Grüne Kritiker begehren gegen den Führungszirkel der Partei auf
Der Punsch schmeckt. Nur das Ambiente mutet seltsam an. Da liegen bunte Geschenke auf der Wiener Mariahilferstraße. Davor steht eine Plastikpalme, um die sich Lichterketten schlängeln. Die Installation, die sich vergangenen Dienstag auf der Einkaufsmeile präsentiert, stammt aus der grünen PR-Maschinerie und soll wachrütteln. Wenn sich an der Klimapolitik nichts ändere, würden wir Weihnachten bald unter Palmen feiern, so die Warnung. Die Kunde wird auf Flyern verbreitet, dazu werden Heißgetränke kredenzt.
Politik mit einem Augenzwinkern: So lautet das Credo, das seit Jahren die grüne Außendarstellung prägt und das nun für immer heftigeren internen Widerstand sorgt. „Weichgespült“ und „angepasst“ nennen das selbst ranghohe grüne Mandatare.
Doch Nationalratsabgeordnete, Bundesvorstandsmitglieder und abgewählte Mandatare erheben noch viel gravierendere Vorwürfe. Von einem „Regime“ ist die Rede, von parteiinternen Machtzentren, Demokratiedefiziten und der Boulevardisierung grüner Politik. Adressat des Unmutes ist jener Führungszirkel, der seit Jahren den Kurs vorgibt und vor allem darauf bedacht ist, interne Kritiker auf Linie zu bringen.
„Vor lauter Angst, dass wir in der Öffentlichkeit wieder als die streitenden Grünen dastehen, wird kein Diskurs zugelassen“, moniert Sigrid Maurer, die seit 2013 für die Grünen im Nationalrat sitzt. Schon im Zuge der EU-Wahlen im Jahr 2014 richtete die frühere ÖH-Vorsitzende den Parteifreunden in einem scharfen Mail aus, dass anstelle von Visionen nur „markige Sprüche“ präsentiert würden, „hinter denen sich wenig bis keine Substanz verbirgt“. Eine Reaktion der Parteispitze blieb aus.
Stattdessen erzählt Maurer von Debatten, die „abgedreht werden“, und Sitzungsprotokollen, die „den tatsächlichen Diskussionsprozess nicht widerspiegeln“. Auch Andreas Novy, der die Grüne Bildungswerkstatt leitet und im Bundesvorstand sitzt, hält fest, dass es „mehr systematische Evaluierung braucht“.
Und viele meinen, dass über Strategien, Personen und Finanzen nicht offen, sondern in Hinterzimmern diskutiert wird. Hinter vorgehaltener Hand erzählen mehrere namhafte Funktionäre von einer informellen Führungsriege bei den Grünen, die geschickt aufgestellt ist. Eva Glawischnig, seit 2008 grüne Bundessprecherin und Klubobfrau im Nationalrat, ist Teil davon. Sie meidet interne Konflikte, so gut es geht. Im Parlament hält ihr Dieter Brosz, den Parteifreunde als „defensiven Grundlinienspieler“ bezeichnen, den Rücken frei. Er ist geschäftsführender Nationalrat, verantwortet die Kommunikation und prägt als Teil der Klubleitung maßgeblich die Agenda im Parlament.
Für Ordnung im Parteiapparat sorgt Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner, den Glawschnig 2009 von der Caritas holte. Er setzte quer durch alle Landesorganisationen ein einheitliches Erscheinungsbild durch, das vom Burgenland bis Vorarlberg in den Farben Grün und Magenta von Wahlplakaten blitzt. Ein personell üppig ausgestattetes Pressebüro, das sich vor allem aus ehemaligen Boulevard-Journalisten rekrutiert, bringt auf Wallners Geheiß die grünen Konzepte in einfacher Sprache an die Wähler.
Die Grünen haben zweifelsohne einen Professionalisierungsschub durchlaufen. Neuerdings werden Fokusgruppen gezielt angesprochen, und die Grünen verpassten sich eine selbstironische Note, womit das Image einer verkopften Akademikerpartei abgestreift werden soll.
So streichelweich sich die Grünen nach außen geben, so streng wird intern der Kurs durchgepeitscht – egal, ob jemand nach links oder nach rechts ausschert. Als der damalige Wiener Landtagsabgeordnete Klaus-Werner Lobo zum Jahresende 2012 jene Flüchtlinge unterstützte, die aus Protest über ihre schlechte Unterbringung die Votivkirche besetzt hielten, wurde er vom Bundesgeschäftsführer zurechtgewiesen. „Ich brauche keinen Zauberlehrling mit Überlegenheitspose“, soll er Lobo ausgerichtet haben. Sein Verhalten sei nicht förderlich für den anstehenden Nationalratswahlkampf.
Und Efgani Dönmez, der anlässlich einer Demonstration von Erdogan-Anhängern für selbige „5000 One-Way-Tickets“ in die Türkei forderte, wurde von Wallner vor die Wahl gestellt: öffentliche Entschuldigung oder Parteiausschluss. Dönmez wählte Ersteres. Wird intern für klare Haltungen und gegen plumpes Politikmarketing argumentiert, hält Wallner dagegen, „Haltungsturnen“ bringe die Grünen nicht weiter.
Stefan Wallner und Dieter Brosz können jedes ihrer Argumente mit Daten aus der Meinungsforschung untermauern. Dass er mit Brosz viel zu tun hat, will Wallner gar nicht abstreiten. Er merkt nur an: „Wir haben als Personen äußerst unterschiedliche Einschätzungen, und aus dieser Spannung entsteht sehr viel Kreatives.“
Anfangs ging das grüne Kalkül auf. Die Partei fuhr unter Glawischnig und ihren Getreuen eine beachtliche Serie von Wahlsiegen ein: 2013 holten sie das bundesweit bisher beste Ergebnis mit 12,4 Prozent und toppten dieses ein Jahr darauf bei den Europawahlen mit 14,5 Prozent. Heute sind die Grünen in sechs Landesregierungen vertreten – in Wien, Oberösterreich, Kärnten, Salzburg, Tirol und Vorarlberg.
Doch bei der Wien-Wahl setzte es im vergangenen Oktober zum zweiten Mal in Folge einen Dämpfer. Und in bundesweiten Umfragen stagnieren die Grünen seit den Nationalratswahlen – trotz der miserablen Werte der rot-schwarzen Koalition. Bürgerliche Wähler haben mit den NEOS längst eine weitere Option, und das Protestpotenzial wird von der FPÖ absorbiert.
An einen Stilwechsel denkt Wallner dennoch nicht. Kritik quittiert er mit einem tiefen Seufzer: „Wie ich zu den Grünen gekommen bin, war eine Kampagne das Erstellen eines Folders, wo Fotos von Abgeordneten sowie deren Forderungen drauf waren. Und das ist dann in den Büros herumgelegen und hat nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt. Dahin sollten wir nicht zurückkehren.“
Allerdings geht es längst nicht mehr nur um die Außendarstellung, sondern um inhaltliche Fragen. „Jetzt ist schon die Zeit gekommen, eine Profilschärfung vorzunehmen. Manches, das in der Vergangenheit geklappt hat, wird in Zukunft nicht mehr funktionieren“, meint Andreas Novy: „Wir haben Sozialpolitik als Randgruppenpolitik verstanden. Doch die Problemlage hat die Mittelschicht erfasst.“
So sieht das auch Johannes Rauch, grüner Landesrat in Vorarlberg. Beim Bundeskongress, der Mitte November in Villach tagte, brachte er einen Antrag ein, in dem er eine breite Debatte darüber einmahnte, welche Themen die Grünen künftig besetzen sollen und wie den Wählern gegenüberzutreten sei. Der Antrag wurde bereits im Vorfeld von zahlreichen Abgeordneten sowie von Landesräten unterstützt und fand auf dem Kongress eine Mehrheit. Eine der Unterzeichnerinnen ist die Wiener Landtagsabgeordnete Birgit Hebein, die kritisiert, die Grünen hätten der Regierungsfähigkeit „zu viel an politischen Zielen untergeordnet und zu sehr Marketing in der Vordergrund zur Stimmenmaximierung gestellt“.
Rauch, der als Landesrat mit den Sorgen der Bevölkerung konfrontiert ist, will keine Beschwichtigungen von der Parteiführung mehr hören, beim nächsten erweiterten Bundesvorstand im Jänner will er eine Grundsatzdebatte anzetteln: „Nur gegen die FPÖ zu sein, reicht nicht aus. Es muss eine Antwort geben, auf die Probleme, die Leute haben, die auf eine Wohnung warten, die arbeitslos sind oder mit dem Geld nicht über die Runden kommen.“