Grasl vs. Wrabetz

Grasl: "Ich wollte durch die Vordertür"

Wann Herausforderer Richard Grasl schreien wird, so laut er kann, wann er Ärger mit Kanzler Wolfgang Schüssel hatte und welches Frauenbild der ORF vermittelt.

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profil: Sie haben viele Wahlkämpfe beobachtet. Wie ist es, selbst zu kandidieren? Richard Grasl: Es entscheiden 35 Stiftungsräte und nicht Millionen Wähler. Aber natürlich legt man sich eine Strategie zurecht. Wir haben einen Wettbewerb der Ideen geführt.

profil: Ist es eigenartig, gegen einen Kollegen anzutreten? Grasl: Ich trete nicht gegen einen Kollegen, sondern für einen besseren ORF an. Alexander Wrabetz ist ja damals auch gegen seine Chefin angetreten, weil er andere Ideen für den ORF hatte. Diesmal ist es genauso, auch ich habe andere Ideen.

profil: Gab es einen bestimmten Punkt, an dem Sie sich gesagt haben: Ich kann nicht mehr mit Wrabetz? Grasl: Es gab immer wieder Gespräche über den Führungsstil, dann gab es eine Entscheidung, bei der ich wusste: Damit brennt er wieder Brücken nieder. Da stand meine Bewerbung für mich fest.

profil: Welche Entscheidung war das? Grasl: Eine Entscheidung, die er alleine getroffen hat, obwohl es finanzielle Auswirkungen gab. Aber mehr sage ich nicht.

Ich möchte mein Augenmerk auf Unternehmenskultur legen, weil sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr mitgenommen fühlen.

profil: In Ihrer Bewerbung steht kleinkrämerische Kritik wie: Sitzungen sollen pünktlich beginnen. Hat Wrabetz einen schludrigen Führungsstil? Grasl: Ich halte viel von professionellem Führungsstil und möchte eine wöchentliche Geschäftssitzung abhalten. Ich möchte mein Augenmerk auf Unternehmenskultur legen, weil sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr mitgenommen fühlen.

profil: Gibt es eine Wendestimmung wie damals unter Monika Lindner? Grasl: Unter Lindner/Mück gab es erhebliche Kritik an der politischen Ausrichtung der Information. Diesmal spüre ich eine Wendestimmung im Haus, weil wir in der internen Kommunikation besser werden müssen. Wir haben eine Strategie 2020 aufgesetzt - die aber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gar nicht bekannt ist. Alle sollen wissen, wohin der ORF steuert. Fenster auf, frische Luft rein, und ein bisschen Lachen dabei.

profil: In Ihrer Bewerbung wird der ORF als schwer gefährdetes Unternehmen analysiert. Steht es so schlimm? Grasl: Wir müssen an die Zukunft denken. Die Einnahmenssteigerungen decken die wachsenden Kosten nicht ab, die Werbung wächst nicht mehr massiv, daher wird es immer schwieriger. Wir müssen Strukturen mutig verändern. Keine Rasenmähermethode, aber Sparen, etwa in der Technik. Egal, wer gewählt wird, er muss den Weg der Strukturreform gehen. Sonst muss man im Programm sparen. Und das möchte ich jedenfalls nicht.

profil: In Ihrer Bewerbung legen Sie den Fokus auf die Information. Was läuft da schief? Grasl: Bei ganz großen Ereignissen können wir in der Information noch schneller und flexibler reagieren. Ich hatte im Jahr 2001 Dienst in der "ZIB 2", als der Terroranschlag 9/11 passierte. Nach 20 Minuten waren wir im Studio und haben 48 Stunden durchberichtet. Wenn heute in der Türkei ein Putsch stattfindet und es um Mitternacht ausschaut, als würden sich die Putschisten durchsetzen, dann halte ich es für besser, wenn wir in der Nacht zumindest halbstündlich ein Update machen. Da sollte der ORF nicht zusperren und sagen: Wir melden uns morgen Früh um 8.00 Uhr.

Wenn die Politik Druck ausübt, dann würde ich so laut schreien, wie ich kann.

profil: Sie deuten aber in Ihrer Bewerbung politische Interventionen an. Zum Beispiel den Solo-Auftritt von Ex-Kanzler Werner Faymann im "Zentrum". Grasl: Ich weiß nicht, ob das politische Wunscherfüllung war. Aber davor war "Im Zentrum" ausschließlich ein Diskussionsformat. Warum ausgerechnet diese Sendung für ein Einzelinterview ausgewählt wurde, war für viele ein Rätsel.

profil: Werden Sie Interventionen veröffentlichen? Grasl: Wenn die Politik Druck ausübt, dann würde ich so laut schreien, wie ich kann. Das wirkt. In Deutschland musste ein CSU-Pressesprecher zurücktreten, weil er versucht hat, auf den ZDF Druck auszuüben. Ich würde zur Absicherung der Unabhängigkeit eine riesige Firewall zwischen Unternehmensspitze und Redakteuren aufbauen. Das unterscheidet mich von meinem Mitbewerber: Im Konzept Wrabetz gibt es einen Generaldirektor, ihm direkt unterstellt sind die Chefredakteure. Damit könnte der Generaldirektor direkt auf die Redaktionen durchgreifen. Es geht darum, solche Zugriffe strukturell und von vornherein unmöglich zu machen.

profil: In Ihrem Konzept ist ein zentraler Informationsdirektor vorgesehen. Das weckt Befürchtungen. Grasl: Es gibt keinen zentralen Informationsdirektor, sondern im Gegenteil: Die Information ist auf drei Direktoren verteilt. Schon aus diesem Grund sind die Befürchtungen unbegründet. Natürlich hängt es immer sehr stark von den Personen ab. Deswegen werde ich einen TV-Informationsdirektor, einen Radiodirektor und einen Digitaldirektor präsentieren, die journalistisch kompetent und politisch unabhängig sind.

profil: Wer wird das sein? Grasl: Laut Gesetz, und das hat ja einen Sinn, werden die Direktorenposten ausgeschrieben. Ich halte es deshalb für bedenklich, dass man im Vorhinein schon sagt, Person X wird mein Fernseh- oder Radiodirektor. Eigentlich wäre es doch spannend, zu warten, wer in der Ausschreibung die besten Konzepte präsentiert.

Nicht alles, was immer so war, war gut.

profil: Das sollen wir glauben? Personalpakete werden doch vor der Wahl ausgedealt. Grasl: Nicht alles, was immer so war, war gut. Ich habe zum Beispiel Mitte Juni meine Bewerbung bekannt gegeben, obwohl viele meinten, es wäre gescheiter, sich erst wenige Tage vor der Wahl nachnominieren zu lassen, wie das Wrabetz 2006 gegen Lindner gemacht hat. Ich wollte aber durch die Vordertür hineingehen.

profil: Sie schreiben in Ihrer Bewerbung über den Vertrauensverlust des ORF, speziell in der Flüchtlingsthematik. Worauf führen Sie den zurück? Grasl: Ich habe die Marktforschungsdaten nicht im Detail vorliegen, das wird mir nicht alles weiterkommuniziert. Daher würde ich das gerne mit den anderen Direktoren analysieren, wenn ich gewählt bin. Manches können wir vielleicht besser machen.

profil: Wenn Sie Chef werden, wie soll man adäquat über ein Thema berichten, über das an jedem Stammtisch gestritten wird? Grasl: Ich glaube, dass wir eine Linie im ORF haben sollten: Besonders kritisch gegenüber den Regierenden - und etwas stärker als bisher sachorientiert. Das deutsche Fernsehen steigt sachlich oft tiefer in die Diskussionen ein. Ich würde auch einen Schwerpunkt auf diesen "Constructive-Teil" legen: Wie können wir bei jeder Problemstellung, die wir aufzeigen müssen, auch einen lösungsorientierten Teil dazu bieten? Was jetzt nicht mit Weichspülen gleichgesetzt werden soll.

Der ORF mit seinem Generaldirektor an der Spitze sollte in gesellschaftspolitischen Fragen Haltung beziehen.

profil: Ist der ORF-Generaldirektor ein politischer Job? Grasl: Politisch, aber nicht parteipolitisch. Man hat in dieser Funktion ständig mit dem politischen Umfeld zu tun. Der ORF mit seinem Generaldirektor an der Spitze sollte in gesellschaftspolitischen Fragen Haltung beziehen.

profil: Soll der ORF etwa pro EU sein? Grasl: Ich bin sicher, dass der ORF proeuropäisch sein sollte. Doch es gibt Entwicklungen in Europa, die nicht ideal sind und über die man kritisch berichten muss.

profil: Wegen Ihrer Vergangenheit im Landesstudio Niederösterreich eilt Ihnen ein Ruf voraus. Nicht alle trauen Ihnen zu, kritische Berichterstattung zu fördern. Grasl: Man soll mit den Punzierungen aufhören. In meiner niederösterreichischen Zeit gab es selbstverständlich kritische Geschichten. Wahlkonfrontationen, die ich selbst geleitet habe, wir haben den Sexskandal im Priesterseminar in St. Pölten aufgedeckt, Bischof Krenn musste danach zurücktreten.

profil: Waren Sie auch widerständig gegenüber Politikerwünschen? Ihre Mails an Ex-ÖVP-Innenminister Ernst Strasser klingen nicht danach. Grasl: Selbstverständlich. Ich war ja auch in der "ZIB 2", da gab es eine Menge Berichte, die zu Diskussionen geführt haben. Es gab schwerste Attacken von der damaligen FPÖ. Ich hatte auch Ärger nach einem Bericht über ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel.

profil: Sie betonen, das Regionale sei die Kernkompetenz des ORF. Ist Gramatneusiedl gleich wichtig wie der Putsch in der Türkei? Grasl: Nein. Aber wir sehen, dass jeden Abend um 19.00 Uhr, wenn "Bundesland heute" beginnt, die TV-Quoten von 350.000 auf eine Million hinaufschnellen. Ich schlage ja auch viele neue europäische und bundesweite Nachrichtenformate und eine um fünf Minuten längere "ZIB 1" vor.

Die Genderbeauftragte soll etwa auch bei Filmen und Serien darauf achten: Ist dort immer die Frau die Assistentin und der Mann der Chef?

profil: Sie wollen eine Gender-Beauftragte installieren. Was soll die tun? Grasl: Es geht um das Frauenbild, das der ORF vermittelt. Schon allein das zu thematisieren, ist wichtig. Die Genderbeauftragte soll etwa auch bei Filmen und Serien darauf achten: Ist dort immer die Frau die Assistentin und der Mann der Chef?

profil: Wie multikulti muss der ORF 2016 sein? Es werden christliche Messen übertragen, sollen auch Freitagsgebete aus einer Moschee übertragen werden? Grasl: Das würde ich mit dem Religionschef diskutieren.

profil: Braucht es neue Stars, neue Armin Wolfs? Grasl: Natürlich lebt der Sender von frischen Gesichtern, andererseits müssen wir auch unsere Stars pflegen. Im Fernsehen gilt sehr stark Vertrauenswürdigkeit. Da sollte man ein Star-Prinzip einführen. Wenn heute in der Welt irgendetwas passiert, dann weiß ich, dass bald Antonia Rados für RTL dort stehen und berichten wird. Ich weiß aber nicht, wen ich im ORF sehe.

profil: Sie waren Finanzdirektor des ORF. Hat Wrabetz Sie in Ihrem Reformeifer behindert? Grasl: Es gibt ein paar Dinge. Aber das sage ich ihm nicht über das profil, sondern persönlich bei einem Glas Wein nach der Wahl.

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin