Warum Frauen zu gewalttätigen Partnern zurückkehren
Vor gut einem Jahr teilte Maria Fotos über ihre digitalen Profile. Von Blutergüssen, Bissspuren und blauen Flecken, von Röntgen-Unterlagen, die die Auswirkungen der körperlichen Gewalt dokumentierten, die sie zwei Jahre lang in ihrer Beziehung erlebt hatte.
Heute ist Maria wieder mit ihrem Partner zusammen.
„Ich hatte nach der Trennung das Gefühl, dass es keine Gerechtigkeit für mich gab. Nach langer Überlegung entschied ich mich dazu, meine Geschichte zu teilen“, erzählt die Mitte 20-jährige. Als sie die Gewalttaten ihres Partners auf Instagram öffentlich zur Schau stellte, kam von ihm wochenlang keine Reaktion. Das machte Maria Angst. Durch sein früheres Verhalten wusste sie, dass er unberechenbar sein konnte. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich getrennt hatten. Innerhalb der drei Jahre, in denen sie zusammen waren, trennten sich die beiden über fünf Mal. Während dieser Trennungen stand er teilweise unangekündigt vor Marias Tür - und konnte seine Gefühle nicht regulieren.
Nach dieser letzten Trennung war das anders. Nach Wochen meldete sich ihr Partner bei Maria und bedankte sich bei ihr für den „Wake-Up-Call”, diesen Weckruf. Er sei jetzt in Therapie und es tue ihm unglaublich leid, was er ihr angetan habe. Kurze Zeit später sind sie wieder zusammen. Maria und ihr Partner durchleben damit abermals den tückischen Kreislauf der Gewalt in ihrer Beziehung: Spannungsaufbau, Gewaltausbruch, Reue und neuerliche Zuwendung.
Schleichender Beginn zur Gewalt
Insgesamt dauert Marias On-off-Beziehung fast fünf Jahre. Über zwei Jahre davon hat ihr Partner Maria regelmäßig körperliche und psychische Gewalt angetan, davor bereits vereinzelt. Angefangen hat die Gewaltspirale 2020 mit psychischer Gewalt. „Er hat mich in ein Zimmer gezerrt, abgeschlossen und mich niedergeschrien“, erzählt Maria. Das Bauchgefühl, dass etwas nicht stimmte, hatte sie schon am Beginn der Beziehung.
Durch die psychische Gewalt, die von Erniedrigung und Schuldzuweisungen geprägt war, dachte Maria, sie hätte die körperliche und psychische Gewalt verdient. Sie wäre schuld an seiner Trauer und Wut. „Im Unbewussten habe ich mir eingeprägt, dass ich keine Reaktion auf sein Verhalten haben darf. Wenn ich lauter geworden bin, hatte ich das Gefühl, dass ich es verdient habe, so behandelt zu werden“, erzählt sie.
Psychische Co-Abhängigkeit: Warum Frauen bleiben
Maria wollte ihren Partner oft verlassen und hat es auch mehrmals getan. „Gleichzeitig konnte ich seine Verlassensängste so gut nachvollziehen, dass ich es ihm nicht antun wollte“, sagt sie rückblickend. Mit den Jahren entwickelt Maria eine psychische Co-Abhängigkeit zu ihrem Partner und er zu ihr. „Ich hatte einfach nicht den Mut, zu sagen: Ich verlasse mich auf mich selbst. Eine große Rolle spielte auch, dass ich die Grenze zwischen ihm und mir nicht festlegen konnte.“
Maria ist nur eine von vielen Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. 14% aller Frauen haben in ihrem bisherigen Leben körperliche Gewalt in der Partnerschaft erlebt, 37% haben psychische Gewalt erfahren. Die Angst, darüber zu sprechen, die Furcht vor tiefer Ablehnung des Partners, vor Schuldzuweisungen: Das alles sind laut Julia Brož, inhaltliche Geschäftsführerin vom Verein Wiener Frauenhäuser, Symptome von psychischer Gewalt in einer Beziehung. Für Betroffene ist die von Maria beschriebene emotionale und psychische Abhängigkeit einer der Gründe, warum sie bleiben, erzählt auch Brož.
Strukturelle Bedingungen: Finanzielle Abhängigkeit
Neben psychischer und emotionaler Abhängigkeit gibt es auch strukturelle Gründe, die Frauen an ihre gewalttätigen Partner binden. Eine von drei Bewohnerinnen, die im Jahr 2022 in Frauenhäuser aufgenommen wurden, hatte kein eigenes Einkommen. Nur jede zehnte der aufgenommenen Frauen arbeitete Vollzeit. Die finanzielle Abhängigkeit der Frauen zu ihren Partnern spielt für die Rückkehr oder das Bleiben in einer Gewaltbeziehung eine wesentliche Rolle. Julia Brož erzählt von Fällen, wo (Ex-)Partner Frauen damit drohen, sie würden ihren Aufenthaltstitel nach der Trennung verlieren oder den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern.
Trennungen sind in Hinblick auf Gewalt die gefährlichste Zeit für eine Frau. Julia Brož erzählt von körperlicher, psychischer Gewalt bis zu Morddrohungen, mit denen Frauen in dieser Zeit konfrontiert sind. In Österreich sind 74 Prozent der Täter in Femiziden die (Ex-)Partner der getöteten Frauen. Bei rund 30 Prozent war die Trennung für die Morde ausschlaggebend. Aus Angst vor den Auswirkungen kehren Frauen daher oft zu ihren Partnern zurück.
Fehlendes Vertrauen in die Polizei
Dass sich Frauen in dieser Situation nicht an die Polizei wenden, liegt oft an einem mangelnden Vertrauen in die Beamten. Maria zum Beispiel erinnert sich an Situationen, in denen die Polizei während heftiger Streits von Nachbar:innen gerufen wurde: „Die Polizei wusste überhaupt nicht, wie sie mit der Situation umgehen soll. Einmal hat mich eine Polizistin beschämt und ist lauter geworden, was das denn solle und warum ich mich nicht einfach von ihm trenne?“ Die junge Frau fühlte sich gedemütigt. Dieser Umgang der Polizeibediensteten hat Maria den Mut und das Vertrauen genommen, sie zu Hilfe zu rufen.
Täter-Opfer-Umkehr
Laut der Frauenhaus-Geschäftsführerin wäre es ein wichtiger Schritt in der Gewalt-Prävention, Berufsgruppen, die mit häuslicher Gewalt zu tun haben, zu sensibilisieren - also etwa Polizeibedienstete, Richter:innen oder Mitarbeiter:innen im Gesundheitswesen entsprechend zu schulen.
Denn das Verhalten der Polizistin gegenüber Maria zeigt ein gesellschaftliches Problem. „Oft werden Frauen von der Gesellschaft dafür beschämt, dass sie bei ihren gewalttätigen Partnern bleiben oder zu ihnen zurückkehren. Das ist eine klassische Täter-Opfer-Umkehr.“, so Julia Brož. Diese Beschämung mache es für Frauen umso schwerer, sich aus der Gewaltbeziehung zu lösen. Wenn Frauen zu ihrem gewalttätigen Partner zurückkehren und dieser dann erneut gewalttätig wird, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie von ihrem Umfeld beschämt werden, so Brož. „Ich habe es dir doch gesagt! Du bist selbst schuld, wenn du zu ihm zurückgehst,“ bekämen Frauen dann von Familie oder Freundeskreis zu hören.
Frauenhäuser als Notlösung
Wovon Julia Brož und Maria beide überzeugt sind: Häusliche Gewalt ist ein gesellschaftliches Problem und Frauenhäuser könnten es nicht lösen, sondern sind für die Soforthilfe da. Wenn die Gewalt schon passiert ist. Für Julia Brož bräuchte es viele unterschiedlichen Maßnahmen der Präventionen, um häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen zu lösen: „Von Kindesalter an muss man sich mit Rollenbildern beschäftigen, die so viele Ungleichheiten zementieren. Das liegt nicht nur in den Händen der Eltern, sondern es ist auch Aufgabe von Bildungseinrichtungen.“ Dazu sollte sich jede:r mit der Frage beschäftigen, wie eine gleichwertige Beziehung aussieht.
Auch Maria fällt in ihrer Beziehung auf, wie gesellschaftliche Erwartungen und verstaubte Rollenbilder von Männlichkeit die Aggression und den schlechten Umgang mit Gefühlen fördern: „Der Gedanke, er dürfe keine Schwäche zeigen, ist tief verankert. Und dann explodiert er.”
„You can’t fix him“
Immer wieder überlegt Maria, sich von ihrem Partner zu trennen. Er sei zwar nicht mehr gewalttätig, trotzdem gebe es noch Vieles aufzuarbeiten. Sie fragt sich: „Ist es mir das wirklich wert?“. Dieser Gedanke habe sich im Gespräch mit einer ihr nahestehenden Person, die von ihrer eigenen Gewaltbeziehung erzählte, verstärkt: „Es ist wie ein Spiegelbild vor sich zu haben. Währenddessen sie mir über ihre Beziehungsdynamiken erzählte, habe ich mir nur gewünscht, dass sie sich von ihm löst.“
Über die Jahre haben sich die Lebensumstände. Sie habe sich verändert. „Ich habe gelernt, mich mehr auf mich selbst zu verlassen. Mittlerweile habe ich Freund:innen, die mich unterstützen, eine stabile Arbeit und gute Wohnverhältnisse.“ Ihr Ratschlag an andere Frauen ist deutlich: „Macht nicht dieselben Fehler wie ich. Don’t go back to your ex. You can’t fix him. He has to want to fix himself.”
*Der Name von Maria wurde zu ihrem Schutz verändert.