Halbe Kraft voraus – Warum Teilzeit auf dem Vormarsch ist
„Seine Hüfte kostet genauso viel wie meine – und ich arbeite mehr als 40 Stunden.“ Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hätte gerne „volle Sozialversicherungsbeiträge“ von Menschen, die Teilzeit arbeiten, obwohl sie gesund und ohne Betreuungspflichten sind. Vor einem riesigen blauen LED-Screen sitzt Mikl-Leitner mit zwei niederösterreichische Wirtschaftsvertretern und WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr – es geht um die Zukunft der Baubranche. Teilzeit soll sich nicht mehr lohnen, Teilzeit sei „asozial“, sagt Mikl-Leitner am zweiten niederösterreichischen „Zukunftstag“ vor 600 Menschen. „Wenn jemand Work-Life-Balance braucht, dann soll er sie leben, aber nicht auf unsere Kosten.“ Die Öffentlichkeit müsse „wachgerüttelt“ werden, weil immer weniger Vollzeitarbeitende das System tragen würden, heißt es dazu später aus ihrem Büro. Tatsächlich ist (in absoluten Zahlen) nicht bekannt, wie viele Menschen in Österreich wie viele Stunden arbeiten. Exakt wissen das nur die jeweiligen Arbeitgeber. „Teilzeit“ kann alles sein, was unter der im jeweiligen Kollektivvertrag festgelegten Vollzeit liegt. Insgesamt liegt die Teilzeitquote in Österreich weit über dem EU-Schnitt (siehe Grafik).
Doch die allermeisten Teilzeit-Beschäftigten tun dies keineswegs freiwillig. Würden die Abgaben auf Teilzeit erhöht, träfe dies besonders viele Niedrigverdiener.
Laut einer Befragung von TQS Research & Consulting arbeiten drei Prozent der 1000 Befragten freiwillig Teilzeit – auf die arbeitende Gesamtbevölkerung umgerechnet (rund 4,4 Millionen) wären das rund 132.000 Menschen in Österreich. Die würden nur „ein bisserl“ arbeiten und „ein bisserl“ in das Sozialsystem einzahlen, meinte TQS-Geschäftsführer Dieter Scharitzer zu der Studie. Demgegenüber stehen laut WIFO 139.000 Menschen, die unfreiwillig in Teilzeit arbeiten. Und auch in der TQS-Befragung werden als überwiegende Motive für Teilzeit Betreuungspflichten und Ausbildung angegeben.
Besserverdiener wollen Teilzeit
Zum Arbeitsmarkt gehören immer zwei: Es gibt Branchen, die grundsätzlich nur wenige Vollzeitstellen anbieten – dazu zählt zum Beispiel der Handel, so Ökonomin Christine Mayrhuber vom WIFO. Einkommensschwache Arbeitnehmerinnen würden gerne Stunden aufstocken, so eine Analyse des arbeitnehmernahen Momentum Instituts, aber können das nicht, weil die Arbeitgeber nicht mehr Stunden anbieten. Mitunter ist es für Arbeitgeber abgaben- und steuertechnisch günstiger, eine Arbeitskraft nur in Teilzeit zu beschäftigen.
Teilzeit ist in Österreich weiblich. 2023 arbeitete knapp die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in Österreich Teilzeit, bei den Männern waren es nur 13,4 Prozent. Hauptgrund für die Geschlechterungleichheit sehen Expertinnen von WIFO, AMS und Arbeiterkammer in der traditionellen Alleinzuständigkeit von Frauen für familiäre Betreuungspflichten. Frauen leisten durchschnittlich fünf Stunden unbezahlte Sorgearbeit pro Tag, Männer im Schnitt nur die Hälfte davon. Das spiegelt sich in den Motiven für Teilzeitarbeit wider: Während Frauen vor allem aufgrund von Betreuungspflichten keine Vollzeitjobs annehmen können, nutzen Männer reduzierte Arbeitszeit eher für Fortbildungen (siehe Grafik). Eine „Katastrophe“ sieht Arbeitsmarktexpertin Iris Appiano-Kugler vom AMS in den aus der Teilzeit resultierenden niedrigen Pensionsbezügen, die Frauen in die Altersarmut drängen. Wer Österreichs Teilzeitquote senken will, der muss bei der Gleichberechtigung ansetzen, sagen WIFO, AMS und Arbeiterkammer unisono.