Gewalt in der Schule: "Erst Thema, wenn etwas passiert"

Im Vorjahr gab es 835 Anzeigen wegen Körperverletzung oder schwerer Körperverletzung, das ergab eine parlamentarische Anfrage. Birgit Satke, Leiterin der Beratungsstelle Rat auf Draht, wundert sich nicht über die Zahlen.

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profil: Haben Sie die unlängst veröffentlichten Zahlen zu Gewalt in der Schule überrascht? Birgit Satke: Bei Rat auf Draht haben wir im letzten Jahr eine leichte Steigerung der Beratungsgespräche zu Gewalt in der Schule festgestellt, darum haben sie mich nicht verwundert. Im Jahr 2017 hatten wir knapp über 400 Anfragen zu sowohl physischer als auch psychischer Gewalt in der Schule, im Jahr 2016 waren es 380. Zum Thema Gewalt insgesamt, in der Familie oder in Beziehungen, waren es 2300 Anfragen im letzten Jahr.

profil: Was sind die häufigsten Formen von Gewalt? Satke: Bei uns halten sich physische und psychische Gewalt in etwa die Waage. Bei psychischer Gewalt geht es meist um Mobbingvorfälle.

profil: Was sind die häufigsten Ursachen für gewalttätige Übergriffe? Satke: Die Ursachen sind oft aufgestaute Aggressionen, Probleme zu Hause oder die eigene Überforderung.

profil: Ist die Nationalität bei den Tätern ein Thema? Satke: Da merken wir keinen Unterschied. Wir können das nicht an einer Nationalität oder Gruppe festmachen. Es geht hier mehr um das persönliche Umfeld.

profil: Welche Möglichkeiten der Prävention gibt es? Satke: Wichtig ist auf jeden Fall, dass man an den Schulen darüber aufklärt. Auch darüber, dass das strafbare Handlungen sind und welche Folgewirkungen so etwas für die Betroffenen haben kann. Wichtig wäre es auch, die Zivilcourage der Schüler zu stärken.

profil: Wird in den Schulen zu wenig darüber gesprochen? Satke: Vor allem im Vorfeld wird zu wenig darüber gesprochen. Meist wird Gewalt erst zum Thema, wenn schon etwas passiert ist. Wir selbst machen Workshops an Schulen, aber aufgrund unserer personellen Ressourcen leider zu selten. Es ist grundsätzlich immer gut, wenn eine neutrale Person das Problem thematisiert.

profil: Fehlt es hier an Schulpsychologen? Satke: Unsere Erfahrung ist, dass es viel zu wenige gibt. Ein Psychologe ist oft für mehrere Schulen zuständig, egal um welche Themen es geht. Wenn man Hilfe sucht, kann das einige Zeit dauern.

profil: Melden sich auch Lehrer bei Rat auf Draht? Satke: Meist wenn es um psychische Gewalt geht, vor allem bei Cybermobbing. Die Lehrer haben hier oft zu wenig Wissen über die Plattformen und was man dagegen tun kann.

profil: Was erwarten sich die Gewaltopfer, die sich bei Ihnen melden? Satke: Viele von ihnen haben einen großen Leidensdruck. Diesen Menschen ist vor allem wichtig, dass sie darüber sprechen können. In anderen Fällen suchen die Jugendlichen Handlungsempfehlungen: An wen soll ich mich wenden? Wie soll ich mit der Gewalt umgehen? Vielen ist auch gar nicht klar, dass es sich um eine Straftat handelt. Ein Teil unserer Arbeit ist es, ihnen klarzumachen, dass sowohl psychische als auch physische Gewalt verboten ist. Zusätzlich klären wir über Unterstützungsmöglichkeiten auf. Manche brauchen etwas länger, um Vertrauen zu uns zu fassen und darüber zu reden, andere steigen direkt in das Thema ein.

profil: Welche Tipps würden Sie einem Schüler geben, der Zeuge oder selbst Opfer von Gewalt wird? Satke: Wenn man Zeuge von Gewalt wird, wäre es wichtig, nicht wegzuschauen, sondern jemanden zu informieren, dass man das beobachtet hat. Den Betroffenen hilft es auch, wenn man sich mit ihnen solidarisiert und hinter ihnen steht. Wenn man selbst Opfer ist, wäre es wichtig, mit dem Klassenvorstand und auch den Eltern zu sprechen. Signalisieren diese der Schule, dass das nicht Ordnung ist, hat das mehr Gewicht.

Rat auf Draht bietet eine Anlaufstelle bei Problemen, Fragen und in Krisensituationen für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen. Erreichbar unter der Nummer 147 zum Nulltarif und anonym, via Chat jeden Montag, Mittwoch und Freitag von 18-20 Uhr, per Online-Anfrage und auf WhatsApp und Instagram (@147rataufdraht).