Hate Speech: Das Patriarchat hetzt mit
Von Iris Bonavida
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Wie misst man Hass im Netz? Die EU-Agentur für Grundrechte, Sitz am Wiener Schwarzenbergplatz, übernahm im Vorjahr einen äußerst unangenehmen, aber notwendigen Job. Ein Forschungsteam stellte eine Liste mit Begriffen zusammen, die Hass, Beschimpfungen und Bedrohungen enthalten – „Migratte“ zum Beispiel, eine abwertende Wortkreation, die Migranten mit Tieren gleichsetzen soll. Um herauszufinden, wie oft solche Botschaften verbreitet werden, sammelte das Team ein halbes Jahr lang auf vier Plattformen in vier Ländern mehr als 340.000 Postings. Dann wertete es eine Auswahl mit technischer Unterstützung aus. Die Analyse zeigte ein deutliches Bild.
Auf allen Plattformen – Reddit, YouTube, Telegram und dem Twitter-Nachfolger X – und in allen Ländern – Bulgarien, Deutschland, Italien und Schweden – waren die Hauptziele des Hasses Frauen. In den Kommentaren wurden Mobbing, Belästigungen, beleidigende Sprache und Aufstachelung zu sexueller Gewalt dokumentiert.
Claudia Wilhelm, Kommunikationswissenschafterin an der Universität Wien, kann das aus ihrer Forschungsarbeit bestätigen. Natürlich werden auch Männer im Internet beschimpft, aber oft anders. „Bei Frauen kommt sehr schnell eine Ebene mit sexistischen und sexualisierenden Beleidigungen dazu.“ Besonders deutlich lasse sich das bei Menschen in exponierten Positionen beobachten. Frauen in der Wissenschaft, in der Politik und im Journalismus müssen sich oft andere Beschimpfungen als ihre Kollegen anhören.
In vielen digitalen Räumen hat sich eine männliche Dominanz etabliert
Der Sexismus macht übrigens auch nicht vor Hassposterinnen halt. Auch Frauen können Täterinnen von Hass im Netz sein, und selbst ihre Kommentare werden anders bewertet als männliche Hetzer. „In einer Studie konnten wir zeigen, dass Hassbotschaften von Frauen negativer bewertet und eher gemeldet werden. Die Gegenrede stößt auf weniger Akzeptanz, als wäre sie von einem Mann geschrieben worden.“ Hasspostings werden als männliches Verhalten angesehen und dann auch eher akzeptiert. „Das ist ein Grund dafür, sich weniger zu beteiligen – weil es sozial nicht erwünscht ist.“
Werden Frauen beschimpft, schrecken sie aus der Debatte oft zurück. „Wer Hass erlebt hat, antizipiert, dass er oder sie beim nächsten Mal wieder Beschimpfungen erfährt, und schränkt die Partizipation ein.“ So entsteht ein Teufelskreis, analysiert Wilhelm: „In vielen digitalen Räumen hat sich eine männliche Dominanz etabliert. Solange die Beteiligung daran nicht heterogen zusammengesetzt ist, bleibt es schwierig.“ Ein Weg wäre, diese Räume für die Beteiligung anderer Gruppen zu öffnen und ihre Teilnahme zu fördern. Die EU-Agentur für Grundrechte fordert zum Beispiel in ihrer Studie, dass Plattformen bei der Moderation und Überwachung ihrer Inhalte besonders auf Hass aufgrund des Geschlechts oder einer ethnischen Zugehörigkeit achten.
Menschen hetzen auch, weil es leicht geht
Und was bringt Menschen dazu, ihren Hass ungefiltert ins Internet zu schreiben? Vereinfacht gesagt, dass es so leicht ist. Am Handy oder Computer ist die Hemmschwelle besonders gering, und der Kommentar ist schnell abgesetzt. „Man ist nicht mit der direkten Reaktion des Gegenübers konfrontiert, man sagt die Botschaft nicht von Angesicht zu Angesicht. Das ist ein gewisser Enthemmungsfaktor“, sagt Wilhelm. Je größer die Akzeptanz dieser Beleidigung, desto weiter die Verbreitung und desto leichter fällt es auch den Menschen. Wenn schon 100 Menschen zuvor geschimpft haben, fällt der 100. Kommentar leichter. Unproblematisch wird er dadurch aber nicht.
Schon jetzt gibt es zumindest einige Wege, sich selbst und andere Opfer zu verteidigen: Wenn Hetze und Beleidigung eindeutig sind, können sie bei der Plattform gemeldet werden. Oder im Ernstfall mit einem Screenshot zur Beweissicherung bei der Polizei angezeigt werden. 2022 wurden fast 5900 sogenannte vorurteilsmotivierte Straftaten dokumentiert.
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.