Österreich

Geschlossene Gesellschaft: Warum die Kinderbetreuung im Sommer noch immer so schwierig ist

Nur fünf Wochen Urlaub, aber neun Wochen Schulferien – und der Kindergarten bleibt geschlossen. Bei der Kinderbetreuung verbessert sich die Lage zwar, aber nur langsam. Ein Überblick.

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Wer in diesem Sommer Kinder hat und arbeiten muss, braucht entweder Geld, Großeltern – oder einen Wirtschaftskammerpräsidenten. WKÖ-Chef Harald Mahrer passt gemeinsam mit seiner Frau eine Woche auf die Kinder seines Schwagers auf. Anders können die Eltern die Betreuungslücke nicht schließen, die in den Sommermonaten entsteht. „Eine Schande“, nannte Mahrer das zuletzt.

Er und seine Familie sind eine prominente Stichprobe der vielen, für die sich auch heuer wieder frustriert die Frage stellt: Wenn die Sommerferien neun Wochen dauern, Berufstätige aber meistens nur fünf Wochen Urlaub im ganzen Jahr haben – wieso gibt es keine flächendeckende, kostengünstige Fremdbetreuung?

Womöglich würde es die Situation entschärfen, wenn die schulfreie Zeit zumindest anders verteilt wäre, falls sich Eltern nicht mehrere Wochen am Stück freinehmen können. In der aktuellen profil-Umfrage von Unique Research findet eine deutliche Mehrheit, dass die Sommerferien zu lange dauern. 56 Prozent sind der Meinung, dass neun Wochen (eher) zu viel sind, bei berufstätigen Eltern schulpflichtiger Kinder sind es sogar 71 Prozent.

Sollte das Stimmungsbild unter Politikerinnen und Politikern ähnlich sein, wäre es eine schweigende Mehrheit. Auf Nachfrage sind nur die NEOS offen für eine Änderung: „Natürlich kann man über eine Verkürzung der Sommerferien reden, vor allem, wenn jene Kinder im Sommer den Anschluss verlieren, die sich nicht leichttun“, sagt Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre. „Eine Verkürzung allein macht das Bildungssystem aber nicht besser.“ Wenn, dann müsste die Maßnahme Teil einer großen Schulreform sein.

In der Vergangenheit flackerte die Debatte immer wieder kurz auf, zum Beispiel 2011: Damals bildete sich eine merkwürdige Allianz aus der steirischen SPÖ-Bildungslandesrätin Elisabeth Grossmann, Ursula Haubner vom BZÖ, Elternvereinen und Reiseveranstaltern. Man könnte die Sommerferien verkürzen und dafür eine Woche im Herbst anhängen, war ihre Idee. 2016 startete die damalige Familienministerin Sophie Karmasin einen nächsten Versuch. Erfolglos.

Ein „freier, ungeregelter Sommer“

Sibylle Hamann, Bildungssprecherin der grünen Regierungspartei, wirkt zumindest gespalten in der Frage. „Wir müssen in die Realpolitik Österreichs schauen“, sagte sie zu „Datum“. Die Lehrergewerkschaft sei „eine der mächtigsten Institutionen im Land“, „und niemand, der halbwegs bei Sinnen ist, wird sich trauen, an diesem Tabu zu rühren“. Im Gespräch mit profil meint sie etwas diplomatischer: „Dieser freie, ungeregelte Sommer am Land bei den Großeltern hat schon einen großen Wert, den würde ich niemandem wegnehmen wollen.“ Aber: „Die Kinder, die so einen Sommer erleben, werden immer weniger.“ In den Ferien zeige sich die fehlende Chancengleichheit von Kindern deutlich: „Die einen gehen auf die Kinderuni und machen Kultururlaub, die anderen sitzen vor der Konsole.“

Die Regierung habe seit 2020 die Ferien aber ohnehin indirekt verkürzt. Zwei Wochen vor offiziellem Schulstart können Kinder und Jugendliche – freiwillig – die sogenannte Sommerschule besuchen, in Kleingruppen den Stoff wiederholen und sich auf das kommende Schuljahr vorbereiten. Auch das Bildungsministerium von Martin Polaschek (ÖVP) verweist auf das Projekt: 830 Angebote gibt es in diesem Jahr österreichweit, 32.670 Schülerinnen und Schüler haben sich bis jetzt angemeldet. Die SPÖ fordert noch eine dritte Woche, in der die Kinder am Standort spielen und lernen sollen.

Für Christiane Götz, Präsidentin des Tiroler Elternverbands, ist das noch lange nicht genug: „Kinderbetreuung bräuchte einen ganz anderen Stellenwert.“ Die Zeit sei für die Kinder sozial wertvoll und für Eltern, vor allem Mütter, essenziell, um einem Beruf nachzugehen. Sie selbst konnte einmal einen Job nicht annehmen, weil sie keinen Betreuungsplatz mit den passenden Öffnungszeiten gefunden hatte. Ironischerweise wäre es eine Funktion im pädagogischen Bereich gewesen, in dem dringend Arbeitskräfte gesucht werden. „Mittlerweile gibt es zwar im Sommer schon relativ viele Angebote von Gemeinden und Vereinen“, sagt Götz. Die Angebote würden aber nach und nach eintrudeln. Es bräuchte eine gebündelte, gut geplante Übersicht für Eltern. Noch wichtiger wäre aber erstens, die Kosten zu senken: „Viele können es sich schlicht nicht leisten.“ Und zweitens, Angebote für alle Altersgruppen zu schaffen: „Für 10- bis 14-Jährige sind sie sehr dürftig.“

Unterschiede im Kindergarten

Bei Kleinkindern hängt die Versorgungslage stark vom Bundesland ab (siehe Grafik). profil wertete aktuelle Zahlen der Statistik Austria aus: Demnach haben in Tirol 45 Prozent der Kindergärten länger als zwei Monate geschlossen. In Kärnten sind es 27 Prozent, in Salzburg und der Steiermark 22 Prozent. Besser schneiden die Steiermark (zwölf Prozent) und Niederösterreich (zwei  Prozent) ab. Die Hauptstadt ist eine Ausnahme: In Wien gibt es nur einen einzigen Kindergarten, der mehr als 41 Tage geschlossen bleibt. Der Großteil, nämlich 63 Prozent, bleibt maximal fünf Tage zu. Am häufigsten sind die Kindergärten, das ist in allen Bundesländern so, in den Sommermonaten geschlossen.

Die Situation verbessert sich zwar, aber nur langsam. Noch nie war so ein hoher Anteil der Kinder bis fünf Jahren in Fremdbetreuung. Das heißt allerdings nicht automatisch, dass der Kindergarten einen Vollzeitjob der Eltern ermöglicht.

Der Bund fördert zwar den Ausbau von ganztägigen Kindergärten und die Sommerbetreuung von Gemeinden, aus Sicht der zuständigen Länder und Gemeinden aber noch lange nicht genug. Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) will sich „im Rahmen des Finanzausgleichs für weitere Maßnahmen einsetzen“, heißt es aus ihrem Büro. Derzeit wird gerade darüber verhandelt, wie sich die Einnahmen aufteilen. Die grüne Abgeordnete Hamann fordert eine „klarere Zweckwidmung“ der Gelder für ein ganzjähriges Betreuungsangebot. Die Verhandlungen werden aber noch Monate dauern.

Auch die Wirtschaftskammer fordert, unabhängig von Mahrers Sommerplänen, einen massiven Ausbau der qualitativ hochwertigen ganzjährigen Betreuung.   Der Präsident kann ja nicht überall einspringen.

Iris Bonavida

Iris Bonavida

ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.