Glücksspiel: Geheimpapier zu strengerem Spielerschutz

Fachexperten im Finanzministerium machten weitreichende Vorschläge. Wird sich die Regierung daran orientieren?

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Glücksspielunternehmen hatten es schon einmal leichter. Vorbei die Zeiten, in denen Finanzstaatssekretäre zur internationalen Glücksspielmesse in London flogen, Gaming-CEOs jovial mit Mitarbeitern aus dem Finanzministerium chatteten und Parteien kein Problem damit hatten, wenn führende Politiker Aufsichtsräte oder Vorstände von Glücksspielkonzernen waren.

Spätestens seit der Ibiza-Affäre will im politischen Betrieb niemand mehr bei der Glücksspielindustrie anstreifen. Und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) ist bemüht, seine in Chatnachrichten dokumentierte Nähe zum früheren Novomatic-Chef auszugleichen. Dieses Zeitfenster nutzten die grundsätzlich glücksspielskeptischen Grünen. Und verständigten sich vor eineinhalb Wochen mit dem Koalitionspartner darauf, das Glücksspielgesetz zu verschärfen und pathologische Spieler besser zu schützen. Die Gaming-Branche ist gewarnt, fürchtet Gewinneinbußen und lobbyiert im Hintergrund für ihre Interessen.

Die geplanten Spielerschutzmaßnahmen von Türkis-Grün sind bisher nur in Grundzügen bekannt. In welche Richtung die Novelle des Glücksspielgesetzes gehen könnte, zeigt ein internes Papier aus dem Finanzministerium, das profil vorliegt: Darin listete die Stabsstelle Spielerschutz bereits vor eineinhalb Jahren weitreichende Gesetzesverschärfungen auf – wird sich die Koalition daran orientieren?  

In der türkis-grünen Punktation ist vom „hohen Suchtpotential des Glücksspiels“ und vom „ernstzunehmenden Gesundheitsrisiko“ die Rede. Die Regierung will deshalb eine „Einschränkung des Automatenglücksspiels durch Beschränkung von Einsätzen, Nettoverlust und -gewinn und Spieldauer“. Konkrete Zahlen zu maximalen Einsätzen und Verlusten: offen.

Derzeit können Spieler an den Geräten in Automatensalons mit einem Drücker bis zu zehn Euro verspielen, dafür winken 10.000 Euro als Maximalgewinn. Ein Spiel muss laut Gesetz mindestens eine Sekunde dauern, einen gesetzlich definierten Maximalverlust gibt es nicht. Suchtexperten kritisieren seit Jahren das hohe Abhängigkeitspotenzial der rasanten Spielabfolge. 

Die Koalitionspartner müssten eigentlich nur die Abteilung I/SP im Finanzministerium fragen, die Stabstelle für Spielerschutz – dort hat man sich bereits vor eineinhalb Jahren Gedanken zu Schutzmaßnahmen gemacht. Anlass dafür war ein Antrag der NEOS im Nationalrat vom September 2019. Der damalige Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) beauftragte die Spielerschutz-Stabstelle mit einer Einschätzung, was aus fachlicher Sicht von den NEOS-Forderungen zu halten ist.

In der sogenannten „HBM-Info“ (Herr Bundesminister, Anm.), die profil vorliegt, finden sich weitreichende Vorschläge: „Eine Erhöhung der Mindestspieldauer pro Spiel auf 5 Sekunden wird als sinnvoll erachtet“, schreibt die Stabstelle. Das wäre eine Verfünffachung der derzeitigen Spieldauer. Begründung der Stabsstelle: „Nach derzeitigem Forschungsstand erhöht eine schnelle Spielabfolge und ein reflexartiges Drücken der Spieltaste durch kurze Spieldauer das Gefährdungspotential von Spielen.“ 

Was sich ändern soll

Die Spielerschutzstelle „begrüßt“ auch eine „maximale Tagesspieldauer von höchstens 3 Stunden je Spielteilnehmer innerhalb von 24 Stunden“ in Automatensalons. In Oberösterreich gilt diese Regelung bereits, in den übrigen vier Bundesländern, die Automatenglücksspiel erlauben (Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Steiermark), gibt es keine Begrenzung. In der aktuellen Punktation der Bundesregierung findet sich dazu nichts.

Die – von Türkis-Grün geplante – Senkung des Maximaleinsatzes pro Spiel auf zehn Euro lehnen die Spielerschützer im Finanzressort allerdings ab: Nach derzeitigem Forschungsstand gebe es „kaum bis keine Evidenz“ zur positiven Wirkung einer „betragsmäßigen Verringerung maximaler Einsatzmöglichkeiten pro Spiel“. Stattdessen befürwortet die Stabsstelle eine „verpflichtende Selbstlimitierung (monetär und zeitlich)“. Soll heißen: Jeder Spieler sollte bei der Registrierung verpflichtet werden, ein individuelles Verlustlimit festzulegen, das an seine finanzielle Situation angepasst ist. Ein solches „Pre-Commitment-System“ habe sich in Studien als zielführend erwiesen. Als zusätzliche Schutzmaßnahme „könnten maximale Obergrenzen für Verluste in einem definierten Zeitraum (pro Tag, pro Woche oder pro Monat) gesetzlich verankert werden“. Wie hoch diese Grenzen sein sollten, führt die Spielerschutzstelle nicht aus. 

Positiv äußert sich die Stabstelle zum Einziehen einer maximalen Gewinnobergrenze beim Automatenglücksspiel. Die NEOS hatten in ihrem Antrag 2019 einen Maximalgewinn von 600 Euro pro Stunde gefordert. 

Die Spielerschutzstelle geht jedenfalls weiter als die türkis-grüne Punktation: Die Experten schlagen „flächendeckendes Mystery Shopping“ der Behörden in Spielsalons vor, also Undercover-Testspiele von Beamten in Zivil, um zu kontrollieren, ob die Betreiber die Auflagen einhalten – in der Vergangenheit war das nicht immer der Fall. 

Und schließlich schreibt die Stelle, es gebe „aus Spielerschutzsicht keine fachliche Argumentation, warum Glücksspielautomaten in Spielbanken weniger hohe Spielerschutzstandards haben sollten als außerhalb“. Noch gelten unterschiedliche Regeln: In den Spielbanken der Casinos Austria stehen Automaten, an denen pro Drücker um bis zu 1000 Euro gespielt werden kann. Die teilstaatlichen Casinos verdienen an sogenannten High Rollern – Spielern mit extrem hohen Einsätzen – einen beträchtlichen Teil ihres Gewinns. 

Warum die ÖVP-FPÖ-Koalition damals keinen einzigen Vorschlag der Spielerschutzstelle im Finanzministerium aufgegriffen hat? Unbekannt. Interessant wird, wie weit sich Türkis-Grün an den Empfehlungen der Spielerschutzstelle orientiert. 

Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper, die den Spielerschutz-Antrag 2019 im Nationalrat einbrachte, will sich genau ansehen, ob die Koalition ihre Ankündigungen umsetzt: „Die Regierung kann jetzt beweisen, dass sie nicht im Sold der Glücksspiellobby steht. Dafür muss sie das kleine Glücksspiel wieder zu einem solchen machen.“ Ihre Forderung für den Maximaleinsatz an Automaten: 30 Cent pro Spiel.

Auf einen genauen Maximaleinsatz will sich die grüne Verhandlungsführerin Nina Tomasseli noch nicht festlegen. Nur so viel: „Die Spieleinsätze müssen deutlich runter, weil wir den potenziellen Verlust verkleinern wollen.“ Auch wenn es die Spielerschutzstelle anders sieht. Einen Richtwert nennt Tomaselli dann doch: „In Deutschland gilt pro Stunde und Automat ein Maximalverlust von 144 Euro.“ Eine Kampfansage.

Fix kommen soll jedenfalls ein Sperrverbund – Glücksspielunternehmen müssten künftig die Daten ihrer Spieler, die wegen übermäßigen Zockens gesperrt wurden oder sich selbst sperren ließen, an eine Datenbank des Bundes melden. Ein Spieler, der bei einem Unternehmen gesperrt ist, könnte dann bei keinem anderen Konzessionär mehr spielen. Die Idee ist nicht neu – sie steht seit zehn Jahren im Gesetz, wurde aber nie umgesetzt. Laut profil-Infos könnte diese Sperrdatenbank bei der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) angesiedelt werden, die dem Gesundheitsministerium untersteht.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv. Derzeit in Karenz.