Titelgeschichte

Geschlechtergerechte Sprache: Wer gendern wollen sollen muss

Über Gebote, Empfehlungen und sogar die Verbote in der deutschen Sprache - und über Eingriffe, die doch nicht so stark sind, wie sie wirken.

Drucken

Schriftgröße

Sie sprechen Deutsch, aber sprechen Sie auch geschlechtergerechtes Deutsch? Die sogenannte geschlechtergerechte Sprache“? Es ist keine Schande, zuzugeben, in diesem Idiom nicht sattelfest zu sein, wenn vom Glottisschlag oder nicht-binaren Pronomen die Rede ist, oder wenn mitten im Wort mal ein Sternchen, mal ein Unterstrich und dann wieder ein Doppelpunkt auftaucht. Keine Sorge, nicht nur die einfachen Anwenderinnen und Anwender der deutschen Sprache sind derzeit verwirrt

Ein kurzer Lagebericht: Das Bildungsministerium empfiehlt in seinem Leitfaden „Geschlechtergerechte Sprache“, geschlechtergerecht zu formulieren, empfiehlt jedoch explizit nur den Schrägstrich „/“ als Sonderzeichen. Die Hochschulen hingegen, für die das Bildungsministerium zuständig ist, lassen sich bei der Wahl der Mittel, um gendergerecht zu schreiben, nicht einschränken: Die Akademie der bildenden Künste empfiehlt den Unterstrich, die Pädagogische Hochschule Tirol den Doppelpunkt, und die meisten Unis freuen sich, vom Binnen-I bis zum Genderstern jede Variante anzubieten. Und während das Ministerium darauf hinweist, dass die einzelnen Formulierungen grammatikalisch korrekt sein müssen, pfeifen manche Hochschulen auch auf dieses Erfordernis. Korrektheit sei „unerheblich“, so der Leitfaden der Akademie der bildenden Künste.

Es wird noch komplizierter: Seit in Niederösterreich die schwarz-blaue Landesregierung das Gendern mit Sonderzeichen in der Verwaltung und an Schulen in ihrem Einflussbereich untersagt hat, hängt die Frage, wie man korrekt spricht und schreibt auch noch davon ab, wo man innerhalb der Republik seinen Bildungsweg beschreitet. Wer in St. Pölten eingeschult wird und später an der Uni Wien landet, sollte in Sachen Geschlechterbenennung einigermaßen sprachelastisch sein.

Wir leben in einem sprachlichen Gender-Dschungel. Noch nie waren so grundlegende Fragen der Orthografie so unklar und so umstritten wie jetzt. Dagegen erscheint die Schlacht um die „daß/dass“-Schreibung rückblickend harmlos wie ein falsch gesetztes Semikolon.

Ein Ausdruck von Pluralismus

Aber ist das unbestreitbare Chaos tatsächlich so schlimm? Fragen der Sprache werden schrecklich emotional debattiert, weil sie bei jedem und jeder tief ins Innere der Identität reichen. Die Sprache wird von den Eltern zu den Kindern weitergegeben, und sie ist alles, was wir haben, um uns auszudrücken. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, schrieb Wittgenstein, und das hat auch zur Konsequenz, dass jeder seine Sprache – und damit seine Welt – verteidigt.

Doch mit etwas Gelassenheit betrachtet, sind all die Gebote, Empfehlungen und sogar die Verbote in den meisten Fällen nicht so starke Eingriffe, wie es zunächst scheint. Schüler können gegen den Wunsch der Lehrpersonen verstoßen, in gendergerechter Sprache zu schreiben; ORF-Moderatoren pflegen weiterhin den Glottisschlag, auch wenn der Generaldirektor dies gar nicht gern hört. Ein niederösterreichischer Beamter widersetzt sich dem Gender-Verbot. Nur an den Unis riskiert man eine schlechtere Note, wenn man auf dem generischen Maskulinum beharrt.
Das Anarchische an der derzeitigen Lage kann man als Ausdruck von Pluralismus interpretieren. Vielleicht auch als schlampige, typisch österreichische Lösung. Wenn etwa das Bildungsministerium seinem Leitfaden zur geschlechtergerechten Sprache ein Zitat der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller voranstellt, das im generischen Maskulinum formuliert ist, kann der Zwang zur korrekten Sprache nicht allzu strikt sein: „Sprache ist nirgends und zu keiner Zeit ein unpolitisches Gehege, denn sie lässt sich von dem, was Einer mit dem Anderen tut, nicht trennen.“

Müller hat recht: Wir befinden uns in einem demokratischen Prozess. Anders als in Frankreich, wo die Académie française mit großer Autorität strenge Regeln erlässt und über deren Einhaltung wacht, kennt der deutschsprachige Raum keine vergleichbare Institution. Der Rat für deutsche Rechtschreibung hat keine annähernd große Bedeutung. Umso mehr Gewicht kommt den vielen unabhängigen – formellen und informellen – Institutionen zu: den Verlagen, der Werbung, den Radiosprechern, den Dichterinnen, den Unternehmen, den Theatern, den Liedermachern … Sie alle haben, indem sie sie anwenden, zur Sprache etwas zu sagen. Die Linguistin Damaris Nübling prognostiziert im profil-Interview (S. 26), dass sich verschiedene Varianten geschlechtergerechter Sprache über einen langen Zeitraum erhalten werden, ohne sich endgültig durchzusetzen. Genderstern und generisches Maskulinum könnten somit nebeneinander existieren, friedlich wie das deutsche Wort und der dazugehörige Anglizismus, der Mörder und der Killer.

Braucht es also überhaupt eine strenge Regelung? Die Einheitlichkeit der Rechtschreibung gilt seit jeher als unbestrittenes Ziel von Sprachnormen. Sie erleichtert das Erlernen, die Lesbarkeit und Verständlichkeit. Aber die Sprachgemeinschaft kann dem ein anderes Ziel – die Geschlechtergerechtigkeit – überordnen. Im Idealfall ist Sprache verständlich und gerecht. Weil aber „die Gleichberechtigung der Geschlechter ein Wunsch der Gesellschaft, aber noch nicht gänzlich umgesetzt ist, konnte sich in der Sprache bis jetzt auch keine Regelmäßigkeit dafür herausbilden“, heißt es in den Anmerkungen zur aktuellen Ausgabe des Österreichischen Wörterbuchs. Es kann also noch dauern.

Zudem ist eine Sprachgemeinschaft keine homogene Gruppe, und so verläuft die Entscheidungsfindung darüber wie viele andere Konflikte auch: Eine progressive Elite geht voran, eine konservative Elite kämpft dagegen an. Beides, die politische Durchsetzung des Genderns wie auch dessen erbitterte Ablehnung, sind also Elitenprojekte. Der Überblick geht verloren. profil beantwortet Fragen zum Gender-Dschungel.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist seit 1998 Innenpolitik-Redakteur im profil und Co-Autor der ersten unautorisierten Biografie von FPÖ-Obmann Herbert Kickl. Sein journalistisches Motto: Mitwissen statt Herrschaftswissen.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur