Hannes Androsch und sein Lieblingssport: Kanzler-Bashing
Politiker haben für gewöhnlich eine dicke Haut. Wer sich von jeder kritischen Bemerkung erschüttern lässt, sollte diese Profession meiden. Dennoch kann man sich vorstellen, dass Sebastian Kurz etwas irritiert war, als er erfuhr, was Hannes Androsch, immerhin ein Beinahe-Vorgänger im Kanzleramt, neulich in der Tageszeitung "Die Presse" zu sagen hatte. Auf die Frage, wie er Kurz einschätze, erklärte Androsch: "Am Anfang wirkte er wie ein netter, höflicher Mann. Jetzt zeigt sich: Er ist ein eiskalter, machthungriger Narziss."
Anderen Mitgliedern der Regierung erging es nicht besser. Im gleichen Interview musste sich Sozialministerin Beate Hartinger-Klein "törichte Asozialität" vorhalten lassen, bei Außenministerin Karin Kneissl diagnostizierte der Kritiker "primitiven Wohlstandschauvinismus". An Schwarz-Blau kann Androsch einfach gar nichts entdecken, was sein Auge erfreut. Die Migrationspolitik, das Nulldefizit, die Deutschklassen: Murks, so weit man schauen kann.
Von aktiver Gegenwehr der Attackierten ist nichts bekannt. Hannes Androsch hat sich als Giftspritze eine gewisse Narrenfreiheit erarbeitet. Außerdem würde es nichts nützen, ihm zu widersprechen. So frisch der Furor gegen Schwarz-Blau auch wirken mag: Jede Regierung der vergangenen Jahrzehnte wurde vom mittlerweile 80-Jährigen auf ähnliche Weise geschurigelt. Vor allem für österreichische Bundeskanzler gehört die regelmäßige Androsch-Abreibung schlicht zum Job, etwa so wie der Dienstwagen und das Sommergespräch im Fernsehen. Christian Kern ist der Einzige, der halbwegs glimpflich davonkam. Aber das lag wohl daran, dass er nur 19 Monate am Ballhausplatz residierte. Dazu fiel selbst dem bekennenden Besserwisser nichts Originelles ein.
Nimbus der Kreisky-Zeit
Hannes Androsch, längst erfolgreicher Unternehmer und schwerreich, war einst Finanzminister in der SPÖ-Alleinregierung von Bruno Kreisky gewesen und galt als dessen natürlicher Nachfolger. Die Journalisten, die ihn heute um Wortspenden bitten, sind großteils viel zu jung, um sich an jene glorreichen Jahre zu erinnern. Aber der Nimbus dieser Zeit blieb ihm auf geheimnisvolle Weise erhalten. Androsch ist nicht einfach ein Ex-Politiker wie so viele andere, der immer noch seinen Senf dazugeben muss. Was er sagt, geht nach wie vor als politische Expertise durch. Zwei rechtskräftige Verurteilungen (einmal wegen Steuerhinterziehung, einmal wegen falscher Zeugenaussage) vermochten den Ruf nicht dauerhaft zu ramponieren. Es ist einfach zu verlockend für die Medien, wenn es jemanden gibt, der zu allem eine pointierte Meinung hat und zuverlässig Bosheiten absondert. Man könnte sagen, Androsch hat das Twittern erfunden, lange bevor es das Internet gab.
Küchenpsychologisch ist die Sache glasklar: Androsch durfte nicht Kanzler werden, weil er es sich mit Bruno Kreisky verscherzt hatte. Also hegt er seither eine gewisse Basisaggression gegen jene Herren, die in der Folge den Job bekamen und weniger genial erledigten, als er selbst es hingekriegt hätte -jedenfalls nach seiner eigenen Einschätzung. Diese Motivlage könnte man sogar verstehen. Doch Androsch dementiert: Er habe seinerzeit gar nicht Bundeskanzler werden wollen. "Ich habe genau gewusst, dass man als Nachfolger von Kreisky zum Scheitern verurteilt ist." Er sehe sich lediglich als Citoyen, der um das Land besorgt sei. "Man muss kein Amt haben, um Politik zu machen. Es gibt ja auch viele, die ein Amt haben und keine Politik machen." Seine Interventionen würden durchaus fruchten, meint Androsch: "Gelegentlich hört man auf mich. Nicht so oft, wie ich mir wünschen würde, aber öfter, als manche Leute glauben."
Es kann allerdings auch sein, dass der verbale Dauerbeschuss dazu beigetragen hat, den Österreichern die Politik zu vermiesen. Hannes Androsch war und ist eine charismatische Figur. So jemand kann das Image einer Branche durchaus beschädigen. Es wäre ja, nur zum Vergleich, auch nicht hilfreich für den österreichischen Skiverband, wenn Franz Klammer jedes Jahr zu Saisonstart über die emotionalen, körperlichen oder moralischen Defizite seiner schussfahrenden Nachfolger herzöge.
Androsch vs. Vranitzky
Androschs Umgang mit den wesentlichen Akteuren seiner einstigen Branche war seit jeher gehässig. Bei Franz Vranitzky konstatierte er einst "mehr eine Neigung zum Repräsentieren und Kommentieren als zum Regieren". Vranitzky war zu Beginn seiner Karriere Androschs Kabinettsmitarbeiter gewesen. Androsch hielt ihn außerdem für eine treibende Kraft im Gerichtsverfahren gegen ihn. Gründe genug also, um auf den Parteifreund loszugehen. "Ich habe nichts gegen Tennisspielen, Tarockspielen, Golfspielen, was immer. Aber es ist kein Ersatz für den Brunnenmarkt, den Meiselmarkt , den Praterstern", dozierte Androsch in Klassenkampfmanier. Der vielleicht absurdeste Vorwurf: Vranitzky habe sich "mit seiner Familie Allüren geleistet wie ein zentralafrikanischer Potentat". Gelegentlich wehrte sich der Kanzler gegen die Zumutungen aus dem Off. Als Androsch ihm 1993 Überheblichkeit vorwarf, entgegnete Vranitzky: "In theoretischer und angewandter Arroganz ist Androsch ja eine anerkannte Koryphäe."
Amtsnachfolger Viktor Klima hatte es zunächst deutlich leichter mit dem Genossen. Dieser kritisierte zwar diverse Einzelprojekte der Regierung, versicherte den Kanzler aber gern seiner vollsten Solidarität. Mag sein, dass geschäftliche Interessen die Milde begünstigten: Wenige Monate nach Klimas Amtsantritt verkaufte der Bund die Salinen AG an ein Konsortium, das Androsch geschmiedet hatte. Nach der für die SPÖ desaströsen Nationalratswahl Ende 1999 war es ohnehin vorbei mit der Loyalität. Als sich die Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP spießten, überreichte Androsch persönlich die seidene Schnur: "Nicht, weil ich meinem Freund Klima was antun will, nein, ganz im Gegenteil! Aber wenn er selber sagt, er kann es nicht, was bleibt denn dann noch über?"
Überflüssig zu erwähnen, dass auch Wolfgang Schüssel keine Gnade vor dem Unerbittlichen fand. Zwar hatte sich Androsch schon immer gegen die Dämonisierung der FPÖ ausgesprochen und hielt auch die EU-Sanktionen für Quatsch. Für nette Worte in Richtung Kanzleramt reichte das aber keineswegs. "Von ungefähr kommt es nicht, wenn die streikunfreudigen Österreicher zu Zweihunderttausenden bei Sauwetter auf den Heldenplatz gehen. Das hätte sogar den Hitler gefreut", meinte Androsch anlässlich der Demonstration gegen die Pensionsreform. Bei Wolfgang Schüssel konstatierte er ein "selbstgefälliges Allmachts-oder Ohnmachtsgefühl, eher Letzteres". Leider bot ihm auch die eigene Partei keinen Grund zur Freude: Die SPÖ befinde sich in einem "erbärmlichen Zustand", so Androsch im Jahr 2000.
"Kreisky würde sich im Grab umdrehen"
Auf Wolfgang Schüssel folgte Alfred Gusenbauer, der seinen Bonus allerdings schon mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags verspielt hatte. "Die Parteimitglieder sind fassungslos", erklärte Androsch. "Kreisky würde sich im Grab umdrehen." Danach kam Werner Faymann - und es wurde noch schlimmer: "Man kann im Sattel sitzen, und unterm Sattel ist kein Pferd", spöttelte Androsch im Sommer vor drei Jahren als Antwort auf die Frage, wie sehr die Partei noch hinter Faymann stehe. Zuvor hatte er jahrelang kein Hehl daraus gemacht, dass er den SPÖ-Chef intellektuell für eingeschränkt satisfaktionsfähig hielt.
Einmal auf Betriebstemperatur macht Androsch keine Unterschiede zwischen den eigenen Leuten und dem politischen Gegner. Das spricht für ihn. Allerdings ist eine gewisse Neigung erkennbar, die eigenen Interessen als Unternehmer über das große Ganze zu stellen. Androsch spricht sich seit Jahren gegen die Einführung von Vermögenssteuern aus. Die Steuern in Österreich seien schon hoch genug, findet er. Auch die Aufweichung des Bankgeheimnisses gefiel ihm gar nicht. "Wer den Wind des Misstrauens sät, wird den Sturm des Vertrauensverlustes ernten", formulierte er vor ein paar Jahren blumig. Eine bemerkenswerte Aussage für jemanden, der selber schon einmal gröbere Probleme mit seiner Steuererklärung hatte.
Wenn er von etwas überzeugt sei, empfinde er das Bedürfnis, es auszusprechen, erklärt Androsch. "Aber natürlich ist es eine Sache, Dinge zu fordern, und eine ganz andere, sie politisch umzusetzen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung ."
Vielleicht sollte er sich gelegentlich daran erinnern.