Georg Hoffmann-Ostenhof Die libysche Falle
Es ist fatal. Da erleben die Araber gerade einen ihrer großen historischen Momente und der durchgeknallte Diktator in einem (was die Bevölkerung betrifft) kleinen Land stiehlt ihnen die Show. Die Revolution einer ganzen Weltregion ist unterwegs, aber seit Wochen zieht (neben der japanischen Dreifachkatastrophe) nur Libyen die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf sich.
Es ist ja verständlich: Die Menschen, die sich gegen Gaddafi auflehnen, unterscheiden sich auf den Fernsehschirmen und den Internetvideos nicht wesentlich von den Millionen, die vor Wochen auf den Kairoer Tahrir-Platz gezogen waren obwohl sie wahrscheinlich aus anderem Holz geschnitten sind. Ihnen gelten jedenfalls unsere Sympathien. Und wenn der libysche Oberst in seinen irren Reden ankündigt, er werde eher sein rebellisches Volk massakrieren, als abzutreten, dann ist klar, dass der Ruf nach Eingreifen ertönt.
Dass sich aber die USA, die europäischen Regierungen, die UN und die NATO von dieser emotionalen Welle der Weltöffentlichkeit zu einer militärischen Intervention treiben ließen, die zwar moralisch und völkerrechtlich in Ordnung geht, aber offensichtlich um es freundlich zu sagen besser durchdacht hätte sein können, ist seltsam.
Dabei ist klar, dass wenn es auch zynisch klingen mag das Schicksal Libyens letztlich von nicht allzu großer Bedeutung ist. Da mag es für die sechs Millionen Libyer um Leben oder Tod gehen, um Freiheit oder Unterdrückung den Gang der Geschichte wird das aber nicht ändern. Libyen ist trotz sprudelnder Ölquellen ein zu unbedeutender Staat und ein zu spezieller Fall.
Der mediale, politische und schließlich militärische Libyen-Hype hat aber Entwicklungen in anderen Ländern der Region zugedeckt und in den Hintergrund gedrängt, in denen wirklich Geschichte gemacht wird:
Ägypten. Das ist kein von den Kolonialmächten zusammengeschustertes Gebilde, sondern ein Tausende Jahre alter Staat und das wichtigste Land der Region. Kairo war seit Langem das Zentrum der arabischen Welt. Was am Nil passiert, ist entscheidend. Der Sturz von Hosni Mubarak durch die Bewegung des Tahrir-Platzes war nur die erste Etappe auf dem Weg zur ägyptischen Freiheit. Vor zwei Wochen wurde ein freier und fairer Urnengang organisiert: In einem Referendum stimmte eine große Mehrheit für einige Novellierungen der Verfassung, die baldige Parlamentswahlen ermöglichen. Eine historische Premiere. Die Muslimbrüder punkteten: Sie hatten zu einem Ja aufgerufen. Die Jugendbewegung hatte für ein Nein plädiert. Sie wollte eine ganz neue Verfassung und nicht zu schnelle Wahlen: Die nicht-muslimische Opposition braucht Zeit, um sich zu organisieren. Dennoch: Die kommenden Wochen und Monate werden spannend. Im Juni so wollen es die Militärs soll ein neues Parlament gewählt werden.
Syrien. Verglichen mit den Millionen von Demonstranten, die in Tunis, Kairo, Manama, Sanaa und Tripolis auf die Straßen strömen, sind die oppositionellen Kundgebungen in den syrischen Städten auf den ersten Blick wenig beeindruckend. Aber für über vier Jahrzehnte herrschte im Land Friedhofsruhe. Wer bisher auch nur den Ansatz von Regimekritik zeigte, fand sich bald im Gefängnis wieder, wurde gefoltert oder getötet. Wir haben die Angst verloren war ein Slogan der Demonstranten der vergangenen Woche. Die Polizei schießt scharf. Dutzende Tote sind zu beklagen. Gleichzeitig werden politische Reformen versprochen. Dennoch breitet sich die Protestbewegung weiter aus. Hintergrund ist eine leichte Liberalisierung der Wirtschaft, die Baschar al-Assad, der vor zehn Jahren die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad geerbt hat, erfolgreich in die Wege leitete. Nun fordern die Menschen auch politische Freiheit. Und Syrien ist nicht irgendein Land. Der Panarabismus, der nun, demokratisch und revolutionär gewendet, seine Wiederauferstehung im Nahen Osten erlebt, hat seine Wurzeln in Damaskus. Ein Ende der mit dem Iran verbündeten syrischen Diktatur hätte eine gewaltige Signalwirkung im gesamten arabischen Raum.
Saudi-Arabien. Die Proteste in dieser reichsten und mit dem Westen eng verknüpften Ölmonarchie sind schwach und sporadisch. Die Reaktionen auf die Freiheitsbewegungen in den anderen Ländern zeigen aber, wie nervös man in den Palästen von Riad und Dschidda ist. Saudische Truppen stehen in Bahrain, um das dortige sunnitische Königtum vor den immer aufmüpfiger werdenden majoritären Schiiten zu retten. Offenbar haben die saudischen Royals vor ihren Schiiten in den Ölgebieten panische Angst. Im südlichen Nachbarland Jemen steht der Sturz des dortigen Diktators unmittelbar bevor. Nun versucht König Abdullah mit zusätzlich etwa 100 Milliarden Dollar für soziale Belange, für die Aufrüstung der Sicherheitskräfte und für das religiöse Establishment die Untertanen ruhigzustellen. Wird das gelingen? Fest steht: Sollte es in Saudi-Arabien zu einem Umsturz kommen die Auswirkungen auf die arabische Revolution und auf die globale Geopolitik wären unabsehbar.
Eine der strategisch wichtigsten Weltgegenden befindet sich im Umbruch. Aber anstatt mit aller Energie daranzugehen, eine neue Politik und Strategie gegenüber dieser sich so dynamisch entwickelnden Region zu konzipieren und die Araber auf ihrem hoffnungsvollen Weg in die Freiheit tatkräftig zu begleiten, ist der Westen in die libysche Falle gegangen. Er verzettelt sich politisch, finanziell und militärisch in einem Wüstenabenteuer. In einem weltpolitisch marginalen Land. Und es sieht ganz so aus, als ob sich dieses Abenteuer als nicht so kurz wie geplant herausstellen und sogar mit einer Niederlage enden könnte. Das ahnte man offenbar von Anfang an, als man die Militäraktion nach Odysseus benannte, der sich bekanntlich auf eine lange und beschwerliche Irrfahrt begeben hat.