„Das war hier wie ein Dorf, direkt an der Wagramer Straße“, sagt ein junger Mann, der seinen Hund an einem kühlen Herbstmorgen am Loimerweg im 22. Wiener Gemeindebezirk Gassi führt. Keine 100 Meter hinter ihm fahren Autos auf je drei Spuren aus Wien heraus oder in die Stadt hinein. Am dünnen Grünstreifen dazwischen fährt die Straßenbahnlinie 25 von der Kagraner Brücke zum Donau Zentrum, dem mit 133.000 Quadratmetern Verkaufsfläche größten Wiener Einkaufszentrum. Am Loimerweg hört man den Lärm der Stadt kaum. Dutzende Einfamilienhäuser stehen hier zwischen Donaustadtstraße und Alter Donau in einer kleinen, grünen Idylle. Beziehungsweise standen.
Die Grundstücke an der so genannten „Wiener Riviera“ sind längst zu begehrten Baugründen für hochpreisige Appartements geworden. Zwischen kleinen Holzhäuschen protzen nun immer mehr drei- bis vierstöckige Wohnungspaläste mit Einheiten zwischen 50 und 200 Quadratmetern Wohnfläche: Garage, Fußbodenheizung, großzügige Terrasse und der Blick aufs Wasser sollen zahlungskräftige Käufer locken. Doch der Bau-Boom hat seinen Preis: „Vor ein paar Jahren haben hier in der Früh die Hähne gekräht“, sagt der junge Mann, während sich sein Hund auf die Straße legt, wohl wissend, dass kein Auto seine Ruhepause stören wird: „Jetzt hört man nur noch die Baustellen. Bald heißt die Gegend hier Glorit-Village.“
Fertigteilhäuser aus der Gloritstraße
Die Kreuzung von Wagramer Straße und Donaustadtstraße wird an drei Ecken vom Donau Zentrum eingenommen. Die vierte Ecke gehört dem Stift Klosterneuburg. Bebauen darf nun der Premium-Bauträger Glorit. „Zuerst wird nur die Adresse besser. Dann das ganze Leben“, verspricht die Firma mit dem großen „G“ auf einer rund 100 Meter langen Plakatwand, die sich entlang des Grundstücks schlängelt. Zehn Geschoße will Glorit hier errichten – ein unüblich großes Projekt für eine Firma, die sich auf kleine Bauten spezialisiert hat. In Wien ist Glorit Marktführer bei Fertigteilbauten, produziert wird knapp außerhalb der Hauptstadt in Groß-Enzersdorf.
„Langsam fahren. Hier wird Ihr Traumhaus gefertigt“, steht auf einer Werbefläche am Weg zur „Gloritstraße“, in der Werk und Zentrale des Bauträgers angesiedelt sind.
In den letzten Jahren stand Glorit für Erfolg: Seit Stefan Messar die Luxus-Immobilienfirma 2013 übernahm, stieg der Umsatz in lichte Höhen. Lag er 2017 nach der Verschmelzung mit Glorit-Real noch bei rund 56 Millionen Euro, hatte er sich bis 2021 auf über 136 Millionen Euro fast verdreifacht. Das Unternehmen wurde dafür mit Auszeichnungen überschüttet, die nun auf einer Wand im Schauhaus in Groß-Enzersdorf hängen: 2020 wurde Messar vom Beratungsunternehmen „EY“ zum Unternehmer des Jahres in der Kategorie Industrie und Hightech gewählt, die Consultantfirma „Deloitte“ kürt Glorit seit vier Jahren jährlich zu einem der am besten geführten Unternehmen des Landes, und für die Immobilienplattform „FindMyHome“ ist der Bauträger seit sieben Jahren in Folge der „Top Developer“ des Landes.
Mittlerweile gibt es mehr Preise als Platz auf der Wand. Einige Urkunden stehen aneinandergereiht am Boden des Schauhauses.
Bau-Boom beendet
Doch in Zeiten hoher Zinsen und noch höherer Preise können sich viele Menschen Eigentum in Wien nicht mehr leisten. Zahlreiche Baufirmen haben ihre Tätigkeiten daher auf Eis gelegt. Glorit baut zwar weiter, doch der Einbruch der Immobilienbranche geht auch am Premium-Bauträger nicht spurlos vorbei.
Der Umsatz hat sich laut Firmenbuch von rund 132 Millionen Euro 2022 auf rund 60 Millionen Euro 2023 mehr als halbiert – der niedrigste Wert seit 2017. Anwohnerinnen und Anwohner an der Alten Donau vermuten: Die Luxus-Wohnungen des Premium-Bauträgers verkaufen sich derzeit nicht.
Eine interaktive Karte auf der Website der Immobilienfirma zeigt jede einzelne freie Glorit-Wohnung an. Kurzfristig beziehbar waren Ende Oktober zwölf Doppelhäuser, 39 Einzelhäuser und 120 Wohnungen – allesamt in Wien und Umgebung. Gut für potenzielle Käuferinnen und Käufer, die sich über eine große Auswahl freuen. Schlecht für das Unternehmen, falls es auf leeren Wohnungen sitzen bleibt. Der Bestand an fertigen und unfertigen Erzeugnissen hatte sich laut Firmenbuch von 62,5 Millionen Euro 2022 binnen eines Jahres auf 107,3 Millionen beinahe verdoppelt.
Doch Geschäftsführer Messar und Co-Geschäftsführer Lukas Sattlegger winken ab: Nachdem die Nachfrage nach Eigentum in Wien gesunken war, begann Glorit vor einem Jahr Miete mit Kaufoptionen anzubieten, sagt Messar: „Damit haben wir den Einbruch gut kaschiert.“ Dazu komme, dass Glorit ausreichend Eigenkapital habe, um durch die Krise durchzutauchen. Neben Messar selbst gehört die Baufirma Leopold Gartler, der auch weitere Unternehmensbeteiligungen wie den Leykam Verlag verwaltet. Und heuer habe man bereits das doppelte Verkaufsvolumen von 2023 erreicht. Vor allem aber habe Glorit nicht mit Leerstand zu kämpfen, „wir wollen dem Markt ein gewisses Portfolio bieten“, erklärt Messar. Denn rund 60 Prozent der Kunden würden ein anderes Objekt kaufen, als sie ursprünglich angefragt hatten, sagt Sattlegger.
Alles, was Baurecht ist
Potenziell abschreckend wirkt dabei, dass Glorit nicht nur auf eigenem Grund baut. Entlang der Alten Donau in Wien zählt das Stift Klosterneuburg zu den größten Grundbesitzern und verkauft ungern. Stattdessen vergibt das Stift „Superädifikate“ beziehungsweise Baurechtsverträge. Der Boden bleibt dem Stift dabei erhalten, der Vertragspartner darf darauf Eigentum bauen, vermieten und verkaufen – wenn er den vereinbarten Zins und dessen Inflationsanpassung zahlt. Nach maximal 100 Jahren läuft der Vertrag aus und müsste neu verhandelt werden.
2011 führte diese Konstruktion zu Zwist mit dem Stift, wie profil bereits damals berichtete: Da das Baurechtsgesetz aus 1912 stammt, liefen viele Verträge damals aus. Als sie ein Jahrhundert zuvor abgeschlossen worden waren, standen die Flächen entlang der Donau noch unter ständiger Überschwemmungsgefahr. Erst mit Fertigstellung der Neuen Donau und dem Hochwasserentlastungsgerinne namens Donauinsel 1987 wurde die Lage am Wasser zum schlagkräftigen Verkaufsargument.
Das Stift Klosterneuburg passte Neuverträge „im Sinne eines ordentlichen Kaufmanns“ damals an die Wertsteigerung an – und tut das bis heute. Viele alte Pächter können sich den neuen Zins nicht leisten und verkauften nach und nach an Bauträger wie Glorit. 15 bis 20 Prozent des Umsatzes macht Glorit mit Bauten, die auf Stiftsgründen stehen.
„Meistens kommen die Pächter direkt auf uns zu, weil sie verkaufen wollen.“
Stefan Messar
Geschäftsführer von Glorit, verhandelt erst in einem zweiten Schritt mit dem Stift Klosterneuburg
Ein unheiliges Kirchen-Kartell? Keineswegs, heißt es von Glorit und dem Stift unisono: Die Baufirma verhandelt zunächst nicht mit dem Stift, sondern mit dem bisherigen Pächter, um dessen Gebäude aus dem Baurechtsvertrag auszukaufen. Erscheint der neue Vertragspartner liquide, stimmt das Stift meist zu. Immerhin wird mit der Baufirma ein neuer Baurechtsvertrag ausgehandelt, auch wenn der alte noch Jahrzehnte lang laufen würde.
„Meistens kommen die Pächter direkt auf uns zu, weil sie verkaufen wollen“, sagt Messar. Dabei hilft die jahrzehntelang aufgebaute Präsenz der Baufirma – und eine knallharte Kommunikationsstrategie. „Wir kaufen Ihr Grundstück zum Bestpreis“, steht auf nahezu jedem Glorit-Bauzaun. Da sich viele andere Bauträger in den letzten Jahren zurückgezogen haben, konnte sich die Firma noch mehr wertvollen Grund sichern, so Messar: „Zurzeit haben wir nicht viele Konkurrenten.“
Bürgerbeteiligung
Für Bauherren und Stift eine Win-Win-Situation: Glorit kauft das, meist kleine, Einfamilienhaus in der Wohnsiedlung, reißt es ab und baut ein neues Mehrfamilienhaus im Luxus-Segment – so hoch, wie die Baupolizei zulässt. Die Baufirma spart sich die Kosten für den Grund, die Einnahmen des Stifts steigen doppelt: Der neue Vertrag wird an aktuelle Preise und die neue Nutzfläche angepasst. Mehr Stockwerke, mehr Fläche, mehr Zins.
Die neuen Wohnungseigentümer haben durch den Baurechtszins zusätzlich laufende Kosten, an der Alten Donau etwa in der Höhe der Betriebskosten. Dafür sind Häuser und Wohnungen auf Baurechtsgrund im Ankauf deutlich billiger. Das Risiko, auf leeren Wohnungen sitzen zu bleiben und das nächste Jahrhundert lang selbst den Zins an das Stift zahlen zu müssen, fürchten Messar und Sattlegger nicht: „Verkauft haben wir noch alle.“ Zudem bestünde diese Gefahr auch bei eigenem Grund.
Die älteren Anwohner an der Alten Donau sind mit ihren neueren und reicheren Nachbarn dennoch nicht immer zufrieden. Spätestens seit 2011 sind Luxus-Bauträger wie Glorit Reizwörter für diverse Bürgerinitiativen. Noch mehr gilt der Zorn aber der Baubehörde. Für größeres Aufsehen hatte 2015 etwa der Neubau des „Strandcafé Alte Donau“ (ohne Glorit-Beteiligung) gesorgt. Statt den ursprünglich erlaubten 300 wurde das Lokal auf insgesamt 1023 Quadratmeter Grünland errichtet.
Die Anwohner fühlten sich überrumpelt – und einmal mehr in ihrer These bestätigt, dass das Wiener Baurecht nicht für alle gleichermaßen gilt. Die Initiative „Aktion 21 – pro Bürgerbeteiligung“ vermutete gar Amtsmissbrauch durch die Baubehörde. Nach einer Anzeige im September 2018 stellte die Staatsanwaltschaft Wien die Ermittlungen allerdings im Oktober 2019 ein, da kein Hinweis auf Amtsmissbrauch gefunden werden konnte.
„Immer, wenn Sie etwas bauen, wird der Nachbar zunächst keine große Freude haben. Wir hatten aber auch schon den Fall, dass uns Nachbarn erst zu schätzen gelernt haben, als sie uns ihr eigenes Grundstück verkauft haben.“
Glorit-Geschäftsführer Stefan Messar (rechts)
Stilkritik
Glorit musste sich an der Alten Donau zwar nicht mit der Staatsanwaltschaft, immer wieder aber mit Stilkritik auseinandersetzen. Sind die die modern-eckigen Glorit-Bauten nicht schön genug für die ehemalige Arbeiter-Idylle am Wiener Wasser? „Das sehen unsere Kunden anders“, sagt Messar: „Immer, wenn Sie etwas bauen, wird der Nachbar zunächst keine große Freude haben. Wir hatten aber auch schon den Fall, dass uns Nachbarn erst zu schätzen gelernt haben, als sie uns ihr eigenes Grundstück verkauft haben.“
Den jungen Mann mit Hund muss Masser nicht mehr überzeugen. Er wohnt selbst in einem mehrgeschossigen Glorit-Haus. „Glorit baut echt super Wohnungen“, sagt er.
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.