Hochsicherheitstechnologie im Strandbad: "Es tut nicht weh"
Der Regionalzug hält vor einem grell bemalten Wartehäuschen. Eine Holzbank, ein Bahngleis, kein Fahrkartenautomat. Wer aber meint, in eine liebenswürdig rückständige Welt zu geraten, wenn er am Bahnhof in Weiden am See aussteigt, täuscht sich. Entlang der pfeilgeraden Straße zum Strandbad entstehen spitzgiebelige Feriendomizile mit Sonnendeck und Glasfronten. Das Baustellenplakat verheißt "Grenzenlose Möglichkeiten". Ein Stück weiter taucht ein mondänes See-Restaurant auf, "Das Fritz". Zweigt man hier zum Strandbad ab, verpufft der letzte Rest Hoffnung auf ein wenig altbackene Idylle.
Das Kassahäuschen wird von eckigen, schwarzen Geräten flankiert, die sich dem Besucher wie grimmige Vorposten einer modernen Zeit entgegenstemmen. Es handelt sich um Handvenenscanner. Diese Hochsicherheitstechnologie würde man vielleicht in einem Atomkraftwerk oder zur Überwachung des Goldschatzes der Republik erwarten. Aber am Eingang eines Strandbads am Neusiedler See? Mit solchen Bedenken braucht man dem Bürgermeister der 2500-Einwohner-Gemeinde nicht zu kommen. Bis zur Kommunalwahl vor zwei Jahren regierte die ÖVP mit absoluter Mehrheit; seither sind es 45,8 Prozent. Wilhelm Schwartz sitzt am Besprechungstisch im Gemeindezentrum und schiebt der Besucherin zwei lose Blätter hin. Auf dem ersten ist zu erfahren, wie einfach der Handvenenscanner zu bedienen ist: Finger spreizen, die Hand flach auf das Lesegerät legen, grünes Licht abwarten. Das zweite Blatt klärt in holprigem Deutsch darüber auf, dass die verwendete Infrarotstrahlung unbedenklich sei, das Handvenenmuster nicht gestohlen werden könne und sämtliche Daten verschlüsselt seien. Weitere Fragen seien an eine ungarische Firma zu mailen.
Sicherheit schön und gut - aber ist dieser Hightech-Ansatz nicht etwas übertrieben? "Telefonieren Sie mit Ihrem Handy? Sperren Sie Ihr Auto mit Funk auf?", fragt Schwartz zurück: "Das ist leichter zu hacken und viel gefährlicher." Der Amtsvorsteher sitzt zustimmend schweigend daneben.
Vor Monaten lotste der Bürgermeister die 50.000-Euro-Investition durch den Gemeindevorstand, am Gemeinderat vorbei. Das ist rechtlich legitim, kam aber nicht bei allen in der Opposition gut an. Schwartz strotzt vor Genugtuung darüber, dass die Tricksereien nun der Vergangenheit angehörten. Es habe sich nämlich herumgesprochen, dass die Einheimischen in Weiden gratis baden. An heißen Tagen sei das Personal mit dem Kontrollieren nicht nachgekommen. Wer einen der zwei ortsüblichen Familiennamen nannte, sei durchgekommen. Schon seit geraumer Weile wälze man daher Pläne für eine zuverlässige, moderne Zutrittskontrolle.
Der Auftrag ging an die Wiener PCS IT-Trading GmbH. Unternehmensgründer Fritz Pfundner besitzt Liegenschaften in Neusiedl und Weiden. Seit 2006 führen seine Söhne die Geschäfte. Martin Pfundner baute das oben erwähnte Lokal "Das Fritz". Auf profil-Anfrage verweist der IT- Unternehmer an einen Projektmanager. Er heißt Stefan Kölbl und ist bemüht, Zweifel zu zerstreuen: "Die Anforderung lautete, den Missbrauch mit Saisonkarten in den Griff zu kriegen. Damit waren wir schnell bei einem biometrischen System. Gesichtserkennung ist datenschutzrechtlich kritisch. Fingerabdrücke sind unzuverlässig. Handvenenscanner sind das Mittel der Wahl, weil nur ein Mustercode abgespeichert wird." In ungarischen Fußballstadien sorgen sie dafür, dass Jahreskartenbesitzer sich nicht mehr anstellen müssen. Diesen Komfort wollte man auch in Weiden bieten. Für Datenschützer steht freilich nicht Bequemlichkeit im Fokus, sondern die Frage, ob sich von einem Mustercode auf die Handvenen einer Person schließen lässt. PCS-Vertreter Kölbl sagt, das sei nicht der Fall: "Das Venenmuster wird nicht abgespeichert, es wird einwegverschlüsselt und kann nicht einmal vom Hersteller entschlüsselt werden."
Keine Alternative zur biometrischen Erfassung
Dass der Weidener Bürgermeister sich als Erster registrieren ließ, versteht sich fast von selbst. Rund 1500 Badegäste folgten ihm und erklärten auf einem A4-Zettel ihre "Einwilligung für die Erhebung, Verarbeitung, Nutzung personenbezogener und biometrischer Daten". Darauf findet sich der lapidare Vermerk, die Bereitstellung erfolge "freiwillig". Allerdings: Wer seine Handvenen nicht hinhalten will, kommt nur noch mit einer Tageskarte um 4,50 Euro in die Anlage. Sowohl Saisonkarten als auch der Gratiseintritt für Hiesige sind an die biometrische Erfassung gebunden.
Nicht alle, die in Weiden Erholung suchen - unter ihnen zahlreiche Wiener -, finden das in Ordnung. Ein Rechtsanwalt, der am Neusiedler See sein Boot liegen hat, betrachtet es als Problem, dass für Verweigerer keine Alternative existiert. Bürgermeister Schwartz hat auch hier ein Wisch-und-weg-Argument parat: "Im Supermarkt bekommen Sie auch nur Rabatt, wenn Sie eine Karte haben." Dann schlägt er einen Lokalaugenschein vor, mit Einscannen und anschließendem Löschen: "Es tut nicht weh."
Der Himmel ist bewölkt, die Liegewiesen sind dünn besiedelt. "Die Dame war schon da", ruft die Kassierin aus ihrem Häuschen. Der Test ist rasch erledigt: Rechte Hand auflegen, wegnehmen, noch einmal auflegen; das Ganze links noch einmal. Auf dem Bildschirm im Kassahäuschen taucht eine gespenstisch weiße Hand auf schwarzem Grund auf. "Die Einheimischen sind zu 80 Prozent begeistert", hatte der Bürgermeister zuvor im Büro erklärt. Wie ein bestelltes Testimonial spaziert nun ein sonnengegerbter Mann mit Kapperl und verspiegelter Sonnenbrille vorbei und bemerkt, dass er in seinen Taschen nicht mehr nach seiner Karte kramen müsse, seine Hand habe er zum Glück ja immer dabei.
"Grundrechtlich stellt sich hier schon die Frage der Verhältnismäßigkeit"
Viele Skeptiker wollen ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Weiden ist klein. Die Wiener Trainerin Karen Bischof weilt häufig im Strandbad. Sie traute ihren Augen nicht, als sie ihre Jahreskarte lösen wollte und hautnah miterlebte, "wie bedenkenlos viele Leute ihre Handvenen scannen lassen". Sie selbst legte dem Bürgermeister ihre Bedenken in zwei E-Mails dar. Bis heute wartet sie auf eine Antwort. Der Grüne Gemeinderat Andreas Rohatsch fürchtet, dass es der Gemeinde an der Kompetenz fehle, mit den Daten sorgsam umzugehen. Als "zumindest sehr übertrieben" bezeichnet Hannes Tretter, Uniprofessor für Menschenrechte und ebenfalls häufig in Weiden anzutreffen, die Installation der Handvenenscans: "Grundrechtlich stellt sich hier schon die Frage der Verhältnismäßigkeit." Eine "Schnapsidee", meint der E-Boot-Fahrer Otto Zoebl, der die Sommer in seinem Ferienhaus am See verbringt.
Im Datenschutz agieren seit jeher die Salamitaktiker. Markus Kainz vom Datenschutzverein "quintessenz" führt Interessierte auf Wien-Spaziergängen an zahllosen Kameras vorbei: "Jede davon ist illegal. Inzwischen sind es aber so viele, dass wir uns damit einfach abfinden." In Weiden drehe man die Schraube noch etwas weiter: "Das Interesse der Wirtschaftskammer ist es, diese Technologien an vielen Stellen einzuführen, damit wir uns daran gewöhnen." Irgendwann werde es heißen: "Was ist dabei? In Weiden haben sie das schon lange." Mit unverhohlenem Pionierstolz erklärt Bürgermeister Schwartz, dass Podersdorf und Neusiedl bereits Interesse bekundeten. Im Ernstfall scheint in einer kleinen Gemeinde die soziale Kontrolle aber immer noch besser zu funktionieren als biometrische Überwachung. Kurz bevor der Zug nach Wien einfährt, taucht der Bürgermeister vor dem Wartehäuschen auf. Man habe ihm zugetragen, dass sein Widersacher von den Grünen zwei Mal zum Strandbad gefahren sei, von dem die Journalistin gerade kommt. "Das ist sicher kein Zufall." Und: "Löschen Sie die Aufnahmen unseres Gesprächs von Ihrem Handy. Wer weiß, was Sie damit machen."