Groteske um Türkin, der die Staatsbürgerschaft verweigert wird
Am Ende steht eine nackte Zahl, neben der die Geschichte von Ani Değirmencioğlu verblasst. Und auch ihr Leben als türkische Einwanderin, das vor 21 Jahren begann. Sie war als junge Studentin aus der Türkei gekommen und hatte in Österreich ihren Weg gemacht. Er war oft steinig. Nun möchte sie hier Staatsbürgerin werden. Das Verwaltungsgericht Wien aber sagte: Nein. Dafür sei die Frau zu oft fort gewesen. 30 Tage fehlten unter dem Strich.
Die 40-jährige Türkin erlebte frustrierende Verhandlungstage, bevor diese Entscheidung "im Namen der Republik“ fiel. Sie hatte ihre abgelaufenen Reisepässe vorgelegt, aber keine zehn Sätze dazu anbringen können. Die Richterin interessierte sich vor allem für Einreise- und Ausreisestempel, und wo diese fehlten oder unleserlich waren, traf sie ihre Annahmen. Değirmencioğlus Biografie tat nichts zur Sache. Am 14. August 2017 wies das Gericht die Beschwerde gegen die ihr versagte Einbürgerung ab. Es hielt sich dabei an den Buchstaben des Gesetzes: Das Staatsbürgerschaftsrecht schreibt fest, dass Kandidaten für eine Einbürgerung nicht mehr als ein Fünftel der Zeit außer Landes verbringen dürfen.
Ani Değirmencioğlu arbeitet derzeit bei der OECD in Paris (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Sie wirkt im Budgetkomitee mit und sitzt in diversen Arbeitsgruppen. Ihre Stelle ist ein zeitlich befristetes Verwaltungspraktikum. Zahlreiche Posten in internationalen Organisationen wie der OECD sind Staatsbürgern aus den Entsendeländern vorbehalten und der Türkin somit verwehrt. Es ist grotesk, dass die Härte des Einbürgerungsparagrafen nun ausgerechnet eine Frau trifft, die Österreich im Ausland unzählige Male vertreten hat und jene berufliche Mobilität vorlebt, die bei hochqualifizierten Menschen vorausgesetzt wird. Entsprechend bitter fällt ihr Resümee aus: "Als verheiratete Hausfrau wäre ich besser gefahren; da wäre ich längst Österreicherin.“
Wunder Punkt im Staatsbürgerschaftsrecht
Değirmencioğlu legt den Finger auf einen wunden Punkt. In den Einbürgerungsdebatten der jüngeren Vergangenheit geht es um Werte, Zugehörigkeit und Identität. In der Anwendung des Staatsbürgerschaftsrechts geht es darum am wenigsten, wie die Geschichte der 1977 geborenen Türkin zeigt. Ihre Eltern, christliche Armenier, schickten das Mädchen in das St. Georgs-Kolleg in Istanbul, eine österreichische Eliteschule mit strengem Ruf. Die drei Besten jedes Jahrgangs durften traditionell in Österreich studieren. 1996 jedoch, als die Reihe an Değirmencioğlu war, die Matura mit Bravour zu bestehen, waren die Stipendien eben einem Sparprogramm der Regierung in Wien zum Opfer gefallen.
Die begabte junge Frau hatte das Glück, einen Freiplatz in einem Wiener Studentenheim zu ergattern, studierte Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuni in Wien, lernte Russisch und ging für ein Semester nach Moskau, bevor sie eine Diplomarbeit über die ökonomischen Komponenten in Völkermordtheorien begann. Dafür recherchierte sie in Armenien. Ihr Dreh- und Angelpunkt blieb Österreich. Zum 90. Jahrestag des Genozids an den Armeniern im Jahr 1915 führte sie ORF-Reporter durch Istanbul. 2005 schloss Değirmencioğlu ihr Studium ab. Menschen aus Drittstaaten durften damals in Österreich zwar studieren, danach aber nicht arbeiten. Değirmencioğlu fing eine Dissertation bei Eva Kreisky an, forschte in den Wiener Archiven des Mechitaristen-Ordens und hielt sich finanziell irgendwie über Wasser, bis sie 2007 ihre erste Arbeitserlaubnis als Schlüsselkraft in Händen hielt.
Das war es mit der akademischen Laufbahn: Değirmencioğlu begann als Steuerexpertin in der Arbeiterkammer, lernte Französisch und tauchte immer tiefer in die Geheimnisse der Finanztransaktionssteuer ein. 2008 schickte die Arbeiterkammer ihre türkische Mitarbeiterin nach Brüssel, wo sie an einer europaweiten Kampagne mitwirkte. Nebenbei begann sie eine Sommelier-Ausbildung und importierte Weine aus Frankreich. Fast hätte sie ihr Hobby zum Beruf gemacht, wäre nicht ein aufregender Job dazwischengekommen. 2014 schickte der Verbund-Konzern sie nach Birecik an die türkisch-syrische Grenze, ein nicht ungefährlicher Einsatz - Kampfbomber flogen über den Staudamm, den das Unternehmen dort errichtete -, der Türkisch- und Landeskenntnisse erforderten. Değirmencioğlu war als Abteilungsleiterin und einzige Frau im Team zweieinhalb Jahre vor Ort.
Gang vor Höchstgericht
All das macht sich exzellent in ihrem Lebenslauf, nicht aber vor der Einbürgerungsbehörde. 2002 stellte Değirmencioğlu erstmals einen Antrag. Man beschied ihr, in einigen Jahren wiederzukommen. 2010 beantragte Değirmencioğlu erneut ihre Einbürgerung, schaffte es aber zwischen ihren Auslandsreisen nicht immer, Unterlagen rechtzeitig zu liefern. Das Verfahren verlief im Sand. 2014 unternahm sie ihren jüngsten Anlauf - und scheiterte an Fehlzeiten. Beatrix Hornschall, Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Wien, kommentiert die Entscheidungen einer unabhängigen Richterin nicht. Nur so viel: "Wir halten uns an die Gesetze. Wenn die Dame nicht einverstanden ist, kann sie zum Höchstgericht gehen.“ Genau das hat Değirmencioğlu nun vor: "Für Ehepartner von Diplomaten und Handelsdelegierten macht das Staatsbürgerschaftsrecht eine Ausnahme. Ihre Auslandsjahre stören das Einbürgerungsverfahren nicht“, sagt ihr Rechtsbeistand und Obmann des Vereins Helping Hands, Peter Marhold. Diese Ungleichbehandlung will er vor den Verfassungsgerichtshof bringen: "Wenn die Ehe eine Nähe zu dem Land begründet, muss das erst recht für jemanden gelten, der selbst für Österreich im Ausland arbeitet.“
Mehr Flexibilität hält auch Gerd Valchars, Experte für Staatsbürgerschaftsrecht, für höchst an der Zeit. An Ideen mangelt es nicht: Der Gesetzgeber könne auswärtiges Engagement innerhalb der EU im Sinne der Freizügigkeit bei der Berechnung von Fehlzeiten weniger stark gewichten oder die Gründe für Abwesenheit bei der Ermittlung der gesetzlich vorgeschriebenen Anwesenheit berücksichtigen. "Ausbildungen und berufliche Einsätze für österreichische Unternehmen im Ausland könnten von der 20-Prozent-Klausel auch ganz ausgenommen werden“, so Valchars. Beim europäischen Daueraufenthalt gilt diese Regelung bereits, das Staatsbürgerschaftsrecht - eine streng nationale Spielwiese - könnte sich ein Beispiel nehmen.
Menschen mit internationalem Lebenslauf bliebe viel Kummer erspart. "Arbeitgeber sind jedes Mal irritiert, wenn sich jemand ohne eine EU-Staatsbürgerschaft für eine Stelle bewirbt. Es ist ein beträchtlicher Aufwand, sie aufzuklären, dass man mit einem Niederlassungstitel gleichgestellt ist“, sagt Değirmencioğlu. Was bleibt ihr nun? Die 40-Jährige könnte sich einen Job ohne Dienstreisen und Auslandseinsätze suchen und die nächsten Jahre brav im Land verbringen. Das passt freilich nicht zu dem, was sie bisher gemacht hat; aber um sie sei es in dem Verfahren ohnedies nie gegangen, sagt Değirmencioğlu: "Weder die Sachbearbeiter in der Magistratsabteilung noch die Richterin am Verwaltungsgericht haben sich je für mich interessiert.“ In keiner Minute als Mensch auf Augenhöhe empfunden, sondern immer nur als "noch so eine Ausländerin, die eine Staatsbürgerschaft will“.