Leere Straßen im Lockdown in Salzburg.

Geschäftsauflösung: Hält der Handel das aus?

Zum zweiten Mal in Folge musste fast der gesamte Handel mitten im Weihnachtsgeschäft zusperren. Wie lange hält die Branche das noch aus?

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Wenigstens die Gewerkschaft hat ein Einsehen: Am 19. Dezember, dem vierten Adventsonntag, sei eine Öffnung der Geschäfte ausnahmsweise vorstellbar, sagte GPA-Chefin Barbara Teiber. „Angesichts der einzigartigen aktuellen Situation haben wir uns entschlossen, mit der Wirtschaftskammer in Gespräche über einen verkaufsoffenen Sonntag einzutreten.“

Der kleine Schönheitsfehler an diesem Verhandlungserfolg: Noch ist gar nicht klar, ob die Geschäfte Mitte Dezember überhaupt öffnen dürfen. Es könnte auch sein, dass der geltende Lockdown verlängert wird. Dann dürften die Händler am Sonntag mit dem Sanctus der Sozialpartner zwar theoretisch aufsperren – müssten aber aus epidemiologischen Gründen geschlossen bleiben.

Der Lockdown trifft die gesamte Wirtschaft hart, doch mit Abstand am schlimmsten erwischt es den Handel. Die Wochen vor Weihnachten sollten eigentlich die umsatzstärkste Zeit sein. Stattdessen sitzen die Geschäftsinhaber jetzt vor vollen Lagern und müssen die Perspektive verdauen, dass sie einen großen Teil der Ware, wenn überhaupt, irgendwann wohl nur mit hohen Rabatten loswerden. Laut Berechnungen des Instituts für Handel, Absatz und Marketing an der Universität Linz verliert der stationäre Non-Food-Handel (Lebensmittelgeschäfte bleiben ja offen) derzeit rund 115 Millionen Euro pro Tag, im Dezember sogar täglich 130 bis 140 Millionen. Und während etwa Gastwirte und Hoteliers halbwegs sicher sein können, dass die Gäste eines Tages wiederkommen werden, müssen die Händler dabei zusehen, wie ihre Kunden, möglicherweise dauerhaft, zur Online-Konkurrenz abwandern. Für Unternehmen wie Amazon und Zalando wird die Pandemiebekämpfung somit zur bisher größten Gratis-Werbekampagne.

Ob es überhaupt nötig ist, in jedem Lockdown den Handel breitflächig zu schließen, bleibt unklar. Die AGES (Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) entdeckte bis dato keine Cluster, die beim Shopping ihren Anfang nahmen. Im Lebensmittelhandel, der durchgehend geöffnet war, gab es offenbar ebenfalls kein erhöhtes Infektionsrisiko. Verriegelte Geschäfte sollen wohl vor allem indirekt auf die Virusverbreitung wirken: Wenn alles zu ist, haben die Menschen einen Grund weniger, ihre Wohnungen zu verlassen, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen, sich in der Stadt zu treffen. Aber reicht dieser Effekt, um eine ganze Branche so nachhaltig zu beschädigen?

Sie halte es für überzogen, „wieder alles bundesweit zu schließen, inklusive Handel, inklusive Gastro, nicht nur am Abend“, erklärte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger vor Kurzem. Rainer Trefelik, Obmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer, sprach von einer „historischen Kata-strophe“. Schon zum zweiten Mal hintereinander treffe es die Branche mitten im Weihnachtsgeschäft. Alles in allem blieben die Proteste der Kammer aber verhalten. „Die Erfahrung zeigt, dass es nicht hilft, auf die Pauke zu hauen“, meint etwa Margarete Gumprecht, die Wiener Spartenobfrau. Eine gewisse Gegenwehr habe es durchaus gegeben, sagt sie. „Deswegen ist Click & Collect (also die Abholung von online bestellten Waren, Anm.) jetzt wieder möglich.“ Gumprecht hofft auf die Loyalität der Konsumenten. „Einkaufen hat viel mit Emotionen zu tun. Ich glaube fest, dass die meisten Kunden nach dem Lockdown wieder in den stationären Handel zurückkommen werden.“

Bis dahin wird allerdings eine Menge Geld woanders ausgegeben. Eine aktuelle Studie der Universität Linz untersuchte, wie viel Kaufkraft zu internationalen Konzernen abfließt: „Der heimische Online- Handel konnte 2020 während der Lockdowns Umsatzzuwächse von nominell plus 27 Prozent (April 2020) bis plus 37 Prozent (Dezember 2020 gegenüber dem Vorjahr) erzielen“, heißt es darin.  Ähnlich hohe Steigerungsraten seien auch jetzt zu erwarten. „Verschärfend für den heimischen Handel kommt hinzu, dass die Online-Shopper:innen in Österreich deutlich mehr als die Hälfte ihrer Internet-Ausgaben (62 Prozent) bei internationalen, ausländischen Anbietern wie Amazon, Zalando & Co tätigen.“ Resümee der Studienautoren Christoph Teller und Ernst Gittenberger: „,Es wird scho glei dumpa‘ für den stationären Non-Food-Handel.“

Gibt es in der Gondel kein Corona? In Ischgl öffnen die Skilifte, und man wirbt damit, dass die Gäste  in die Schweiz zum Essen fahren können.“

 

Rainer Will, Handelsverband

Er sei überzeugt, dass die Frequenzen und Umsätze nach dem Lockdown wieder zügig ansteigen würden, sagt Paul Douay, Österreich-Direktor des Immobilienkonzerns Unibail-Rodamco-Westfield, der die Shopping City Süd und das Donauzentrum betreibt. „Dass die gegenwärtige Situation sehr herausfordernd ist, liegt auf der Hand. Der Lockdown mitten in der Vorweihnachtszeit wird für viele Händler zu einer erneut existenzbedrohenden Herausforderung.“ Er hoffe sehr, dass die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen rasch und unbürokratisch ankommen würden, um wenigstens das Schlimmste zu verhindern.

Wie hoch diese Hilfen diesmal ausfallen, wird von Regierung und Sozialpartnern allerdings noch diskutiert.

Noch schwieriger als für die Branchengrößen ist die Lage für kleine Händler mit oft geringen finanziellen Reserven. Allein als Folge des Strukturwandels seien in den vergangenen zehn Jahren bereits 10.000 Geschäfte zugesperrt worden, sagt Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands. „Wie viele es jetzt treffen wird, lässt sich wegen fehlender Klarheit bei den Hilfen nicht abschätzen. Ich fürchte aber, dass nicht wenige kleine Läden nur noch Geisterschiffe sind.“

Der stationäre Handel hat nicht bloß eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung, sondern gehört auch in der Stadtplanung zu den wichtigsten Faktoren. Nur wo Läden und Einkaufsmöglichkeiten geboten werden, entsteht angenehmes, urbanes Flair. Menschenleere Neubaugebiete ohne Geschäfte und verödete Stadtzentren mit leeren Schaufenstern gab es schon vor Corona in zu großer Zahl.

Dennoch scheint es, als ob die Schicksale von Hotel- und Restaurantbesitzern den Österreichern und ihrer Regierung mehr ans Herz gingen als das Los der Geschäftsleute. „Der Handel ist das Stiefkind der Politik“, meint jedenfalls Rainer Will. „Ich verstehe ja, dass die Gesundheit an erster Stelle steht. Aber glauben Sie, dass es in der Gondel kein Corona gibt? Während die Geschäfte alle gesperrt sind, öffnen in Ischgl jetzt die Skilifte, und man wirbt offen damit, dass die Gäste ja über die Grenze in die Schweiz zum Essen fahren können.“

Ungerecht behandelt fühlt sich auch Paul Douay von Unibail-Rodamco-Westfield: Er könne gut verstehen, dass die Regierung alle denkbaren Maßnahmen ergreife, um einen hohen Gesundheitsschutz zu ermöglichen. „Aber eine Vielzahl an nationalen und internationalen Studien hat im Verlauf der Pandemie eindeutig festgestellt, dass der stationäre Handel für Besucher und Mitarbeiter in den Shops sicher ist.“

In den nächsten Tagen will die Regierung entscheiden, wie es mit dem Lockdown weitergeht. Zahlreiche Experten plädieren schon jetzt für eine Verlängerung über den 12. Dezember hinaus.

Rosemarie Schwaiger