 2024 eine Anfrage und wartet seither auf Antworten. Sein Begehr kann man als nerdig bezeichnen, es hat aber einen ernsten Hintergrund.
Immer wieder sollen findige Immobilienentwickler alte Zinshäuser mutwillig verfallen lassen. An sich dürften diese Altbauten nicht abgerissen werden, es gibt aber eine Ausnahme: Wenn es sich nicht mehr rechnen würde, das Objekt zu sanieren, können die Eigentümer bei der Stadt die „wirtschaftliche Abbruchreife“ feststellen lassen, das Haus schleifen und einen Neubau aufziehen.
Prack wollte herausfinden, wie vielen Häusern im Jahr 2023 diese „Abbruchreife“ zugesprochen wurde – und wo sie stehen. Nicht an jeder dieser Adressen muss gleich ein Spekulationsobjekt angesiedelt sein, aber Prack wollte die Häuser abfahren und sich selbst ein Bild machen, indem er die verbliebenen Mieter befragt.
„Absurdität“
Für das Jahr 2022 hatte ihm die rote Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál eine gleichlautende Anfrage noch beantwortet. Für 2023 verweigerte sie die Auskunft mit dem Verweis auf „Datenschutz“. Lediglich die Zahl der betroffenen Häuser, nicht aber die Adressen, teilte sie Prack schriftlich mit.
Eine „schöne Absurdität“ nennt Prack das. Gerne hätte er die Vollziehung kontrolliert und sich angesehen: Welche Gebäude bekamen die Bewilligung – und welche nicht?
An dieser Stelle wird die Schwäche des Fragerechts deutlich: Über die Nichtantwort kann sich Prack zwar öffentlich empören, das bleibt aber ohne Konsequenzen. Anders als bei Gerichtsverfahren gibt es keine zweite Instanz, ja noch nicht einmal eine Schlichtungsstelle.
Das heißt: Abgeordnete müssen sich darauf verlassen, dass Regierende ihre Fragen wahrheitsgemäß beantworten und dass sie, falls sie die Auskunft verweigern, dafür triftige Gründe haben.
Gemeinderat geht zum Gericht
Prack wollte das nicht auf sich sitzen lassen und tat etwas, das jedem Bürger und jeder Bürgerin offensteht – und womit auch Journalisten (zum Beispiel von profil) Erfahrung haben: Er stellte eine Anfrage nach dem Wiener Auskunftspflichtgesetz; mit denselben Fragen, auf die er als Abgeordneter keine Antworten bekommen hat.
Die Stadt hat daraufhin mit derselben Argumentation die Auskunft wieder verweigert. Doch das Auskunftspflichtgesetz bietet einen relevanten Vorteil gegenüber parlamentarischen Anfragen: Bei Nichtantwort kann der Auskunftswerber einen Bescheid verlangen, in dem die Behörde ihre Informationsverweigerung rechtlich begründen muss. Und gegen diesen Bescheid sehr wohl Rechtsmittel zur Verfügung.
Prack focht den Bescheid an. Es vergingen Monate, bis ihn Mitte Jänner ein Brief des Verwaltungsgerichts Wien erreichte. Der Schrieb liegt profil vor. Ergebnis: Prack bekam Recht, die Stadt muss „ohne nötigen Aufschub“ alle Informationen herausrücken, auch die Adressen der sogenannten „Abbruchhäuser“.
Die Formulierung „ohne nötigen Aufschub“ erweist sich allerdings als dehnbarer Begriff. Denn sechs Wochen nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat Prack die Adressen noch immer nicht bekommen. „Ich werde sie heute nochmals einfordern“, sagt der Grüne zu profil.
Forderung nach Reform des Fragerechts
Mit dem Fall Prack wollen die Grünen den Scheinwerfer auf die Schwachstellen im Anfragenrecht lenken. Sie fordern eine Reform und nehmen sich dafür das Organstreitverfahren aus Deutschland zum Vorbild: Dort ist das Bundesverfassungsgericht dafür zuständig, bei Konflikten zu klären, ob Ministerien eine Frage von Bundestagsabgeordneten korrekt beauskunftet haben. Stellt das Gericht fest, dass die Anfrage nicht verfassungskonform beantwortet wurde, werden die Antragsgegner aufgefordert, die Anfrage neuerlich zu beantworten.
Anders im österreichischen Nationalrat, wo nur eine zahnlose Beschwerdemöglichkeit besteht: Sind Abgeordnete mit einer Beantwortung unzufrieden, können fünf von ihnen eine Debatte darüber verlangen. Im Zuge der Sitzung können sie dann den Antrag stellen, dass der Nationalrat die Antwort des Ministeriums nicht zur Kenntnis nehmen solle. Bisher wurden solche Anträge allerdings stets von der Regierungsmehrheit abgeschmettert.
In ihren Reformwünschen würden sich die Stadt-Grünen schnell mit der SPÖ einigen werden – allerdings nur mit der Bundespartei. Mehr als sechs Jahre auf der Oppositionsbank haben auch bei den Sozialdemokraten das Bewusstsein für Minderheitenrechte geschärft. Schon vor Jahren wetterten der frühere SPÖ-Klubvizechef Jörg Leichtfried und Neos-Klubvize Nikolaus Scherak gegen „das willkürliche Zusammenfassen von Fragen, Uminterpretieren der Fragen, Vorschieben von in der Bundesverfassung nicht vorgesehenen Gründen, Zirkelverweise auf andere Anfragebeantwortungen, Berufung auf das Amtsgeheimnis und auf angebliche Unzuständigkeit“. Ähnliche Kritikpunkte brachte auch FPÖ-General Christian Hafenecker vor.
Ob sich SPÖ und Neos in der künftigen Bundesregierung an ihre Kritik am Anfragerecht zurückerinnern? Mal sehen.