Georg Hoffmann-Ostenhof Von Juden und Mythen
Selbst hartnäckige Fans von Barack Obama sind enttäuscht, wenn es um seine Nahost-Politik geht. Dieser verlangte am Anfang seiner Amtszeit von der israelischen Regierung kategorisch einen Siedlungsstopp in den besetzten Gebieten. Um nach einem ebenso kategorischen Nein von Benjamin Bibi Netanjahu diese Forderung einfach fallen zu lassen. Jeder weiß, dass Obama und seine Generäle einen von Israel vermutlich noch für dieses Jahr geplanten Militärschlag gegen den Iran für gefährlichen Wahnsinn halten. Der US-Präsident hielt freilich nur sehr verklausuliert dagegen, als Bibi Anfang der vergangenen Woche in Washington auf ein Ja zur Bombardierung von iranischen Atomanlagen drängte.
Warum ist der amerikanische Präsident, dessen Körpersprache beim Treffen mit Premier Netanjahu so offensichtlich zeigte, wie wenig er von dem Mann aus Jerusalem hält, ein derartiges Weichei, wenn es um Israel und dessen Politik geht? Es seien die jüdischen Stimmen, ohne die er nicht Präsident werden könne: So lautet gemeinhin die Kurzanalyse der Medien.
So plausibel diese Erklärung klingt, so falsch ist sie. Um die jüdische Wählerschaft geht es mitnichten. Zunächst: Sie ist rein quantitativ zu unbedeutend. Sie hat allenfalls in Florida, wo viele alte Juden ihren Lebensabend verbringen, ein klein wenig elektorale Relevanz. Aber die Juden machen nicht einmal drei Prozent der amerikanischen Stimmberechtigten aus. Und sie sind darüber hinaus seit einem Jahrhundert den Demokraten treu ergeben. Ein demokratischer Präsident, der nicht von mehr als zwei Drittel der US-Juden gewählt wurde, ist eine absolute Seltenheit.
78 Prozent der jüdischen Wähler votierten 2008 für Obama und das nach einem Wahlkampf, bei dem der Mann mit dem Mittelnamen Hussein von seinen Gegnern zum Muslim gemacht und ihm medienwirksam nachgesagt wurde, ein glühender Freund der Palästinenser zu sein.
Obamas Gegenspieler John McCain hatte sich geradezu als Super-Protektor Israels geriert, und es hat ihm nichts genützt. Warum? Die amerikanischen Juden mögen sich durchaus um die Sicherheit Israels sorgen, aber Umfragen zeigen, dass das Thema Israel nur für zehn bis 15 Prozent ein wichtiges Wahlmotiv darstellt.
Zudem sind sie, verglichen mit allen anderen Glaubensgemeinschaften, am wenigsten religiös. Während nur 27 Prozent der US-Juden regelmäßig in die Synagoge gehen, sind es bei den amerikanischen Christen im Allgemeinen 53 Prozent, die jeden Sonntag die Messe besuchen, unter den Republikanern sind sogar 63 Prozent treue Kirchgänger. Das ergab der jüngste National Jewish Population Survey.
Die amerikanischen Juden sind also säkularer als ihre christlichen Landsleute. Und so verhalten sie sich auch politisch: Sie haben mit den immer religiöser werdenden Republikanern nichts am Hut. Nur die Orthodoxen eine zehnprozentige Minderheit tendieren nach rechts. Die überwältigende Mehrheit ist liberaler und linker als die übrigen Amerikaner. Zur Erinnerung: Die Juden waren in der Bürgerrechtsbewegung an vorderster Front engagiert, sie treten stärker für die Schwulenehe und für Drogenlegalisierung ein. Und als George W. Bush gegen den Irak in die Schlacht zog ein Herzensanliegen der israelischen Rechtsregierung , fand man prozentuell mehr Kriegsgegner unter den amerikanischen Juden als in der gesamten US-Bevölkerung.
Warum scheut sich der liberale Obama also so sehr, auf Konfrontationskurs mit der Rechtsregierung in Jerusalem zu gehen?
Zwei US-Professoren von Rang, Stephen Walt und John Mearsheimer, gaben 2006 in einer Studie eine Antwort: Sie beschrieben detailliert, wie eine überaus finanzstarke Pro-Israel-Lobby die amerikanische Politik nach ihrer Pfeife tanzen lässt. Diese Lobby eine Kombination von rechten jüdischen Organisationen und fundamentalistisch-christlichen Zionisten denunziert jeden, der Kritik an der israelischen Politik übt, als Antisemiten und setzt ihre Mittel skrupellos ein, um ihr genehme Politiker an die Schalthebeln zu bringen. Wie zur paradoxen Bestätigung ihrer These wurden die beiden Wissenschafter als Juden hassende Verschwörungstheoretiker diffamiert. Sie konnten ihre Arbeit in den USA nicht publizieren.
Mearsheimer und Walt sind zwar nachgewiesenermaßen keineswegs Antisemiten. Aber sie sagen nur die halbe Wahrheit. Das meint der große Alte des israelischen Friedenscamps, Uri Avneri: Wirksam könne die Lobby nur werden, weil sie auf eine tief liegende Verbundenheit der Amerikaner mit Israel bauen kann. Und die gehe auf die Ähnlichkeit der Gründungsmythen der USA und Israels zurück. In beiden Narrativen erreichen wegen ihrer Religion Verfolgte die Küsten des gelobten Landes. Sie müssen sich gegen wilde Eingeborene hier die Indianer, dort die Palästinenser wehren, welche die Pioniere vernichten wollen. Die erlösen das Land, lassen die Wüste erblühen und errichten mit Gottes Hilfe eine prosperierende, demokratische und moralische Gesellschaft.
Aber das sind eben Mythen, die mit der aktuellen Wirklichkeit nur sehr wenig zu tun haben.