Koalitionskumpel Tschürtzt und Niessl: "Aus meiner Sicht bringt die dauerhafte Ausgrenzung nichts."

Hans Niessl will die SPÖ in weitere Koalitionen mit der FPÖ treiben

Hans Niessl will die SPÖ in weitere Koalitionen mit der FPÖ treiben

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Der eine will abgelehnte Asylsuchende in Schubhaft nehmen, der andere schickt eine Privatpolizei auf die Straße. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil und Landeshauptmann Hans Niessl setzen derzeit zügig das Arbeitsprogramm um – jenes der FPÖ. Erstmals in der Nachkriegsgeschichte der SPÖ wächst bei den Sozialdemokraten eine nennenswerte Rechtsfraktion heran. Deren geistiges Oberhaupt ist Hans Niessl (65), ehemaliger Hauptschullehrer aus dem Seewinkel, seit 16 Jahren Regierungschef im Burgenland.

Wohl hatte auch Bruno Kreisky immer wieder mit den Freiheitlichen kokettiert, aber ihm ging es um Machtabsicherung und nicht um ideologische Übereinstimmung. Die einzige größere Konzession an die FPÖ war 1971 die Reform des minderheitsfeindlichen Nationalratswahlrechts. In der kurzen Koalitionsära Sinowatz/Steger waren die Freiheitlichen im Vergleich mit der heutigen Strache-FPÖ liberale Vernünftler.

Im Burgenland läuft das anders, seit Hans Niessl 2015 nach schweren Stimmverlusten (minus 6,5 Prozentpunkte) eine Koalition mit den Freiheitlichen einging. „Es ist nicht mehr zu unterscheiden, ob ein Vorschlag von der SPÖ oder von der FPÖ kommt“, konstatiert Regina Petrik, Klub-obfrau der Grünen im Landtag.

Jetzt will Niessl eine weitere Annäherung der Sozialdemokraten an die Freiheitlichen. Er glaube, dass es in den nächsten Jahren zu mehreren Koalitionen zwischen SPÖ und FPÖ kommen werde, sagte Niessl vergangene Woche in einem „Standard“-Interview: „Aus meiner Sicht bringt die dauerhafte Ausgrenzung nichts.“

Wobei der Herr Ex-Lehrer etwas mangelhaft rechnet:

➡ In Tirol erreichten SPÖ und FPÖ zuletzt gemeinsam gerade 22 Prozent. Da geht sich noch lange keine Koalition aus. ➡ In Vorarlberg ist die FPÖ dreimal so stark wie die SPÖ (Wahlergebnis 2014: acht Prozent), die Sozialdemokraten könnten dort bestenfalls als Königsmacher fungieren. Auch in Oberösterreich haben die Freiheitlichen die SPÖ weit überholt. ➡ In Salzburg liegt die SPÖ noch knapp vor der FPÖ, gemeinsam kommt man aber nur auf 40 Prozent. ➡ In Niederösterreich erreichten SPÖ und FPÖ 2013 insgesamt 29 Prozent. Sollte Erwin Pröll 2018 nicht mehr kandidieren und die ÖVP die absolute Mehrheit verlieren, wäre eine Koalition gegen die ÖVP nur mit den Grünen möglich. Und diese würden wohl nicht mitspielen. ➡ Die Kärntner SPÖ koaliert derzeit recht erfolgreich mit ÖVP und Grünen. Warum sollte sie die blaue Skandalpartei in die Regierung holen? ➡ In Wien würde Rot-Blau zur Parteispaltung führen. Zudem ist die Wiener FPÖ wie jene in Oberösterreich mit radikalen Rechten durchsetzt. ➡ In der Steiermark ginge sich Rot-Blau wohl aus. Franz Voves verzichtete im Vorjahr aber sogar auf seinen Landeshauptmannsessel, um eine schwarz-blaue Koalition zu verhindern. Ob sein Nachfolger als SP-Obmann, Michael Schickhofer, das auch so sieht, ist abzuwarten.

Bleibt die Bundesebene.

Vergangene Woche tagte erstmals jene SPÖ-interne Arbeitsgruppe, die einen Katalog mit Kriterien aufstellen soll, welche ein Koalitionspartner FPÖ erfüllen müsste. Angesichts der Komposition der Gruppe dürfte die Latte hoch gelegt werden. Ihr Vorsitzender Peter Kaiser leidet als Kärntner Landeshauptmann am schweren Erbe der FPÖ; Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler zeigte noch nie viel Sympathie für die Freiheitlichen, detto die Frauenvorsitzende Gabriele Heinisch-Hosek. Völlig außer Zweifel steht die Haltung von Kommissionsmitglied Rudolf Edlinger. Der Ex-Finanzminister, von der Wiener SPÖ in das Gremium entsandt, ist sicher für kein Papier zu haben, das den Freiheitlichen eine goldene Brücke in die Regierung schlägt: Er ist seit vielen Jahren Präsident des von der FPÖ wütend bekämpften Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes. In der ersten Nationalratssitzung nach der Bildung der schwarz-blauen Koalition war er im Februar 2000 unter wütenden Protesten der FPÖ-Abgeordneten mit blauen Schweinchen auf der Krawatte ans Rednerpult getreten.

Experten schüttelten schon damals den Kopf. Das Burgenland ist der mit Abstand sicherste Landstrich Österreichs.

Hans Niessl schickt seinen Klubobmann Robert Hergovich ins Kriteriengremium. Dieser werde sich „burgenländisch“ in die Arbeit des Gremiums einbringen, kündigte Niessl an. Als Parteigeschäftsführer hatte Hergovich 2015 den „Sicherheits-Wahlkampf“ Niessls konzipiert: Der SPÖ gehe es um den „Schutz von Leib und Leben“, hieß es im Werbematerial.

Experten schüttelten schon damals den Kopf. Das Burgenland ist der mit Abstand sicherste Landstrich Österreichs. Warum macht man den Menschen Angst? Die Zahl der Wohnungseinbrüche sank 2015 um 44 Prozent. Im ganzen Jahr wurden im Land 202 Wohnungstüren geknackt und 78 Kraftfahrzeuge gestohlen – und das während der großen Flüchtlingswelle. Dass die Zahl der Anzeigen leicht stieg, ist auf die größere Zahl geschnappter Schlepper zurückzuführen. Inzwischen hat sich auch diese wieder normalisiert.

Dennoch patrouillieren seit Oktober 24 „Sicherheitspartner“ in gelben Anoraks durch die Dörfer – eine vom Land bezahlte Privatpolizei. Die „Bürgerpolizisten“ waren das Lieblingsprojekt von FPÖ-Obmann Johann Tschürtz; Niessl erfüllte ihm den Wunsch nur zu gern. Formell sind die Amateur-Cops beim Eisenstädter Unternehmen „Wagner Sicherheit“ angestellt, sie gehört einem ehemaligen Kriminalbeamten. Jeweils drei Sicherheitspartner durchstreifen im Drei-Schichten-Dienst Tag und Nacht drei Ortschaften. Dafür gibt es 1300 Euro netto im Monat.

Bisher wurden keine besonderen Vorkommnisse gemeldet. ÖVP und Grüne halten das Projekt ohnehin für Nonsens. ÖVP-Sicherheitssprecher Rudolf Strommer: Im sichersten Bundesland Österreichs brauche man keine „selbst ernannten Sheriffs“.

Hans Niessls ausführender Arm in der Bundespolitik ist seit Jänner 2016 Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Niessl hatte seinen früheren Büroleiter zum Polizeichef befördert. Durch dessen dosiertes Auftreten während der Flüchtlingskrise wurde Werner Faymann auf Doskozil aufmerksam und holte ihn nach Wien. Der „Falter“ begrüßte ihn jubelnd: Dieser Minister könnte der SPÖ „endlich eine moderne Sicherheitspolitik bescheren“, hieß es hoffnungsfroh, Doskozil habe „eine humanistische Meinung, die sich deutlich von jener seines politischen Ziehvaters Hans Niessl unterscheidet“.

Kleine Fehleinschätzung.

Der Burgenländer ließ von Beginn an erkennen, wo er Politik gelernt hat. Unablässig trommelte er seine Dichtmach-Parolen und schwärmte von „50.000 Schüben“, die „das Mindeste“ wären. Der selbst nicht zimperliche Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wurde elegant rechts überholt: 90 Prozent der negativen Asylbescheide würden nicht durch Abschiebungen umgesetzt, klagte Doskozil Mitte Oktober. Da konnte Sobotka die Zahl noch so oft dementieren – Doskozil hatte gepunktet.

Die SPÖ-Burgenland war schon immer ein wenig anders.

Auf seinen Parteivorsitzenden nimmt er überraschend wenig Rücksicht. Während Christian Kern dem Verlangen der ÖVP nach vorzeitiger Inkraftsetzung der Flüchtlingsnotverordnung hinhaltenden Widerstand entgegensetzte, schloss sich Doskozil der Forderung an. Just am Tag vor Kerns erstem Besuch bei Angela Merkel in Berlin beschied Doskozil der deutschen Kanzlerin, ihre „Wir schaffen das“-Politik sei „unverantwortlich“.

Das ist entweder naiv oder böse. Oder beides.

Die SPÖ-Burgenland war schon immer ein wenig anders. 1964 hatten die Sozialdemokraten erstmals die Mehrheit und damit den Sessel des Landeschefs errungen. Geschuldet war dies dem Strukturwandel: Viele Kleinbauern wurden zu Arbeiterpendlern und wählten nicht mehr ÖVP, sondern SPÖ. 1966 kam Theodor Kery an die Macht und übte sie aus wie einer der Adeligen, die dieses Gebiet jahrhundertelang beherrscht hatten. 1982 platzte die Blase, als ein gewisser Josef Cap beim SPÖ-Parteitag drei berühmt gewordene Fragen an Kery stellte, darunter jene nach Kerys Vorliebe für das Schießen mit Maschinenpistolen. Überdies wollte Cap wissen, ob es stimme, dass Kery billigen Strom von der Landesgesellschaft beziehe, obwohl er mehr verdiene als der Bundeskanzler.

Beides stimmte. Kery hatte sogar seine Hauszufahrt bodenbeheizt. Er und andere rote Landesregierungsmitglieder begründeten die Strom-Mezzie mit dem Umstand, dass sie ja im Aufsichtsrat der Stromgesellschaft säßen. In der Folge flogen hässliche Details über exzessiven Suff und unschöne Vorschläge von SPÖ-Landesräten an Bittstellerinnen auf. Mehrere Akteure traten zurück. Kery verlor die folgenden Wahlen.

Mit Rechtsaußen-Politik hatte man im Burgenland allerdings nie Probleme. Kery war selbst SA- und NS-Mitglied gewesen und wurde als „Minderbelasteter“ erst 1947 wieder in den Schuldienst eingestellt. Als Landeshauptmann pflegte er Umgang mit dem ehemaligen NS-Gauleiter Tobias Portschy, der seinen Lebensabend als Obmann des Fremdenverkehrsverbands in Rechnitz verbrachte. Noch schöner verlief die Nachkriegskarriere von Gestapo-Chef Heinrich Kunnert: Er wurde noch unter einem ÖVP-Landeshauptmann Leiter der Kulturabteilung und ging 1967 hochdekoriert in Pension.

Die burgenländische SPÖ macht ihrer Bundespartei heute Probleme der anderen Art. Schon ätzt ÖVP-Generalsekretär Werner Amon: „Bei der SPÖ hat Doskozil exzellente Umfragewerte. Möglicherweise kommt man dort noch auf die Idee, einen anderen Spitzenkandidaten zu nominieren.“

Im ehemaligen Westungarn sei die jahrhundertelange Fürstenherrschaft in den Köpfen immer noch präsent.

In seiner Laudatio bei der Ordensverleihung für die ehemalige Wiener Kulturstadträtin Ursula Pasterk witzelte der Essayist Franz Schuh vergangene Woche über die Sozialdemokraten, „die ja neuerdings einen burgenländischen Flügel haben“. Kulturminister Thomas Drozda saß in der ersten Reihe und lächelte gequält.

Christian Kern bleibe nichts anderes übrig, als gute Miene zu machen, riet vergangene Woche die von Doskozil schwer begeisterte „Krone“: „Der rechte Parteiflügel hat eine derart starke Position, dass sich auch ein Parteivorsitzender möglichst nicht dagegen stellt.“ Um ja keinen Zweifel an seiner Präferenz bei den Präsidentenwahlen aufkommen zu lassen, hat Hans Niessl verfügt, die burgenländische SPÖ dürfe anders als die Bundespartei Alexander Van der Bellen keine organisatorische Unterstützung gewähren. Gleichzeitig attackierte er vergangene Woche dessen Ursprungslager: „Wer, bitte, geht zu den Grünen? Wer in der Flüchtlingspolitik so versagt, hat kein Potenzial nach oben.“

Niessl habe in Partei und Land praktisch allein das Sagen, beobachtet die grüne Klubobfrau Regina Petrik. Im ehemaligen Westungarn sei die jahrhundertelange Fürstenherrschaft in den Köpfen immer noch präsent: „Ein machtbewusster Landeshauptmann kann das ausnützen.“

Tatsächlich wurde der Adel hier, streng genommen, erst unlängst abgeschafft. Das Burgenland war 1922 zu Österreich gekommen, also nach Beschluss des Adelsaufhebungsgesetzes. Während man alle anderen Verfassungsbestimmungen in Kraft setzte, unterließ man das bei jenen über die Abschaffung des Adels, um die Esterházys, Erdödys und Batthyánys nicht zu verschrecken. Dann wurde darauf vergessen. Die Gesetzeslücke wurde erst 2008 repariert.