Grüner Fußabdruck: Erreicht Österreich seine Klimaziele?
Österreich verfehlt die Klimaziele derzeit deutlich – hat aber eine gewisse Trendwende geschafft. Was die erste Grüne Regierungsbeteiligung gebracht hat.
„Natürlich sind da grausliche Dinge drinnen“, sagte die Grüne Verhandlerin Eva Blimlinger im Jänner 2020 ganz über das Koalitionsabkommen mit der ÖVP. Doch dass die Grünen regieren, mache „Grauslichkeiten“ wie Kopftuchverbot oder Sicherungshaft wett, argumentierte die Parteispitze: Denn es werde energisch gegen die Klimakrise gekämpft.
Vier Jahre später gibt es weiterhin kein Klimaschutzgesetz. Dieses werde „in seiner Bedeutung überhöht“, befand Kanzler Karl Nehammer zuletzt. Ohne dieses Rahmengesetz gilt das Ziel Klimaneutralität bis 2040 für die nächste Regierung nicht. Dennoch bleiben die Grünen dabei: Österreich ist am richtigen Pfad.
Hat die Klimapartei in ihrer ersten Regierungsbeteiligung geliefert? profil hat die Klimafortschritte überprüft und Klimaministerin Leonore Gewessler befragt.
CO2-Reduktion: Richtige Richtung nach Fehlstart
Bis 2040 soll Österreich klimaneutral sein. Das sei auch notwendig, wenn sich der Planet nicht über 1,5 Grad erhitzen soll, sagt Günther Lichtblau, Klimaexperte im Umweltbundesamt.
Doch Österreich bleibt ein klimapolitischer Nachzügler. Erst 2022 lag der CO2-Ausstoß erstmals unter dem Niveau von 1990. Und sinkt der Treibhausgasausstoß 2030 nicht um 55 Prozentpunkte im Vergleich zu 1990, drohen EU-Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Schwarz-Grün hat Maßnahmen gesetzt, vom CO2-Preis bis zum Heizungstausch, aber zu wenige: Aktuell würde dieses Ziel aber noch um 13 Prozentpunkte verfehlt. Das zeigt der Entwurf des Nationalen Energie- und Klimaplans (NEKP). Klimaministerin Leonore Gewessler sucht nach Ideen, die Emissionen zu senken. Viel Zeit bleibt nicht, der Plan muss bis Juni in Brüssel abgegeben werden.
Aber: Die letzten beiden Jahre geben Grund zur Hoffnung. Mit einem Rückgang von 5,8 Prozent lag Österreich 2022 erstmals am Pfad, die Klimaziele zu erreichen. Laut Schätzungen des Wegener Center der Uni Graz sanken die Emissionen 2023 um weitere 6,9 Prozent (siehe Grafik) – mehr als zum Erreichen der Klimaneutralität notwendig wäre. Das liegt auch an teurem Gas, warmen Wintern und Corona-Krise. Betonung auf auch: „Ohne die Klimaschutzmaßnahmen der letzten Jahre hätte es diese starke Reduktion wohl nicht gegeben“, sagt Experte Lichtblau.
Die Klimaneutralität ist nur erreichbar, wenn deutlich mehr Maßnahmen gesetzt werden. Das Projekt „Netzero2040“ zeichnet etwa vier Pfade zur Klimaneutralität. Fazit: Österreich brauche deutlich mehr Windkraft, den raschen Austausch von Verbrennern und den baldigen Rückbau fossiler Infrastruktur. Die derzeitige Geschwindigkeit sei „völlig unausreichend“, sagt Projektleiter Johannes Schmidt, „aber wir müssten unser Leben nicht komplett auf den Kopf stellen, um 2040 klimaneutral zu leben.“
Wird Österreich 2040 klimaneutral sein?
Leonore Gewessler
Ja, das schaffen wir – wenn wir so ambitionierten Klimaschutz betreiben wie aktuell. Bis 2020 sind die Emissionen in der ganzen EU gesunken, in Österreich sind sie gleichgeblieben. Seit die Grünen mitregieren, sinkt der Treibhausgasausstoß und wir sind auf Kurs, unsere Klimaziele zu erreichen.
Der Emissionsrückgang der letzten Jahre liegt auch an Einmaleffekten wie hohen Strom- und Gaspreisen und warmen Wintern. Weniger heizen können manche Haushalte gar nicht.
Gewessler
2021 und 2022 waren zwei außergewöhnliche Jahre. Aber wir sehen die Effekte von politischen Maßnahmen
Auch 2040 werden noch Treibhausgase ausgestoßen werden. Warum verbietet Österreich „Carbon-Capture-and-Storage“-Technologien, bei denen CO2 künstlich eingefangen und gespeichert wird?
Gewessler
Auch unsere Moore und Wälder sind wirkungsvolle CO2-Speicher, deshalb setzen wir Maßnahmen, um geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen. Aber ja, am Ende des Weges werden wir in manchen Sektoren technische Lösungen brauchen. Deshalb finde ich es gut, dass das Verbot von „Carbon-Capture-and-Storage“-Technologien im Finanzministerium evaluiert wird. Das ist aber eine teure und begrenzte Technologie, die in einzelnen industriellen Bereichen angewandt werden kann – und nicht, damit wir weiter mit dem Verbrenner fahren können.
Verkehr: Volles Tempo für Auto und Bahn
Mehr als ein Viertel aller Treibhausgasemissionen in Österreich stammte 2022 laut Umweltbundesamt aus dem Verkehrssektor – und in keinem anderen Bereich stiegen die Emissionen seit 1990 derart an. Auch hier zeichnet sich allerdings eine Trendwende ab: 2022 wurde auf Österreichs Straßen sogar weniger CO2 ausgestoßen als im Lockdown-Jahr 2020. Laut Umweltbundesamt liegt das vor allem an den hohen Treibstoffpreisen. Dass immer mehr E-Autos unterwegs sind, hilft zusätzlich.
Infrastrukturministerin Gewessler sagte große Straßenbauprojekte ab, um mehr Autoverkehr zu verhindern. Die ÖVP hingegen setzt auf die Autobahn und fordert im „Österreich-Plan“ ein 20 Milliarden Euro schweres Straßenbauprogramm bis 2040. Dass bald nur klimaneutrale Autos fahren, ist unwahrscheinlich: Der erhoffte Run auf E-Autos bleibt bei Privatpersonen bisher aus. Durch großzügige Förderungen und die Reform der Normverbrauchsabgabe wurden 2023 zwar erstmals mehr E-Autos als Diesel-PKWs zugelassen, vier von fünf neuen Elektrofahrzeugen sind aber Firmenautos.
Was wirkt: Der Umstieg auf öffentlichen Verkehr. Das Klimaschutzministerium gibt allein heuer eine halbe Milliarde Euro für das Klimaticket aus. Die Fahrgastzahlen steigen spürbar – mitunter so sehr, dass Züge und Busse überfüllt sind. In den kommenden sechs Jahren werden daher 21,1 Milliarden Euro ins Bahnnetz gesteckt. Und die Förderungen für „aktive Mobilität“ wie Radfahren und zu Fuß gehen liegt heuer bei über 100 Millionen Euro – um 30 Millionen Euro mehr als im Vorjahr.
Doch die Anreize für Autofahrer blieben: Das Pendlerpauschale ist nicht ökologisiert, obwohl die Reform im Regierungsprogramm versprochen wurde. Die ÖVP hütet sich jedoch, die über 2,3 Millionen Pendlerinnen und Pendler zu verärgern – und auch die Grünen fordern eine Änderung nur leise. Auch bei Tempo 100 auf der Autobahn hat sich der kleine Koalitionspartner nicht durchgesetzt.
Sie fordern Tempo 100 auf der Autobahn – halten Sie sich selbst daran?
Gewessler
Ich fahre die meisten Strecken öffentlich und besitze kein Dienstauto. Und das E-Auto des Ministeriums stammt aus der Zeit von Minister Jörg Leichtfried. Das ist so alt, da ist man automatisch beim Hunderter.
Privatpersonen steigen trotz hoher Förderungen nur langsam auf E-Autos um. Wie wollen Sie das ändern?
Gewessler
Schon jetzt sind E-Autos über den Lebenszyklus gerechnet günstiger als Verbrenner. Zudem kommen kleinere und billigere E-Autos auf den Markt. Die meisten Privatpersonen kaufen aber gebraucht und E-Autos kommen jetzt erst langsam aus den Firmenflotten heraus. Am meisten rechnet sich ohnehin das Klimaticket
Der Umstieg auf die Schiene scheitert auch an den Kapazitäten der ÖBB. Versprechen Sie mehr öffentlichen Verkehr als Sie bieten können?
Gewessler
Natürlich nicht. Zurzeit machen Lieferverzögerungen, Unwetter und Verspätungen aus Deutschland den ÖBB das Leben schwer. Darauf haben wir wenig Einfluss. Es wurden jetzt Maßnahmen getroffen, um die Verlässlichkeit, die man sich von den ÖBB erwartet, zu liefern. Das habe ich auch eingefordert. Grundsätzlich planen wir den Bahnausbau innerhalb der Kapazitäten der Bauwirtschaft. Könnte ich es mir aussuchen, würde ich vielleicht noch mehr neue Verbindungen planen. Aber wir müssen schauen, was umsetzbar ist.
Bodenschutz: Jeden Tag 16 Fußballfelder verbaut
Österreich bleibt trotz Grünen Weltspitze im Zubetonieren. Dabei lautete das Ziel: 2,5 Hektar pro Tag sollen 2030 maximal versiegelt werden. Dennoch liegt der Flächenfraß weiterhin bei 11,4 Hektar pro Tag – zum Vergleich: Das sind 16 Fußballfelder, Tendenz gleichbleibend. Neben Umweltorganisationen warnt auch die Hagelversicherung vor der Versiegelung des Landes: Die Menge an Agrarfläche, die jedes Jahr verbaut wird, entspreche dem Brotgetreideverbrauch des Burgenlandes. Versiegelte Flächen sorgen im Sommer für Hitzeoasen und nehmen kein Wasser auf. Schon jetzt ist ein Zehntel der möglichen Siedlungsfläche verbaut – und ab 2050 schreibt die EU Bodenneutralität vor. Dann darf in Europa nur noch so viel versiegelt werden wie gleichzeitig wieder entsiegelt wird.
Eine verpflichtende Bodenschutzstrategie ist dennoch ausständig – auch, weil der Grüne Vizekanzler Werner Kogler ein Veto einlegte: „Ohne verbindliche, klar definierte Ziele“ sei die Strategie zahnlos.
Was wird in der Bodenschutzstrategie stehen?
Gewessler
Es braucht ein für alle verbindliches Ziel. Es hilft nichts, wenn nur die Bundesregierung den Flächenverbrauch reduzieren will, denn die nötigen Instrumente liegen bei den Bundesländern. Mir ist unerklärlich, dass Länder wie Oberösterreich bei der Bodenschutzstrategie auf der Bremse stehen.
Was sagen Sie einer Familie, die ein Haus im Grünen bauen will?
Gewessler
Das widerspricht dem Bodenschutz nicht. Wenn die Politik, vor allem Bundesländer und Gemeinden, vorausschauend plant, gibt es mit Nachverdichtung, Baulandmobilisierung oder Flächenrecycling genügend Möglichkeiten für guten Wohnraum.
Die geringste versiegelte Fläche pro Kopf gibt es in Großstädten wie Wien. Wünschen Sie sich mehr Städter und weniger Landleben?
Gewessler
Nein, wir brauchen lebendige Regionen. Aber wir haben in vielen Orten die gleichen Fachmarktzentren mit den gleichen Schachtelbauten und den gleichen zubetonierten Parkplätzen. Macht das meine Gemeinde so viel attraktiver? Da müssen wir über Bau- und Raumordnung sowie die Gemeindezusammenarbeit gegensteuern.
Erneuerbaren-Ausbau: Gegenwind aus den Ländern
2030 soll der heimische Strombedarf vollständig aus grüner Energie gestillt werden. Dafür kann entweder der Energiebedarf gesenkt oder die Produktion erhöht werden. Die Regierung versucht beides: Durch Heizungstausch und eine Sanierungsoffensive sollen Gebäude sauberer werden, durch den Ausbau erneuerbarer Energieträger der Strom grüner.
Die Regierung unterstützt den Erneuerbaren-Ausbau durch großzügige Förderungen und gelockerte Bewilligungsverfahren. In Kombination mit gestiegenen Energiepreisen übererfüllte Österreich zuletzt sogar die Ziele des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes. Doch mittelfristig droht ein Einbruch. Die Initiative „Klimadashboard.at“ zählte die Ausbaupläne der Bundesländer zusammen. Das Ergebnis: Die Bundesländer planen bis 2030 nicht genügend Wind- und Wasserkraftwerke. Die vom Bund vorgegeben Ziele werden um jeweils rund zehn Prozentpunkte verfehlt.
Besser läuft es beim Sonnenstrom. Photovoltaik-Anlagen boomen, der Ausbau findet im Rekordtempo statt: 2022 wurde erstmals mehr als 1 Gigawatt Sonnenstrom zugebaut, 2023 mehr als doppelt so viel. Mehr als 600 Millionen Euro stellte das Klimaschutzministerium 2023 für den PV-Ausbau zur Verfügung. Seit Jahresbeginn ist das Fördersystem komplett umgestellt, kleinere PV-Anlagen sind nun von der Umsatzsteuer befreit. Aber mancherorts kann der Sonnenstrom nicht ins Stromnetz eingespeist werden und an lokalen Speicherlösungen fehlt es mitunter.
Der PV-Ausbau boomt. Die meiste Sonnenenergie kommt aber zu Mittag und im Sommer, wenn Haushalte weniger Strom verbrauchen. Bauen wir überflüssige Stromquellen?
Gewessler
Nein. Wir brauchen jede Anlage, um unseren Strombedarf aus Erneuerbaren zu decken. Das Energiesystem verlagert sich dadurch von ein paar großen, dreckigen Quellen zu vielen Menschen, die stolz ihren eigenen Strom produzieren. Dafür braucht es viele Bausteine von Energiegemeinschaften über den Netzausbau bis zu neuen Speichern. Daran arbeiten wir.
Weniger gut läuft es bei der Windkraft…
Gewessler
Die Windkraft hatte 2023 ihr zweitbestes Jahr jemals.
Heuer werden zu wenige neue Windräder errichtet.
Gewessler
Das schaue ich mir Ende 2024 an. Die brancheneigene Prognose war zuletzt nicht immer ganz am Punkt. Der Bund hat mit Fördersystemen, Netzen und beschleunigten Verfahren die Rahmenbedingungen geliefert. Jetzt sind die Länder gefordert. Es ist unverständlich, dass in manchen Bundesländern noch kein Windrad steht.
Die Ausbaupläne der Bundesländer verfehlen die Ausbauziele des Bundes. Sind Ihre Ziele zu ambitioniert oder sind Sie gegen die Bundesländer de facto machtlos?
Gewessler
Nein, denn es geht darum, ob wir 2040 in diesem Land noch gut leben können. Wenn meine zwei Nichten so alt sind wie ich, sollen sie Schnee nicht nur aus Erzählungen kennen und sich im Sommer in Städten frei bewegen können. Dafür müssen wir raus aus den Fossilen und rein in die Erneuerbaren. Das wissen auch die Bundesländer.
Der Erneuerbaren-Ausbau stößt immer wieder an Umweltbedenken. Was ist wichtiger: Umwelt- oder Klimaschutz?
Gewessler
Das ist die falsche Frage. Wir brauchen einen schnellen und umfassenden Erneuerbaren-Ausbau. Dabei dürfen wir das Artensterben nicht ignorieren. Das wird im Fördersystem berücksichtigt. Etwa bei der Wasserkraft : Wir haben ambitionierte Ziele – aber den letzten noch intakten Alpenfluss müssen wir nicht verbauen. Und etwa in Oberösterreich geht es bei der Diskussion zur Windkraft nicht darum, die Umwelt zu schützen. Naturschutzlandesrat Manfred Haimbuchner (FPÖ) will einfach keine Windräder. In einem Industriebundesland ist das fast wirtschaftsgefährdend.
Recycling: PET-Probleme
Mit dem Reparaturbonus hat die Regierung einen Anreiz geschaffen, Geräte länger am Leben zu halten. Auch echtes Recycling spielt beim Erreichen der Klimaziele eine Rolle: Würde etwa in der Stahlproduktion weniger Erz und mehr Schrott eingesetzt werden, käme Österreich der Klimaneutralität einen großen Schritt näher, zeigen Wissenschaftler der Uni Graz und der WU Wien. Konkrete Recycling-Ziele hat die EU bereits für Ende 2025 gesetzt: Dann muss Österreich 55 Prozent der Siedlungsabfälle wiederverwerten – und die Hälfte des Plastik-Verpackungsmülls. Während das erste Ziel erreicht werden dürfte, gibt es beim Plastikmüll Ausbaubedarf: Zwar gilt ab 2025 ein Pfand auf Plastikflaschen, die bestehenden 15 Sortieranlagen reichen aber nicht.
Österreich fehlen Sortieranlagen, um die Hälfte des Plastikverpackungsmülls zu recyclen. Verfehlt Österreich dieses Klimaziel?
Gewessler
Im Sammeln von Glas- und Papiermüll sind wir fast Europameister, auf Plastik haben wir in der Vergangenheit zu wenig geschaut. Das Einwegpfand wird helfen: EU-Staaten mit Pfand erreichen auch die Trenn-Quote. Im Recycling-Bereich gilt seit letztem Jahr die österreichweit einheitliche Sammlung von Plastikmüll. Und 2025 entsteht eine der modernsten Sortieranlagen Europas in Oberösterreich.
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.