Georg Hoffmann-Ostenhof

Georg Hoffmann-Ostenhof Und die Linke hat doch Recht

Und die Linke hat doch Recht

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Das ist wirklich starker Tobak: „Die Reichen werden reicher, aber die Löhne sinken. Die Freiheit, die dadurch entsteht, ist allein ihre Freiheit. Fast alle arbeiten heute härter, leben unsicherer, damit wenige im Reichtum schwimmen. Die Demokratie, die den Leuten dienen sollte, füllt die Taschen von Bankern, Zeitungsbaronen und anderen Milliardären.“ Dass diese Philippika gegen den real existierenden Kapitalismus nicht vom cineastischen Kritiker Michael Moore, sondern von dessen Namensvetter Charles Moore, einem prominenten britischen Biografen und Bewunderer von Margaret ­Thatcher, stammt, hat verständlicherweise schockiert. Als sich Frank Schirrmacher, einer der Herausgeber der „FAZ“, des Zentralorgans des deutschen Konservativismus, dem englischen Kollegen anschloss und wie dieser die Frage stellte, ob nicht die Linke mit ihrer Kritik an den Verhältnissen letztlich Recht habe, war klar: Das ist die Sommerdebatte 2011. Und die wird auch bei Beginn des Herbsts nicht zu Ende sein.

So verwunderlich ist der aktuelle rechte Katzenjammer freilich auch wiederum nicht. Es ist eher erstaunlich, dass er nicht schon viel früher und massiver ausgebrochen ist. Gerade gebildeten Konservativen muss doch schon seit Längerem aufgefallen sein, dass sich die Weltgeschichte seit dem Finanzkrach vor drei Jahren geradezu wie nach einem Drehbuch von Bert Brecht abspielt, dass die globalen und lokalen Krisenakteure sich benehmen, als seien sie einem Lehrbuch marxistischer Politökonomie entsprungen.

Eigentlich agieren sie eher wie vulgärmarxistische Karikaturen von Kapitalisten: Beim bärtigen Autor des „Kapital“ sind die Unternehmer noch „Charaktermasken“, die in diesem System ja gar nicht anders handeln können, als sie es tun. Da braucht es keine persönliche Unmoral, keine individuelle Raffsucht, um ihren einträglichen Geschäften nachzugehen. In der aktuellen Situation aber gesellen sich zum ökonomischen Zwang individuelle Schamlosigkeit und Gier hinzu – siehe etwa das obszöne Regime der Boni-Zahlungen.

Wer aber ist schuld an der Misere? Die Banker, Spekulanten und der Markt oder die Politik und der Staat? Das ist ein Zentralpunkt der jetzigen Debatte (siehe auch den Leitartikel von Christian Rainer im vorwöchigen profil). Die Frage greift freilich zu kurz. Denn der jetzt so vehement beschimpfte „Neoliberalismus“ ist beides zugleich: Ideologie und politisches Projekt einerseits wie auch reale wirtschaftliche Praxis andererseits.

Und nur böse, wie die Linke meint, ist dieser Neoliberalismus ja auch nicht. Als Anfang der achtziger Jahre mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan begonnen wurde, den Staat zurückzudrängen, die Märkte zu deregulieren und die Wirtschaft zu globalisieren, erwies sich das zunächst als überaus segensreich. Da mag man sich an der sozialen Kälte und Brutalität gestoßen haben, mit der diese Politik vielfach durchgesetzt wurde: Sie hat aber Produktivkräfte ungeahnten Ausmaßes freigesetzt. Die Welt wurde insgesamt um vieles reicher. Ohne dieses neue globale Regime hätten etwa auch die Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und andere nie und nimmer ihren atemberaubenden Aufholprozess zustande gebracht.

Im vergangenen Jahrzehnt traten aber die negativen Seiten dieses Kapitalismusmodells immer mehr und verstärkt in den Vordergrund. Die Politik wurde sukzessive entmachtet. Sie wurde zum Spielball der Märkte, die sich ungezügelt entfalten konnten. Mit den bekannten Folgen: Die Schere zwischen Reich und Arm geht immer weiter auf. Die Finanzsphäre dominiert und hat sich verselbstständigt. Und als der Markt dann, wie das im Kapitalismus immer wieder eintritt, spektakulär versagte, brachte die Politik nicht mehr die Kraft auf, effektiv korrigierend einzugreifen. Die marktreligiösen und staatsfeindlichen Ideologen des Neoliberalismus verkommen aber zu gefährlichen Sektierern. Am Beispiel der amerikanischen Tea Party wird das deutlich.

Man kann den Herren Schirrmacher und Moore ja zustimmen: Das linke Narrativ ist heutzutage realitätsnäher als das konservative. Warum die Linke aber trotzdem nicht punkten kann – diese Frage harrt der Beantwortung. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie sich – verspätet – zu Teilen der neoliberalen Ideologie erst zu einem Zeitpunkt bekehrte, als diese bereits voll ihr hässliches Gesicht zeigte. Die nun versuchte Rückkehr von Sozialdemokraten zu ihren linken Wurzeln erscheint so dem Publikum verständlicherweise als höchst unglaubwürdig. Und die Leute haben den zutreffenden Eindruck, dass die Linke nicht weiß, wie sich der nächste Akt des Brecht’schen Dramas entwickeln wird.

Spätestens seit diesem Sommer ist klar, dass sich nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch die Konservativen in einer ernsthaften Identitätskrise befinden. Überall wenden sich die Leute vom ratlosen linken und rechten Mainstream ab. Und das Gefühl drängt sich auf, dass die notwendige Renaissance der Politik nicht von oben kommen und dass über die Zukunft weniger in den Parteisekretariaten und Staatskanzleien, sondern eher in den jungen Internetforen und auf der Straße entschieden werden wird. Wohin diese geht, ist heute freilich noch nicht abzusehen.

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