In Graz führt die KPÖ vor, wie man die FPÖ im Zaum hält
Selbst Papst Franziskus wäre beeindruckt. „So ein guter Mensch“, sagen die Leute, wenn sie in diesen Tagen der Grazer Vizebürgermeisterin beim KPÖ-Infostand über den Weg laufen: Elke Kahr, 55 Jahre alt, offenes Gesicht, offenes Haar, eingepackt in einen Allerweltsparka.
Die Grazer Kommunisten haben schon vielen – und zwar höchstpersönlich – geholfen. Seit die KPÖ im Jahr 1998 erstmals einen Stadtratsposten errang, fünf Jahre später zum Entsetzen vieler Hausherren und Gewerbetreibender sogar von jedem fünften Grazer gewählt wurde, wurden rund 1,8 Millionen Euro an arme Leute verteilt. Allein Elke Kahr verschenkte in den vergangenen zwei Perioden mehr als eine halbe Million Euro von ihrem Gehalt, zuletzt als Vizebürgermeisterin.
„Für jeden Notleidenden, der zu mir kommt, überweise ich von meinem Konto die Summe x, die jemand halt braucht oder wo ich der Meinung bin, dass es sinnvoll ist, direkt auf sein Konto oder auf das Konto seines Vermieters oder eines sonstigen Gläubigers“, sagt Kahr. Summen und Namen der Empfänger trägt sie eigenhändig in ein sogenanntes Haushaltsbuch ein. Mehr als 1900 Euro netto im Monat behält sie nicht für sich.
Am 5. Februar 2017 wird in Graz ein neuer Gemeinderat gewählt, und Kahrs Politikverständnis wird zu Recht als Populismus gebrandmarkt. Da würden „Almosen verteilt“, sagt Michael Ehmann, der neue SPÖ-Chef. Es fehle an Innovationen in der Wohnbaupolitik, sagen die Grünen. Allerdings scheint scheint Populismus schon lange zum Charakter dieser Stadt zu gehören, einer stockkonservativen Gesellschaft mit rabiatem Kleinbürgertum, katholisch, autoritätshörig und „schnell entflammbar“, wie ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl einmal feststellte. Graz trug einst stolz den Titel „Stadt der Volkserhebung“, denn seine Bürger waren glühender als anderswo den Nationalsozialisten gefolgt. Heute nennt sich Graz „Stadt der Menschenrechte“, und nirgendwo sonst gibt es so viele soziale Einrichtungen, betrieben von Parteien, Kirche, Medien und Privatpersonen, die sich um arme Leute kümmern. In keiner anderen Stadt hatte der designierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen so großen Erfolg wie in Graz, wo er von 67 Prozent der Bürger gewählt wurde.
Die Erfinder des Populismus, die Freiheitlichen, schauen dagegen alt aus. Auf ihrer Kandidatenliste stehen einige einschlägig bekannte Rechte, und ihr Frontmann Mario Eustacchio, der aus einer alteingesessenen Grazer Unternehmerfamilie stammt, also mitten aus dem Establishment, bekennt freimütig: „Wir wollen negative Themenstellungen hervorkehren.“ Ihre Hauptschlager sind: Ausländer im Gemeindebau, Kriminalität, fremde Kulturen und Slogans wie „Unsere Frauen sind kein Freiwild“.
Kahr ficht das nicht an. Sie mag zwar keine Politik, die für alles, was auf der Welt schiefgeht, „die Ausländer“ verantwortlich macht, doch könne sie mit allen zusammenarbeiten, auch mit der FPÖ, sagt Kahr. Zudem habe die FPÖ im Ausschuss des Stadtparlaments, in dem über die Vergabe von Gemeindewohnungen entschieden werde, noch nie einem armen Schlucker die Wohnung verwehrt. An zwei Tagen in der Woche sieht man diese Menschen in den Gängen des Rathauses auf Elke Kahr warten. Resigniert bis hoffnungsfroh.
In Kahrs Büro herrscht anarchische Ordnung. Allein in ihrer Kammer sind Spuren des KP-Milieus zu entdecken: Plakate der Brecht-Bühne Berliner Ensemble, russische Nippes, ein Spaßfoto eines Bekannten mit Sowjetstern auf der Mütze, Bücher von Autoren wie BorisPasternak und Maxim Gorki. Kahr wird von zwei bewährten Mitarbeiterinnen unterstützt, doch scheint sie sich gern selbst um alles zu kümmern. Kahr macht auch Hausbesuche. Eine Pressesprecherin brauche sie nicht.
Die Menschen, die bei ihr Hilfe und eine Wohnung suchen, sind nicht immer in einer existenziellen Notlage, eher heillos mit der Bürokratie überfordert und froh, wenn sie jemandem gegenübersitzen, der ihnen zuhört und ihnen erklärt, wie das Formular auszufüllen ist. Die Wünsche sind nicht hochfahrend. „Eine Wohnung im Erdgeschoß. Vielleicht mit ein bisserl einem Garten?“ Kahr verhält sich wie die Sozialarbeiterin aus dem Lehrbuch: Respektvoll, geduldig, gelegentlich auch mahnend. „Wir dürfen Ihnen nichts anbieten, was Sie sich dann nicht leisten können“, sagt sie etwa. Manchmal kennt man sich auch schon. „Wie geht es Ihnen zu Hause? Ist der Mann jetzt weg? Ist es noch immer gleich?“ Die Klientin senkt den Kopf.
Oft wird eine neue Wohnung gesucht, weil eine Hauspartei mit ihren Nachbarn nicht zurande kommt. Mit einem Musiker, der keine Rücksicht nimmt, mit Tschetschenen, vor denen sie sich fürchten, weil „die Kinder so frech zurückreden“. – „Man hat keinen Rechtsanspruch auf respektvolle Nachbarn. So können Sie das nicht begründen“, weist Kahr dann zurecht und versucht, einen Ausweg zu finden.
Derzeit häufen sich Beschwerden der Menschen über Kürzungen bei der Wohnbeihilfe, die auf ein neues Landesgesetz zurückgehen, das mit den Stimmen von ÖVP und SPÖ beschlossen wurde. Für die KPÖ ein guter Wahlkampfmotor. Dieses Gesetz könnte – neben dem Stolperstein Murkraftwerk – mit ein Grund dafür gewesen sein, dass die KPÖ im November ihre Zustimmung zum Budget verweigerte und dadurch Neuwahlen provozierte.
Auf die Frage, warum ein Großteil ihrer Politik in Sozialarbeit aufgehe, sagt Kahr: „Ich nehme mich der Sorgen der Leute an. Was wäre ich für eine Wohnungsstadträtin, wenn ich für die Leute nicht greifbar wäre?“
Leicht genervt wirkt Kahr, wenn man sie fragt, warum ihre Partei noch immer das Adjektiv „kommunistisch“ im Namen trägt. – „Es hat großartige Kommunisten in der Geschichte der Menschheit gegeben.“ – Und was ist mit den Diktaturen, die unter diesem Namen entstanden sind, schlimmsten Verbrechen, die in diesem Namen geschehen sind? „Der Marxismus ist für mich kein Verbrechen. Ganz im Gegenteil. Sondern ein Instrument, um zu wissen, was oben und unten bedeutet und wie die Zusammenhänge sind.“ – Ein Erbe, das Stalin einschließt? – „Ich mache es mir nicht so leicht, zu sagen, ich bin im Jahr 1985 beigetreten und hab mit der Vergangenheit nichts zu tun. Aber auch, wenn ich mir die Vergangenheit meiner Partei anschaue, dann kann ich der Bewegung nichts vorwerfen, außer, dass sie eine lange Phase nach dem Krieg hatte, in der sie zu lange nicht klar gesagt hat: Mit den Verbrechen des Stalinismus haben wir nichts am Hut.“
Das ist leicht dahingesagt. Zu leicht. Andrej Holm, Experte für Gentrifizierung und Staatssekretär der rot-grünen Berliner Landesregierung – Kahr findet ihn großartig –, wurde eben erst beurlaubt. Wegen seiner Stasi-Vergangenheit.