Internationaler Frauentag: Bestandskontrolle
ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler vertrat unlängst die Meinung, dass es in Österreich kaum noch patriarchale Strukturen gebe. Vergangene Woche erklärte FPÖ-Frauensprecherin Carmen Schimanek anlässlich des Internationalen Frauentages, dass man doch endlich „stolz auf das Erreichte“ blicken solle, „anstatt ausschließlich Missstände aufzuzeigen“. Dieser lästige Feminismus!
Tatsächlich lästig ist der Umstand, dass Feministinnen Tag für Tag aufs Neue bei den Grundlagen beginnen und selbst weibliche Regierungsmitglieder wie Karoline Edtstadler davon überzeugt werden müssen, dass die strukturelle Diskriminierung, Selbstbestimmung und Sicherheit von Frauen kein Fall für den Meinungsmarkt sind. Frauen dürfen heute wählen, sie haben Jobs und können sich einigermaßen frei für einen Lebensentwurf entscheiden. Das war jedoch nie der Großzügigkeit des Patriarchats geschuldet: Alle Rechte, die Frauen inzwischen besitzen, sind das Ergebnis harter Kämpfe vergangener Frauenbewegungen. Und trotzdem diskutieren wir 2019 wieder über die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen und immer noch über Frauenquoten. Frauen und Männer in Österreich sind nicht gleichgestellt. Viele gesellschaftliche Bereiche werden auch 2019 von Männern dominiert.
57,1%
Nach wie vor sind Frauen in Politik und in Toppositionen in Wirtschaft, Kunst und Kulter unterrepräsentiert, dabei sind sie heute im Durchschnitt besser gebildet als Männer. 2016/17 wurden 57,1 Prozent der Maturaabschlüsse von Schülerinnen abgelegt. 55,8 Prozent der Studienabschlüsse wurden von Frauen erworben.
50,1%
Die Alterspensionen der Frauen waren 2017 um mehr als die Hälfte niedriger als jene der Männer. Während Pensionistinnen im Mittel monatlich 951 Euro bekamen, waren es bei den Männer 1905 Euro. Alleinlebende Pensionistinnen und alleinerziehende Frauen zählen zu jenen Gruppen in Österreich, die am stärksten armutsgefährdet sind.
83%
Im März des Vorjahres musste sich ein 32-jähriger Niederösterreicher vor Gericht verantworten, weil er seine Ex-Freundin mit einem Messer erstochen hatte. Sein Verteidiger begründete die Tat vor dem Richter damit, dass die Ex-Freundin seines Mandanten diesen betrogen habe. Er sei in „seiner Männlichkeit verletzt“ worden.
Kein Ort ist für Frauen in Österreich gefährlicher als ihr familiäres Umfeld. 2017 suchten 18.860 Opfer familiärer Gewalt Hilfe in Schutzeinrichtungen. 83 Prozent davon waren Frauen und Mädchen, die in den allermeisten Fällen vor ihrem Partner oder einem anderen Mann in der Familie flüchteten. Im Durchschnitt alle paar Tage versucht ein Mann in Österreich, seine Frau oder Ex-Freundin umzubringen. Fast jede zweite Woche gelingt es einem.
73,4%
der Frauen im Alter von 25 bis 49 Jahren mit Kindern unter 15 Jahren waren 2017 teilzeitbeschäftigt. Bei den Männern waren es 6,8 Prozent.
28%
der österreichischen Männer putzen oder kochen täglich – bei den Frauen sind es 83 Prozent. (EU-weit betätigen sich 79 Prozent der Frauen und 34 Prozent der Männer täglich im Haushalt.)
Null Interesse
hat die Regierung offenbar an der langjährigen Expertise von Frauenvertreterinnen und Rechtsexpertinnen. Als Reaktion an der Gewalt gegen Frauen und Kinder hat die ÖVP/FPÖ-Koalition ein Maßnahmenpaket geschnürt, das härtere und höhere Strafen bei Gewalt- und Sexualdelikten vorsieht. Die Rechtsanwaltskammer bezeichnete die geplante Verschärfung als „populistisch“, Richterpräsidentin Sabine Matejka wies darauf hin, dass es „keine wissenschaftlich fundierten Belege“ für die Wirksamkeit von höheren Strafen gebe – viel wichtiger seien Opferschutz und Täterarbeit. Auch die Vertreterinnen der Frauenhäuser halten den jetzigen Strafrahmen für „ausreichend“ und halten die Verschärfung für „kontraproduktiv“: Es würde Opfer vor Anzeigen abhalten. Die Expertinnen blieben bisher ungehört.
3,8%
Kinderbetreuung bleibt Aufgabe der Frau. Im Dezember 2017 waren 119.476 Frauen und nur 4773 Männer in Karenz. Damit lag der Männeranteil bei 3,8 Prozent und ist gegenüber 2016 sogar noch gesunken (4,2 Prozent).
70%
der Burschen in Österreich finden das Thema Menstruation unwichtig und peinlich. Das ergab eine Umfrage der Plattform erdbeerwoche unter 1100 österreichischen Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren im Jahr 2017. Auch 60 Prozent der befragten Mädchen hatten eine negative Einstellung zum Thema Menstruation. Die Umfrage zeigt große Wissenslücken der Teenager auf: 17 Prozent der Mädchen und jeder dritte Junge wissen nicht, was Menstruation eigentlich bedeutet.
2 Ärzte
in Vorarlberg und Tirol gibt es im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern nur zwei Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. In den öffentlichen Spitälern werden die Eingriffe gar nicht vorgenommen. Abtreibung ist in Österreich nach wie vor ein Tabu, die Versorgungslage in vielen Regionen prekär.
Anders als in allen anderen westeuropäischen Ländern werden etwa die Kosten eines Abbruchs hierzulande nicht von den Krankenkassen übernommen. Politische Ambitionen, die ärztliche Versorgung zu verbessern, fehlen. Im Gegenteil: Aktuell wird im parlamentarischen Petitionsausschuss eine Initiative behandelt, die Spätabtreibungen bei schweren geistigen oder körperlichen Schäden von Ungeborenen verbieten will. Unterstützt wird die Forderung von hochrangigen Politikern, darunter FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer und ÖVP-Nationalratsabgeordnete Kira Grünberg.
1
„Women of Colour“ sind in der Medienöffentlichkeit besonders unterrepräsentiert. Aktuell ist im ORF lediglich eine Journalistin mit nichtweißer Hautfarbe regelmäßig vor der Kamera sichtbar.
-3
Laut den aktuellen Zahlen des „Women in Work Index“, in dem das Wohlergehen und die Präsenz von Frauen im Arbeitsleben in 33 OECD-Ländern analysiert werden, hinkt Österreich bei der Gleichstellung von Frauen hinterher. Entgegen dem Gesamttrend der OECD hat sich Österreich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert und ist im Ranking von Platz 22 auf 25 zurückgefallen. Zwar hat sich die Arbeitslosenrate der Frauen reduziert, bei der Lohnschere zwischen Frauen und Männern gab es allerdings kaum Verbesserungen. Der „Gender Pay Gap“ lag im Jahr 2017 bei 19,9 Prozent und somit deutlich über dem EU-Durchschnitt (16 Prozent).