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Pressefreiheit

Gerüchte über Ö3-Privatisierung: Verliert der ORF sein Steckenpferd?

Die FPÖ hat es auf den ORF abgesehen: Die Partei stellte ORF1 und Ö3 immer wieder in Frage. Bei einer Krisensitzung sollte das Ö3-Personal beruhigt werden. Was würde eine Privatisierung des profitablen Radiosenders für den Rundfunk und die Medienlandschaft bedeuten?

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Donnerstag, 9. Jänner. Eilig wird ein Treffen der Belegschaft von Hitradio Ö3 einberufen – Gerüchte machen die Runde. Aus FPÖ-Kreisen soll wieder einmal die alte Idee forciert werden, Ö3 aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk herauszulösen. Sprich: Zu privatisieren. 

Die Forderung ist nicht neu. Bereits der frühere Finanzminister Karl-Heinz Grasser wälzte entsprechende Pläne, die vor allem bei den Privatradio-Betreibern freudig aufgenommen wurden. Erst 2023 hatte der von FPÖ in den Stiftungsrat entsandte Anwalt Niki Haas den öffentlich-rechtlichen Anteil des Ö3-Programms als gering bezeichnet.  Auch Teile der Neos wollten die Cashcow des ORF an Private verkaufen. Bei den Junos, der Jugendorganisation der Neos, steht diese Forderung schon seit 2010 im Programm, privatisiert werden sollen alle Sender außer Ö1 und FM4.

Am Donnerstag der Vorwoche versuchte der Ö3-Chef Michael Pauser sein Personal zu beruhigen, er kommentierte, welche Szenarien unter Schwarz-Blau vorstellbar wären. Ein Sparkurs für den ORF würde bedeuten, dass Stellen nicht mehr nachbesetzt werden, mutmaßlich könne sich kein österreichischer Mitbewerber eine Übernahme von Ö3 leisten. Die Belegschaft möchte wissen, was das konkret für sie bedeuten würde: Allen würde eine Kündigung drohen und sie müssten  sich wohl neu bewerben, auch die Älteren – eine düstere Aussicht in Österreichs gebeutelter Medienlandschaft. Die Zahl der arbeitslosen Journalisten und Journalistinnen stieg in Österreich 2024 um 15 Prozent auf 876, so das AMS. 

Gegenüber profil will sich die Presseabteilung des ORF nicht zu den Privatisierungsgerüchten äußern.

Dass Ö3 Begehrlichkeiten bei privaten Medienmachern weckt, ist kaum verwunderlich. Der Sender ist hochprofitabel. Ein Viertel der Werbe-Einnahmen des ORF kommen von Ö3. 2024 waren laut dem Blog „Die Medien“ von “Der Standard”-Journalisten Harald Fidler 50 Millionen Euro. Ö3 erreicht täglich mehr als zwei Millionen Menschen, es ist eine der stärksten Marken des ORF. Abseits der Popularmusik liefert Ö3 auch öffentlich-rechtliche Information und ist die einzige 24-Stunden-Radio-Nachrichtenredaktion Österreichs. Sendungen wie die Sternstunde mit Star-Astrologin Gerda Rogers oder „Frag das ganze Land” und auch Events wie das „Ö3 Weihnachtswunder” polarisieren - eines kann man aber nicht leugnen: Sie haben ein Publikum und finanzieren durch die Einnahmen andere Sender und Programme des ORF, die kommerziell nicht erfolgreich sind.

„Ein Argument für die Privatisierung lautet, dass Ö3 aufgestellt ist wie ein privater Sender. Aber Ö3 ist natürlich trotzdem auch ein Anbieter von Nachrichten”, sagt Leonhard Dobusch. Er ist Professor an der Universität Innsbruck, Mitgründer des gewerkschaftsnahen Momentum Instituts und saß sechs Jahre lang im ZDF-Fernsehrat. Seit 2022 Mitglied des ZDF-Verwaltungsrats.

Oft kommt das Argument, der ORF solle sich auf Dinge konzentrieren, die der Markt nicht liefert. Dobusch argumentiert dagegen: Wenn alle für den ORF zahlen müssen, könne das Programm nicht nur eine bürgerliche Oberschicht bedienen.

Würde Ö3 aus dem ORF herausgelöst werden, würden nicht nur ein Viertel der Werbeeinnahmen wegbrechen, sondern auch die Reichweite und damit der Kontakt mit der Bevölkerung drastisch reduziert werden.

Die Crux mit dem Budget

Für die Finanzierung öffentlich-rechtlicher Sender gibt es verschiedene Möglichkeiten – in Österreich läuft das aktuell über die Haushaltsabgabe, in unterschiedlicher Höhe je nach Bundesland. Direkte Abhängigkeit entsteht, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk direkt aus dem Staatsbudget finanziert wird. Denn dann muss der Generaldirektor oder die Generaldirektorin jährlich mit der Regierung  verhandeln und ist somit erpressbar. Auch unter Schwarz-Blau soll diese Variante 2017 angedacht gewesen sein. Die FPÖ dürfte ihre Forderung nach einer Abschaffung der Haushaltsabgabe auch in die Regierunsgverhandlungen mit der ÖVP einbringen. Eine Finanzierung aus dem Budget sei zwar kein Widerspruch zum Versprechen, keine neuen Steuern einzuführen, so Dobusch, das Budgetdefizit würde aber erhöht werden.

Bis 2023 zahlten rund 3,5 Millionen Menschen in Österreich die Rundfunkgebühr, seit 2024 entrichten rund vier Millionen Menschen die Haushaltsabgabe. 180.000 Beitragszahlende und 33 Millionen Euro fehlten dem ORF, das Finanzministerium hatte falsch prognostiziert. Mit der Einführung der Haushaltsabgabe wurde aber auch die Staffelung der Beiträge abgeschafft: Davor war es mit der GIS möglich, nur für Radio zu bezahlen und das sei aus der Sicht von Dobusch auch eine Art soziale Ermäßigung gewesen, die de facto abgeschafft wurde. Für 500.000 Menschen wurde der ORF-Beitrag mit Einführung der Haushaltsabgabe verdoppelt, sagt Dobusch. 

Als Alternative sieht der Medienexperte das skandinavische Modell, es funktioniert über eine Umlage – Vergleichbar mit der Finanzierung von Selbstverwaltungskörpern wie Arbeiter- oder Wirtschaftskammer. In Schweden zum Beispiel beträgt diese Umlage ein Prozent des Einkommens, höchstens aber umgerechnet rund 125 Euro. Dadurch gibt es auch eine soziale Staffelung und das Budgets des Rundfunkanbieters wächst mit der Inflation, ohne dass die Geschäftsführung bei der Regierung betteln muss.

Politischer Einfluss auf den ORF 

Immer wieder wird der Zugriff der Parteien auf den ORF kritisiert, der in Österreich besonders stark ausgeprägt ist: In Deutschland sind nur zwei von 60 Mitgliedern des ZDF-Fernsehrats von der Bundesregierung bestimmt. „In Österreich hat die Bundesregierung mehr als 50 Prozent der Stiftungsräte - die Mehrheiten wechseln mit Mehrheiten im Parlament und das ist fatal für die Glaubwürdigkeit des ORF. Und es erweckt den Eindruck, als ob die Regierung direkt rein regieren könnte.”

Wie es anders ginge? Spitzenposten sollten durch eine qualifizierte Mehrheit entschieden werden, und ein Teil der Stimmberechtigten sollte zufällig aus den Beitragszahlenden gelost werden, um das sicherzustellen, so Dobusch’ Vorschlag. Ähnliche Ideen gibt es in der Justiz, Schöffen werden zum Beispiel gelost.

Ökonom Leonhard Dobusch

„Natürlich geht es um politische Fragen, natürlich geht es um Weltanschauung. Eigentümer dürfen ihre Mitarbeitenden nach politischen Gesichtspunkten auswählen, weil klar ist, dass Medien immer politisch sind. Den ORF zu entpolitisieren, ist immer gelogen, die Frage ist, ist er parteipolitisch und hat eine Weltanschauung die Möglichkeit, drüberzufahren? Es braucht einen Zwang zum Kompromiss.”

Der hinkende Vergleich mit dem Osten

Beobachter der Medienszene ziehen immer wieder den Vergleich mit dem slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico oder Ungarns Premier Viktor Orbán.

Die Zensur im Medien-System des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán beginnt bereits bei der Schere im Kopf: Wenn Redakteurinnen und Redakteure Inhalte nicht mehr recherchieren, weil sie glauben, Zensur wäre möglich. Es ist paradox, denn dadurch braucht es gar keine Zensur. Bereits 2021 wurde eine Szene mit einem lesbischen Kuss vom ungarischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus der Disney-Serie „Jessica Jones” geschnitten – obwohl das rechtlich noch in Ordnung gewesen wäre (Ausstrahlung nach 22 Uhr, 18+-Rating). 

Robert Fico, der slowakische Ministerpräsident und russlandfreundliche Linkspopulist, griff in seiner neuen Amtszeit seit 2023 noch schneller durch, Orbán brauchte immerhin mehrere Jahre: RTVS (Rozhlas a Televízia Slovenska) wurde im Sommer neu organisiert, um den Direktor auszutauschen, dessen Amtszeit noch mehrere Jahre gedauert hätte. Der Sender wurde umbenannt, die Werbeplätze verzehnfacht – „aufräumen” nannte es die Fico-Regierung. Die EU-Kommission schaute zu.

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz

Seit Dezember 2024 im Digitalteam.