Wie eine Muslima unverhüllt unterrichten wollte und scheiterte
Von Daniela Breščaković und Clemens Neuhold
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Sie rauchte nicht, trank keinen Alkohol, lernte schon als kleines Mädchen und später als gehorsame Ehefrau, beim Sprechen auf den Boden zu blicken. Im Alter von 14 Jahren wurde sie mit ihrem Cousin verlobt, mit 16 verheiratet, mit 17 schwanger und mit 18 Jahren zum ersten Mal Mutter. Aufgewachsen als fromme Muslima, war Religionslehrerin einer der wenigen Berufe, der für sie infrage kam. 14 Jahre lang unterrichtete Zeliha Ç. an einer Mittelschule in Wien. Bis sie 2017 einen Entschluss fasste, der ihr Leben komplett auf den Kopf stellte. Mit 40 Jahren legte sie ihren Hijab ab, das traditionelle Kopftuch, das Haare, Stirn und Hals verdeckt. Und bekam nicht nur in der Familie und in der Community Probleme, sondern auch am Arbeitsplatz. So schilderte es Ç. bei früheren Gesprächen.
Doch sie begehrte auf. Nicht nur gegen Verwandte und Bekannte, die sie wie eine Verräterin behandelten. Sondern auch gegen den Arbeitgeber. Sie klagte die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), die für den Islam-Unterricht in Österreich zuständig ist, vor dem Arbeits- und Sozialgericht auf 60.000 Euro Schadenersatz. Ç. führte an, einen Landeslehrervertrag nicht bekommen zu haben, der ihr nach zehn Jahren im Dienst längst zugestanden wäre. Außerdem seien ihre Lehrstunden – und damit auch der Verdienst – gekürzt worden. Sie führte beides auf das fehlende Kopftuch zurück.
Verdoppelung der Islam-Lehrer seit 2007
Das Arbeits- und Sozialgericht gab ihr teilweise recht und sprach ihr ein Viertel des Schadenersatzes (15.000 Euro) zu. In der Begründung, die profil exklusiv vorliegt, stellt das Gericht eine „unmittelbare Diskriminierung“ nach dem Gleichbehandlungsgesetz fest. Das bedeutet, Ç. wurde wegen ihrer Entscheidung, als islamische Religionslehrerin ohne Kopftuch zu unterrichten, von ihrem Arbeitgeber diskriminiert. Das Motiv dafür war, dass sie nach Ansicht der Fachinspektoren das nach der islamischen Glaubenslehre zur Kopfbedeckung bei einer Frau gebotene Kopftuch nicht, nicht ständig oder nicht ausreichend getragen hat, heißt es in dem Schreiben. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die IGGÖ kündigt an, es anzufechten. Doch welche Folgen hat es? Öffnet es Religionslehrerinnen ohne Kopftuch das Schultor zum Islam-Unterricht?
Neue Zahlen aus Wien belegen, wie stark die Zahl muslimischer Schüler angestiegen ist – nicht zuletzt durch den Familiennachzug aus Syrien. Zur Erinnerung: Seit 2023 kommen pro Monat bis zu 300 muslimische Syrer (oder 14 Klassen) neu an Wiener Pflichtschulen. Mittlerweile sind 35 Prozent der Volksschüler in der Bundeshauptstadt Muslime, 26 Prozent sind ohne Bekenntnis, 21 Prozent Katholiken. Diese demografische Entwicklung erhöhte den Bedarf nach Lehrkräften für den Islam-Unterricht. Ihre Zahl hat sich seit 2007 von 350 auf 700 in ganz Österreich verdoppelt. Islam-Klassen, die nur halb belegt waren, sind nun prall gefüllt.
Welches Frauenbild wird vorgelebt?
Die beiden Hauptströmungen des Islam, Sunniten und Schiiten, werden gemeinsam unterrichtet, heißt es von der IGGÖ. Wie viel Platz aber genießen liberale, europäische Lesarten des Islam und seiner Vorschriften wie dem Kopftuchgebot? Ein Gradmesser sind unverhüllte Islam-Lehrerinnen, die das Kopftuch wie Ç. nicht als religiöse Pflicht ansehen. In ihrem Gerichtsverfahren vom Oktober 2023 war der ehemalige Fachinspektor und IGGÖ-Präsident, Ibrahim Olgun, als Zeuge geladen. Auf die Frage des Richters, ob es eine islamische Religionslehrerin in Österreich gibt, die kein Kopftuch trage, antwortete Olgun: „Meines Wissens nicht.“ Auf Anfrage spricht die IGGÖ-Pressesprecherin heute von einer „Handvoll“. Diese Frauen hätten das Kopftuch nach ihrer Bestellung zur Religionslehrerin abgelegt. „Eine Beendigung des Dienstverhältnisses steht keinesfalls im Raum“, versichert die Sprecherin. Islam-Lehrkräfte müssen allerdings Jahr für Jahr verlängert werden, bis sie Anspruch auf eine unbefristete Anstellung erhalten – samt Kündigungsschutz.
Viele Studentinnen, keine Bewerbungen?
Aber werden Frauen ohne Kopftuch überhaupt erst eingestellt? Die Antwort der Glaubensgemeinschaft fällt widersprüchlich aus. Einerseits heißt es: „Bislang hat keine Frau ohne Kopftuch am Hearingverfahren für neue Religionslehrerinnen teilgenommen.“ Andererseits wird auf die „Vielzahl“ von Studentinnen verwiesen, die ohne Kopftuch islamische Religionspädagogik oder islamische Theologie studieren würden. Ednan Aslan ist Professor für islamische Religionspädagogik. Er vermutet, dass Frauen ohne Kopftuch am Bewerbungsfoto erst gar nicht zum Hearing eingeladen werden. Diese würden sich gar nicht bewerben, entgegnet die IGGÖ. Eine Studentin der islamisch-theologischen Studien, die kein Kopftuch trägt, erinnert an ein Fastenbrechen mit dem derzeitigen IGGÖ-Präsidenten Ümit Vural. Dort habe dieser erklärt, warum der Fokus auf Lehrerinnen mit Kopftuch liege.
Flucht aus dem Religionsunterricht
Diese Haltung dürfte auch die Rücksicht der IGGÖ auf sehr gläubige Eltern widerspiegeln, die Islam-Lehrerinnen ohne Kopftuch nicht akzeptieren würden. So berichtet die Pressesprecherin von Abmeldungen, nachdem eine Islam-Lehrerin ihr Kopftuch abgelegt hatte. Die Angst vor weiteren Abgängen scheint begründet. Denn laut aktuellen Zahlen aus dem Büro von Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) haben sich im laufenden Schuljahr 38 Prozent der Muslime vom Religionsunterricht abgemeldet. Das sind Schüler, die noch ihrer Religion angehören, also nicht ohne Bekenntnis sind, den Religionsunterricht aber dennoch meiden. Die IGGÖ mutmaßt, dass sich manche den Religionsunterricht ersparen wollen, wenn er auf den Nachmittag oder auf andere Schulstandorte falle.
Aslan führt auch andere Gründe ins Treffen: So würden sich manche Eltern an der Nationalität der Lehrkräfte stoßen oder den Unterricht in Moscheen für ihre Kinder bevorzugen. Es gebe auch Moscheevereine, die den Religionsunterricht in Schulen durch die Glaubensgemeinschaft ablehnen würden, sagt der islamische Religionspädagoge. Noch stärker ist die Flucht aus dem Religionsunterricht allerdings bei orthodoxen Schülern (68 Prozent) und bei evangelischen (44 Prozent). Auch 21 Prozent der katholischen Schüler, die nicht aus der Kirche ausgetreten sind, sind vom Religionsunterricht abgemeldet. Wiederkehr sieht sich wegen der hohen Zahl an Abmeldungen in seiner Forderung bestätigt, ein verpflichtendes Fach „Demokratie“ für alle einzuführen – zusätzlich zum freiwilligen Religionsunterricht. „Unser aller Glaube heißt Demokratie“, sagt er pathetisch, „während Religion die Menschen immer öfter trennt.“
Ob die Demokratie-Lehrerin dann Kopftuch trägt oder nicht, wäre wohl egal.
Daniela Breščaković
ist seit April 2024 Redakteurin im Österreich-Ressort bei profil. War davor bei der "Kleinen Zeitung".
Clemens Neuhold
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.