Gemeinderatswahl in Niederösterreich: Wo die FPÖ am Vormarsch ist
Schriftgröße
Klaus Schneeberger vergleicht sich mit einem Skispringer. „Wer bei Gegenwind weit vorne bleibt, bekommt automatisch Aufwind“, sagt der 75-jährige ÖVP-Bürgermeister von Wiener Neustadt, der seit einem Jahrzehnt die Geschicke der Stadt lenkt. Doch auch der beste Skispringer kann strudeln – und in Niederösterreich herrscht gerade ein besonders rauer Wind. 568 niederösterreichische Gemeinden wählen am Sonntag neue Gemeinderäte. Die FPÖ stellt derzeit keinen einzigen Bürgermeister – hofft aber auch bei diesen Wahlen auf Aufwind. Die ÖVP zittert um ihre 451 Ortschefs.
Kein „Beiwagerl“ in Wiener Neustadt
Der 75-jährige Schneeberger setzt trotzdem auf einen klaren Sieg und macht keinen Hehl daraus: Für ihn gibt es nur zwei Optionen – Platz eins oder Rückzug. Sollten die Freiheitlichen das Rennen um das Bürgermeisteramt machen, lautet seine Antwort: „Ich und Vize? Sicher nicht.“ Das Ziel: Erfolgreich landen und ganz oben am Stockerl stehen, „aber wenn ich nicht die Mehrheit bekomme, gibt es mich nicht mehr“. Ein „Beiwagerl“ möchte er in seinem Alter nicht mehr sein. Im Gegensatz zu seinem Vize-Bürgermeister und VP-Chef Christian Stocker (er ist 64 Jahre alt), der aktuell als Juniorpartner in den Regierungsverhandlungen mit Herbert Kickl (FPÖ) steckt. Schneeberger hält große Stücke auf Stocker, lobt dessen Engagement, „er hat viel in der Stadt bewegt“, die Rolle als Vize der Blauen möchte er aber keinesfalls teilen.
Ob Stockers Funktion im Bund den Schwarzen in seiner politischen Heimatstadt Wiener Neustadt nachhaltig schaden könnten? ÖVP und FPÖ blicken dort auf ein gemeinsames Erfolgsmodell zurück. Schneeberger und seine Partei zimmerten in Wiener Neustadt vor zehn Jahren einen Pakt mit der FPÖ und drehten die Stadt, die zuvor 70 Jahre eine rote Hochburg war. Selbst die Grünen stimmten im Gemeinderat für Schneeberger als Bürgermeister. Am Pakt beteiligt waren damals auch der heutige Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer und Generalsekretär Michael Schnedlitz (beide FPÖ). Schnedlitz will sich fortan um seine Aufgaben im Bund kümmern, sein Nachfolger ist der 35-jährige Philipp Gerstenmayer, der als neuer Bürgermeister ins Rathaus einziehen möchte. Gerstenmayer zeigt sich zurückhaltend, wenn es um Prognosen geht. „Glaskugelschauen“ wolle er nicht betreiben, Koalitionspartner ausschließen aber auch nicht. Schneeberger sieht das ähnlich. Was in Wien politisch brodelt, habe in Niederösterreichs Gemeinden wenig Einfluss, sagt er. Dort gehe es um Persönlichkeiten, nicht um Parteipolitik. Ob das der Grund ist, warum auf Schneebergers Wahlplakaten das ÖVP-Logo fehlt? „Wichtiger als jede Partei: Unser Bürgermeister!“, prangt darauf.
Waidhofen unter Waldhäusl
Einer, der den Aufwind genießt, ist Gottfried Waldhäusl. Der zweite Landtagspräsident Niederösterreichs rechnet sich große Chancen aus, der erste blaue Bürgermeister von Waidhofen an der Thaya zu werden. Dort regiert derzeit Josef Ramharter (ÖVP) mit Grünen-Vizebürgermeister Martin Litschauer an seiner Seite. Doch das politische Gefüge im Waldviertel ist längst nicht mehr so stabil, wie es einmal war. Bei der Gemeinderatswahl 2015 konnte Waldhäusl fünf Mandate dazugewinnen und die Mandatszahl auf sieben erhöhen, 2020 schaffte er es, sein Ergebnis zu halten. Nicht so die ÖVP, sie verlor ihre absolute Mehrheit. Waldhäusl ist seitdem Stadtrat für Land- und Forstwirtschaft. Bundesweit sorgte der Kommunalpolitiker vor allem mit seinem Umgang mit dem umstrittenen Flüchtlingsquartier in Drasenhofen oder seinen rassistischen Aussagen gegenüber einer Schülerin für Skandale. Damals noch als Landesrat.
Ein umstrittener Windpark im Bezirk sollte ihm Rückenwind bringen. Waldhäusl und die FPÖ lehnten das Projekt vehement ab. 2024 kam es anders. Bei einer Volksbefragung sprach sich eine knappe Mehrheit von 52 Prozent dafür aus, fast genauso viele, 48 Prozent, stimmten dagegen. Am Ende lenkten auch die Freiheitlichen ein und stimmten im Gemeinderat für den Bau der Windräder. Für ihn zähle letztlich das, was die Bürgerinnen und Bürger wollen. „Mein Anspruch ist es, die Ziellinie als Erster zu überqueren, aber wenn jemand besser ist, habe ich das zu akzeptieren“, sagt Waldhäusl. So diplomatisch das klingt, ortet er bereits vor dem Wahltag eine „Absprache von Schwarz, Grün und Rot“, um einen blauen Bürgermeister zu verhindern. „Womit ich nicht klarkomme, ist, wenn sich die Verlierer gegen den Wahlsieger zusammentun.“
Der amtierende Bürgermeister Josef Ramharter (ÖVP) zeigt sich angesichts des drohenden Verlusts für die ÖVP nüchtern: „Wir werden dem allgemeinen Trend nicht entkommen.“ Dennoch betont er, dass es in den Gemeinden weniger um Parteifarben gehe, sondern darum, wer tatsächlich etwas weiterbringt.
Blaues Bad Großpertholz
Bad Großpertholz, ein Kurort im Bezirk Gmünd, schrieb vor fünf Jahren Geschichte. Bei der Gemeinderatswahl büßte die ÖVP satte 23 Prozentpunkte ein und verlor ihre absolute Mehrheit. Mit 41 Prozent musste sie das Feld räumen. Die FPÖ dagegen feierte einen historischen Erfolg: 29 Prozent, das landesweit beste Ergebnis der Freiheitlichen, reichten, um gemeinsam mit der SPÖ eine Koalition zu schmieden. Der Deal war unüblich, aber hielt: Die FPÖ stellte mit Hermann Hahn den ersten freiheitlichen Bürgermeister des Landes, während die SPÖ in der zweiten Halbzeit übernehmen sollte. 2022 war es dann so weit, Hahn überließ wie vereinbart den Bürgermeistersessel dem SPÖ-Politiker Manfred Grill. Ob das politische Experiment in die nächste Runde geht, bleibt abzuwarten. Die FPÖ dürfte wohl wenig Interesse daran haben, den Bürgermeisterposten erneut nur auf Zeit zu besetzen.
Atzenbrugg unter Wasser
Auch die jüngsten Ereignisse könnten die Wahl am Sonntag prägen. Die verheerende Hochwasserkatastrophe im September 2024 hat große Teile Niederösterreichs schwer getroffen, besonders das Tullnerfeld. Ganze Gemeinden standen unter Wasser, Existenzen wurden zerstört. Beate Jilch, ÖVP-Bürgermeisterin von Atzenbrugg, in der Nähe von Tulln, weiß, wie tief der Frust bei den Betroffenen sitzt. profil begleitete sie während und nach der Katastrophe: „Viele fühlen sich im Stich gelassen. Und wenn so ein Schaden entsteht, sucht man einen Schuldigen“, sagt Jilch. Sie ist überzeugt, alles Mögliche getan zu haben, doch wie die Menschen am Sonntag entscheiden, liege nicht in ihrer Hand. In Atzenbrugg stimmten bei der Nationalratswahl 30 Prozent für die FPÖ, die ÖVP lag nur 4,5 Prozentpunkte vor ihr. Ob sich das politische Klima nun endgültig zu Gunsten der Freiheitlichen dreht, wird sich zeigen.
Hitlers Lieblingsessen in Gänserndorf
In Gänserndorf sorgt die FPÖ indes mit Facebook-Aktivitäten ihrer Kandidaten für Schlagzeilen. Vor wenigen Tagen wurde öffentlich, dass Spitzenkandidatin Gisela Offenbeck und drei weitere Freiheitliche am 20. April – Hitlers Geburtstag – über Jahre hinweg „Eiernockerl“-Postings geteilt, kommentiert oder gelikt haben sollen. Wie im „Standard“ berichtet, schaltete der frühere Grünen-Abgeordnete Karl Öllinger die Staatsanwaltschaft Korneuburg ein, die nun wegen möglicher Verstöße gegen das NS-Verbotsgesetz ermittelt. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Bürgermeister René Lobner (ÖVP) verurteilt den Vorfall „aufs Schärfste“. In Gänserndorf holte die ÖVP bei den letzten Gemeinderatswahlen 56 Prozent, die FPÖ dümpelte bei lediglich fünf Prozent. Doch es ist zu erwarten, dass sich auch die Kräfteverhältnisse am Sonntag verschieben könnten. „Mein Ziel wird die Absolute bleiben“, sagt Lobner. Die Frage, was passiert, wenn er dieses Ziel am Sonntag verfehlt und auf einen Koalitionspartner angewiesen ist, etwa der FPÖ, lässt er unbeantwortet.
Am Sonntag fällt die Entscheidung, wohin die politische Macht in Niederösterreichs Gemeinden wandern wird. Wie begehrt einer der 568 Bürgermeistersessel ist, zeigt FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker. Obwohl er in Wien als Ministerkandidat gehandelt wird, zieht es ihn nach Kaumberg, wo er fürs Bürgermeisteramt kandidiert.
Sollte er wider Erwarten die Mehrheit holen, müsste die Ministerkarriere fürs Erste warten.
Daniela Breščaković
ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.