Von der Giraffe zum Excel-Fehler: Chronologie des SPÖ-Chaos
November 2022: Die SPÖ Burgenland sorgt mit einer von ihr beauftragten Umfrage für Aufsehen, in der auch abgefragt wird, wie die SPÖ bei einer bevorstehenden Nationalratswahl mit Doskozil als SPÖ-Kanzlerkandidat im Vergleich zu Rendi-Wagner abschneiden würde. SPÖ-Landesgeschäftsführer Roland Fürst betont zwar, man habe nur Doskozils Inhalte abfragen wollen. Wenig später wirbt er aber in einem Interview offen für Doskozil als Bundeskanzler und bringt eine Befragung der SPÖ-Mitglieder ins Spiel.
Frühjahr 2023: Nach den Verlusten der SPÖ bei den Wahlen in Niederösterreich nimmt die Debatte um Rendi-Wagner - befeuert durch Aussagen Doskozils, dass die SPÖ mit der aktuellen Führung nicht ihr volles Wählerpotenzial ausschöpfe - weiter an Fahrt auf. Als Rendi-Wagner Doskozil ersucht, Anfang März "angesichts der aktuellen Situation" am SPÖ-Präsidium teilzunehmen, sagt dieser zu - um dort "Zukunftsperspektiven für die Sozialdemokratie" zu diskutieren.
14. März 2023: Doskozil gibt bekannt, dass er sich um den Vorsitz der Bundes-SPÖ bewerben will. Die jahrelangen Querschüsse gegen die Bundesvorsitzende relativiert er in seinem Bewerbungsbrief: Es gehe dabei nicht um einen "Rosenkrieg", sondern "um die Frage, mit welchen konkreten Programmen und Maßnahmen wir als SPÖ auf die konkreten Sorgen der Menschen in Österreich reagieren wollen".
15. März 2023: Der SPÖ-Vorstand beschließt, dass eine Mitgliederbefragung zur künftigen Parteispitze abgehalten werden soll. Endgültig entschieden werden soll die Führungsfrage bei einem Parteitag.
21. März 2023: Der frühere Leiter der "Sektion 8", Nikolaus Kowall, will sich ebenfalls um den Parteivorsitz bewerben: "Es findet sich niemand der es machen möchte, also mache ich es selbst." Die Partei öffnet daraufhin das Rennen um den Vorsitz für jedes Parteimitglied, das sich bis Freitag, 24. März, 23.59 Uhr bewirbt. Die Mitgliederzahlen der SPÖ steigen in der Folge von knapp 140.00 auf 148.000.
23. März 2023: Der vor allem von der Parteilinken hofierte Traiskirchener Bürgermeister Andreas Babler gibt seine Kandidatur bekannt, Kowall zieht daraufhin seine Bewerbung zurück.
25. März 2023: 73 Kandidatinnen und Kandidaten haben sich für den SPÖ-Parteivorsitz beworben. Darunter befindet sich auch eine Giraffe aus dem Tiergarten Schönbrunn. Andere Anträge wurden hingegen direkt abgelehnt. Etwa jener von Ex-BZÖ-Chef Gerald Grosz, da dieser "das Gegenteil der Grundsätze der Sozialdemokratie" präsentiere.
Die SPÖ darf sich nicht in den Eindruck der Lächerlichkeit manövrieren. Wir müssen jetzt retten, was zu retten ist.
27. März 2023: Nach stundenlangen Beratungen einigt sich der SPÖ-Parteivorstand auf neue Regeln: Die 73 Kandidatinnen und Kandidaten müssen nun doch Unterstützungserklärungen von zumindest 30 Mitgliedern vorweisen, um sich der Mitgliederbefragung ab 24. April zu stellen. So sollen Fake-Kandidaturen aussortiert werden.
11. April 2023: Wahlkommissionsleiter Harry Kopietz verkündet: Von den ursprünglich 73 Kandidaturen sind nur noch Rendi-Wagner, Doskozil und Babler im Rennen. Alle anderen 70 Bewerber hätten die Hürde von 30 Unterstützungserklärungen nicht geschafft oder ihre Kandidatur wieder zurückgezogen. Darunter war auch eine Giraffe aus dem Tiergarten Schönbrunn. Der einfache SPÖ-Funktionär Berthold Felber sieht sich um seine Kandidatur betrogen.
Es kann sein, dass man mich am Samstag nicht reinlässt, aber dann muss mich die Polizei abtransportieren.
24. April 2023: Die bis 10. Mai laufende Mitgliederbefragung beginnt und wird von parteiinternem Wahlwerben, zahllosen Medienauftritten und einem Schaulauf (mehr oder weniger prominenter) Unterstützerinnen und Unterstützer begleitet. Eine Stichwahl ist nicht vorgesehen, eine bindende Entscheidung soll erst auf einem Sonderparteitag am 3. Juni fallen. Während Babler dort auch kandidieren will, wenn er nicht Erster wird, schließt seine Konkurrenz das aus. Rendi-Wagner will, sollte sie nicht Erste werden, die Politik verlassen. Doskozil will sich ganz auf das Burgenland konzentrieren, wenn er bei der Mitgliederbefragung nicht den ersten Platz erreicht.
Es braucht ein neues Verständnis von politischer Führungsstärke, das sich nicht nur in der Bewunderung männlicher Machtrituale erschöpft.
22. Mai 2023: Bekanntgabe des Ergebnisses der Mitgliederbefragung nach Auswertung der Fragebögen durch die interne Wahlkommission: Doskozil erhielt 33,7 Prozent der Stimmen. Babler holte 31,5 Prozent, Rendi-Wagner 31,4 Prozent. 3,5 Prozent waren gegen alle drei Optionen. Rendi-Wagner gibt daraufhin ihr komplettes Aus aus der Politik bekannt und will bis Ende Juni auch ihr Nationalratsmandat zurücklegen.
31. Mai 2023: Auch Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch erklärt seinen Rückzug mit dem Parteitag am 3. Juni. Gleichzeitig sorgte ein Video aus dem Jahr 2020 mit Äußerungen Bablers zur EU für Aufsehen. Darin bezeichnete der Traiskirchener Bürgermeister die Union etwa als das "aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat".
1. Juni 2023: Letzte Rede von Rendi-Wagner im Nationalrat. Die scheidende SPÖ-Chefin wirbt dabei für Zusammenarbeit aller Parteien. Indirekt spricht sie auch den Führungskonflikt in der eigenen Partei an: "Es braucht ein neues Verständnis von politischer Führungsstärke, das sich nicht nur in der Bewunderung männlicher Machtrituale erschöpft."
3. Juni 2023: Hans-Peter Doskozil wird am Sonderparteitag in Linz mit 53 Prozent der Stimmen vermeintlich zum neuen SPÖ-Vorsitzenden gewählt, Andreas Babler unterliegt mit angeblich 46,8 Prozent. Dabei fällt ins Auge: Im Ergebnis fehlt eine Stimme.
5. Juni 2023: Zwei Tage später stellt sich heraus, dass das verkündete Ergebnis vollkommen falsch war: Andreas Babler ist SPÖ-Parteichef.
Aufgrund eines technischen Fehlers eines Mitarbeiters in der Excel-Liste wurde das Ergebnis vertauscht.
Beim Wahlgang selbst sei, "kein einziger Fehler unterlaufen", aber: "Aufgrund eines technischen Fehlers eines Mitarbeiters in der Excel-Liste wurde das Ergebnis vertauscht", erklärt die Vorsitzende der parteiinternen Wahlkommission, Michaela Grubesa, in einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Nicht Doskozil kam auf rund 53 Prozent der Stimmen, sondern Babler. Zusätzlich dürften am Parteitag zwei der insgesamt 602 Stimmen zu wenig gezählt worden sein: Laut SPÖ erhielt Babler tatsächlich 317 Stimmen (52,66 Prozent), Doskozil 280 (46,51) und fünf Personen hätten ungültig gewählt. Am 3. Juni hatte die Partei noch von 316 und 279 gültigen Stimmen für die Kandidaten kommuniziert.
Es wird genug Häme geben, es wird genug Spott geben. Das müssen wir uns in so einer Situation auch gefallen lassen.
Um 16.30 Uhr erklärt Doskozil: "Wahlergebnisse muss man zur Kenntnis nehmen". Doskozil ruft die Partei zur Einigkeit auf, denn: "Es wird genug Häme geben, es wird genug Spott geben, das müssen wir uns in so einer Situation auch gefallen lassen." Und der Burgenländer verspricht: "Es kann nur besser werden." Andreas Babler entschuldigt sich um 17.30 Uhr in einem kurzen Statement für "Teile der Sozialdemokratie", kündigt Besserung an - und übernimmt die Partei.
Ganz sicher ist sich Babler aber angesichts der chaotischen Ereignisse der letzten Wochen selbst nicht - und bat die Wahlkommission vorsorglich, noch einmal nachzuzählen.