Gnadenlos freundlich: EU-Kommissarsanwärterin Karoline Edtstadler
Ohne Mädchen wäre der Ministrantendienst in der Pfarrkirche Elixhausen bei Salzburg in den frühen 1990er-Jahren zusammengebrochen. Gedankt wurde es ihnen nicht. An manchen Wochenenden mussten sie zwei Mal zum Altarassistenzeinsatz einrücken. Als sich aber der Erzbischof zum Gottesdienst angesagt hatte, durften nur die Buben ran. Seine Exzellenz Georg Eder sah Messdienerinnen nicht so gern. Bei Karoline Edtstadler, 37, löste die Zurücksetzung etwas aus, wie sie heute erzählt: "Natürlich habe ich das als Ungerechtigkeit empfunden. Es hat mich aufgeregt. Dahinter standen auch patriarchale Strukturen. Aber das ist 30 Jahre her."
Aus der Ministrantin wurde eine Richterin, aus der Richterin eine Staatssekretärin, die immer noch patriarchale Strukturen bekämpft, allerdings jene in Zuwandererfamilien – und auch das nicht mehr lange. Denn vergangene Woche präsentierte ÖVP-Obmann Sebastian Kurz Edtstadler als Nummer zwei hinter Othmar Karas auf der ÖVP-Liste für die EU-Wahl am 26. Mai. Einer weiteren glänzenden Karriere steht somit nichts im Wege. Könnte Sebastian Kurz die perfekte türkise Politikerin designen, wäre wahrscheinlich Karoline Edtstadler das Ergebnis.
Edtstadlers direkter Chef ist wohl weniger angenehm als der Kanzler: Innenminister Herbert Kickl, dem sie im Dezember 2017 – wie es in der Bundesverfassung heißt – als Staatssekretärin "beigegeben" wurde. Es ist allgemein bekannt, dass dies auf Wunsch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen geschah. Zu den Verantwortlichkeiten des Innenressorts zählt auch die KZ-Gedenkstätte Mauthausen, für die nicht unbedingt ein Freiheitlicher zuständig sein sollte. Kickl, ohnehin ein misstrauischer Charakter, war von der Personalie wenig begeistert. Es soll einige Zeit gedauert haben, bis sich zwischen dem Minister und seiner Staatssekretärin ein Hauch von Teamgeist entwickelte. Sonderlich abgehen wird sie ihm wohl nicht.
Heimliche Spitzenkandidatin
Seit vergangener Woche hat Edtstadler neben Kurz und Kickl einen dritten Vorgesetzten: Othmar Karas. Als dessen politische Karriere als Obmann der Jungen Volkspartei im Jahr 1981 begann, war Sebastian Kurz noch nicht und Karoline Edtstadler gerade erst geboren. Der langgediente Europapolitiker ist das letzte Relikt aus der schwarzen ÖVP-Ära, der sich dem strammen türkisen Regime nicht unterwirft und dem Kanzler regelmäßig widerspricht. So lästig Karas auch ist, an ihm kam Kurz nicht vorbei, auch wenn ihn so mancher ÖVP-Stratege fallen lassen wollte. Zu groß war die Gefahr, dass ein übergangener Karas – er gewann für die ÖVP die EU-Wahl 2014 und errang immerhin 82.000 Vorzugsstimmen – dauerhaft Unruhe stiftet oder gar eine eigene Liste gründet. Aus der Not, nicht aus Kalkül setzt Kurz daher auf eine Zwei-Marken-Strategie: Karas als offizieller Spitzenkandidat und Repräsentant der alten Schwarz-ÖVP; Edtstadler als heimliche Spitzenkandidatin und Vertreterin der neuen Türkis-Partei.
Wer ihr Boss im EU-Wahlkampf ist, machte Edtstadler im Gespräch mit profil vergangene Woche klar: "Sebastian Kurz ist der Bundesparteiobmann. Und der Bundesparteiobmann gibt die Linie vor." Der Chef dürfte auf sie aufmerksam geworden sein, als er selbst noch nicht Parteiobmann und Kanzlerkandidat, sondern Außenminister war. Von 2014 bis 2016 arbeitete Edtstadler im Kabinett des damaligen Justizministers Wolfgang Brandstetter.
Zuvor hatte sie eine makellose Karriere hingelegt: Matura mit Auszeichnung, Studium an der Uni Salzburg, Strafrichterin am Landesgericht Salzburg. Dort agierte sie betont rigoros. "Ich habe strenge Strafen ausgesprochen. Meine Strafen haben aber in 90 Prozent der Fälle gehalten. Und ich habe erlebt, dass Verurteilte sich nach der Verhandlung für die Verhandlungsführung bedankt haben. Jeder Richter muss ein faires Verfahren sicherstellen, ich habe das stets auch in einem freundlichen Ton gemacht." Freundlich, aber gnadenlos schickte sie 2010 etwa einen Mann ins Gefängnis, der bei einer Demonstration gegen die damalige Innenministerin Maria Fekter einen Polizisten verletzt hatte. Sogar der Staatsanwaltschaft erschien das Strafausmaß zu rigide. Die nächste Instanz hob die schwere Strafe auf.
Keine Scheu vor der Rampe
Edtstadler war geradezu darauf programmiert, eine politische Karriere zu machen. "Für mich war immer klar, dass ich politische Verantwortung übernehmen möchte." Ihr Vater, Hofrat Karl Edtstadler, war jahrelang Direktor des Salzburger Landtags. Ihre Schwester engagierte sich in der Jungen Volkspartei. Sie selbst saß von 2004 bis 2006 für die ÖVP im Gemeinderat in Henndorf am Wallersee. Nach der Matura hatte sie ein Praktikum als Assistentin der Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, absolviert, die für Edtstadler auch heute noch "ein Vorbild" ist. Keine Karriere ohne Kommunikation: Wie die robuste Rabl-Stadler kennt auch Edtstadler keine Scheu vor der Rampe. In der Salzburger Faschingssaison moderierte sie die Bälle einer Tanzschule. An die Existenz als Spitzenpolitikerin und den damit verbundenen öffentlichen Druck gewöhnte sie sich rasch: "Wenn jemand schreibt, ich hätte eiskalte Augen, dann lasse ich mich davon nicht beeinflussen."
Die einzige Auffälligkeit in Edtstadlers bürgerlicher Biografie ist die frühe Mutterschaft. Sie war 20 Jahre alt, als ihr Sohn zur Welt kam. Wenige Tage nach der Geburt hatte sie eine große Prüfung an der Uni. Die Ehe mit dem Kindsvater scheiterte. Früher wäre das in der Partei ein Problem gewesen, in der heutigen ÖVP sind weder der Bundesparteiobmann noch seine wichtigsten Mitstreiter, die Minister Gernot Blümel und Elisabeth Köstinger, verheiratet. "Die Neue Volkspartei ist eine moderne Partei. Jeder lebt privat nach seiner Vorstellung: in Beziehung, ohne Beziehung, verheiratet, ledig, Kinder, keine Kinder. Daran sollte sich keiner stoßen", sagt Edtstadler.
Bundeskanzler Sebastian Kurz kann es nicht ganz nachvollziehen, wenn man ihn als "konservativ" bezeichnet. Edtstadler ist da weniger sensibel: "Ich habe kein Problem mit der Zuschreibung, konservativ zu sein. Ich bin wertkonservativ erzogen und aufgewachsen." Teil des Wertekanons im Hause Edtstadler in Elixhausen im Salzburger Speckgürtel dürfte auch Frühaufstehertum gewesen sein. "Ich bin mit einem absoluten Leistungsdenken groß geworden. Allerdings habe ich mittlerweile akzeptiert, dass das nicht für jeden gelten muss." Prägend seien die Erfahrungen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (2016 bis 2017) gewesen. "Die Zeit in Straßburg hat mich sicher liberaler gemacht." Dass Homosexuelle seit Jahresbeginn heiraten können, sieht sie positiv.
Reform des Strafrechts
Wie viele Berufsjuristen neigt Edtstadler zur Eindimensionalität. Über das Recht in allen Facetten kann sie seminarfüllend referieren, bevorzugt in Kombination mit dem Begriff "Ordnung". "Wenn jemand bei uns Schutz sucht, aber dann unsere Werte, unsere Gesetze mit Füßen tritt, hat er diesen Schutz nicht verdient", sagt sie.
In der Regierung exekutierte sie – im Schatten ihres Ministers – die strenge Linie des Kanzlers in der Migrationspolitik. Formal ist Edtstadler neben der KZ-Gedenkstätte Mauthausen für Zivildienst, Korruptionsbekämpfung und Kriegsgräberfürsorge zuständig – kein besonders Burn-out-trächtiges Portfolio. Vor einem Jahr übertrugen ihr Kanzler Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache die Leitung der Taskforce zur Reform des Strafrechts – obwohl nicht das BMI, sondern das Justizministerium fachlich zuständig ist. Aber immerhin arbeitete Edtstadler von 2011 bis 2014 in der Strafrechtssektion des BMJ. In einem Interview mit der "Presse" aus dem Vorjahr bewies sie ihre rasche Wandlung von der Richterin zur Politikerin, indem sie mit dem "natürlichen Rechtsempfinden" der Bevölkerung argumentierte. Dieses verlange härtere Strafen bei Sexualdelikten.
Im EU-Wahlkampf muss die Juristin Generalistin werden. Dass Edtstadler nach der Wahl als einfache Abgeordnete im EU-Parlament sitzen wird, ist allerdings unwahrscheinlich. Eher wird sie wohl den Posten des österreichischen EU-Kommissars erhalten. Auch sonst wird sie als Kandidatin für allerlei Spitzenjobs gehandelt, etwa als Landeshauptfrau von Salzburg, obwohl der derzeitige Verkehrslandesrat und Bundesobmann der Jungen Volkspartei, Stefan Schnöll, 30, als Favorit für die Nachfolge von Amtsinhaber Wilfried Haslauer gilt.
Über Edtstadlers Nachfolge im Innenministerium will Sebastian Kurz erst im Mai entscheiden. Eine Frau durch einen Mann zu ersetzen, wird der Kanzler wohl nicht wagen. Die ehemalige Ministrantin Karoline Edtstadler müsste das als patriarchal strukturierte Ungerechtigkeit empfinden.