Heinz-Christian Strache: Polit-Profi mit Hang zur Selbstbeschädigung
Ein populäres Bonmot aus den 1960er-Jahren, das wahlweise Woody Allen, Henry Kissinger oder auch Sigmund Freud zugeschrieben wird, lautet so: "Dass du paranoid bist, heißt nicht, dass sie nicht hinter dir her sind." Nie bewies der Spruch seine Gültigkeit anschaulicher als in der Ibiza-Affäre um Heinz-Christian Strache. Der Ex-Vizekanzler und Ex-FPÖ-Obmann fühlte sich zeit seines politischen Lebens von Gegnern verfolgt. Als Freiheitlicher werde man 24 Stunden am Tag beobachtet. Mehr als ein Mal erzählte Strache von einer Falle, die ihm vor Jahren am Wiener Flughafen gestellt worden sei. Demnach sollten ihm Drogen ins Gepäck geschmuggelt werden, um ihn dann auffliegen zu lassen. Das Komplott sei vom politischen Gegner ausgegangen. Ein Konfident aus dem Sicherheitsapparat habe ihn jedoch rechtzeitig gewarnt.
Die Ironie ist unfassbar: Im Juli 2017 tappte Strache, der überall einen Hinterhalt witterte, in die älteste und einfachste aller Fallen. Er wollte, wie er selbst zugab, eine "attraktive" Frau beeindrucken.
Blamabel-banales Ende einer bemerkenswerten Karriere
Eine lange politische Karriere ging damit banal und blamabel zu Ende. Nüchtern betrachtet – unter Ausblendung seiner rechtsextremen Zumutungen (siehe aktuelle Ausgabe) – war Strache ein bemerkenswerter Politiker. Ein höchstrangiger SPÖ-Politiker drückte es einmal so aus: "Wir machen alle den Fehler, Strache zu unterschätzen. Wer so lange an der Spitze einer Partei steht, ist kein Dolm, sondern muss etwas von Politik verstehen." Die Unterschätzung durch Mitbewerber und Medien irritierte Strache nicht. Sein tiefes Bedürfnis nach Anerkennung wurde im Bierzelt befriedigt, wo er sich bis zur gesundheitlichen Selbstbeschädigung verausgabte.
Im Grunde glückte Strache eine Karriere, wie sonst Sozialdemokraten sie gern für sich reklamieren: vom Sohn einer alleinerziehenden Drogerieverkäuferin zum Vizekanzler der Republik Österreich. Neben der Erkenntnis, dass auch Paranoiker echte Feinde haben können, besteht die zweite Ironie der Ibiza-Affäre darin, dass sie Strache in einer Phase einholte, da er einen Wechsel vollzog: vom Partytiger zum Familienvater, vom Oppositionskrawallmacher zum manierlichen Regierungsmitglied.
Der runde Geburtstag hätte zum Wandel gepasst
Am 12. Juni wird Strache 50 Jahre alt. Der runde Geburtstag hätte zum Wandel gepasst: Da wäre einer endlich reif geworden. Die Hälfte seines Lebens verbrachte Strache in der Politik. In den Medien tauchte sein Name Mitte der 1990er-Jahre erstmals auf. Aus dem Bezirksrat in Wien-Landstraße (1991) wurde ein Gemeinderat im Rathaus (1996) und schließlich der Landesparteiobmann der FPÖ-Wien (2004). Dass Jörg Haider 2005 das BZÖ abspaltete, geht auf Straches Konto, der die FPÖ übernahm und zu Erfolgen in Serie führte. Als Parteiobmann legte er Haiders Sprachduktus, den er jahrelang kopiert hatte, zusehends ab; aus dem Plagiat wurde schließlich ein Original. So wie seinem Vorbild Haider war Strache Eitelkeit nie fremd. In seinem Parteibüro hingen Selbstporträts fast in Lebensgröße an der Wand. Wenn das Hemd zu sehr spannte, trainierte er den Bauch weg. Straches Kleiderschrank voller Markenware muss so groß sein wie seinerzeit jener von Haider. Alle paar Monate griff er zu einem neuen Brillenmodell. Sich selbst stilisierte er zur Marke "HC" hoch. Und er trägt gern kurze Lederhosen – etwas bedenklich für jeden Mann über 25.
Keinem anderen FPÖ-Minister der türkis-blauen Koalition war die Freude über Amt und Würden so deutlich anzusehen wie Strache. Der Vizekanzler genoss seine neue Wichtigkeit. Hatte ihm Bundespräsident Heinz Fischer 2012 das (Abgeordneten nach einer bestimmten Zeit zustehende) Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern verweigert, trug er den Orden heuer beim Opernball in der Regierungsloge stolz um den Hals und ließ sich vergnügt mit Gattin Philippa vom ORF interviewen. Dass den Einladungen eines Vizekanzlers zum Gansl-essen oder in den Biergarten naturgemäß mehr Journalisten Folge leisten als bei einem Oppositionspolitiker, kommentierte er spöttisch. Solche Zusammenkünfte sind durchaus lehrreich; Journalisten sammeln Hintergrundinformationen, die später verwertbar sind und zum besseren Verständnis einer Person beitragen. Allerdings sollte selbst nach ein paar Bier die notwendige Distanz gewahrt werden. Strache zählte nicht zum Typus des gnadenlosen Ranschmeißers. Auch nach 20 Jahren Bekanntschaft brachte er auf Abstand bedachte Journalisten nicht in die Verlegenheit, ihnen das "Du"-Wort anzubieten.
Der Berufspolitiker Strache war ein Profi
Im semi-privaten Umgang zeigen Spitzenpolitiker zwei Verhaltensmuster. Die einen spielen weiter ihre Rolle, die anderen öffnen sich. Strache konnte ein freundlicher, unprätentiöser Gesprächspartner sein, der die Stärken und Schwächen seiner Gegner, aber auch seiner eigenen Parteifreunde präzise analysierte. Wie viele andere Spitzenpolitiker lachte er bei seinen Schmähs selbst am lautesten. Derbe Bruhaha-Witze zu späterer Stunde, wie sie in freiheitlichen und burschenschaftlichen Milieus erwartbar sind, gab es von Strache nie zu hören (zumindest nicht, solange journalistische Zuhörer dabei waren). Zusammengefasst: Der Berufspolitiker Strache war ein Profi.
Das bewahrte ihn nicht davor, sich regelmäßig lächerlich zu machen, ohne es zu merken. Ein Highlight: Im November 2004 forderte er einen Salzburger Arzt zu einem Fechtgang, weil dieser einen Vortrag Straches auf der Festung Hohensalzburg abfällig kommentiert hatte. Ein bizarrer Ehrbegriff und seine Sehnsucht nach Respekt in korporierten Kreisen hatten ihn in diese patscherte Situation gebracht. Das Duell wurde tatsächlich ausgetragen, allerdings mit stumpfen Schlägern, da beide Kontrahenten nur in Mittelschulverbänden korporiert waren. Akademische Burschenschafter nennen diese pennale Form der Mensur despektierlich einen "Biermops".
Der Begriff wird in Straches politisches Vermächtnis eingehen, neben "Paintball", "drei Bier" und – seit vergangener Woche – "Ibiza".
Hochmut kommt vor der Venusfalle
Die dritte Ironie dieser Affäre besteht darin, dass der angebliche Kämpfer für den kleinen Mann an seiner Großmannssucht scheiterte. Als seine Lieblingsfigur gab Strache oft Robin Hood an. Bereits als Kind habe er ihn bewundert. Einmal schrieb er auf Facebook: "Liebe Freunde, die Geschichte von Robin Hood ist auch heute noch so lebendig wie eh und je. Ein Freiheitskämpfer für das Volk und gegen die Mächtigen – wenn so jemand kein Vorbild ist, wer dann?" Robin Hood nahm von den Reichen und Starken und gab den Armen und Schwachen. Auch der FPÖ-Obmann inszenierte sich als Kämpfer für die Rechtlosen ("Rache mit Strache"). Vor allem seine jungen männlichen Fans fanden ihn cool. Er revanchierte sich für ihre Bewunderung mit Umgänglichkeit. Ein Politiker zum Anfassen: Für ein Selfie durfte ihm jeder den Arm um die Schultern legen. Strache wirkte geerdet, lebte aber seinen sozialen Aufstieg. Von Erdberg, wo seine Anhänger wohnen, zog er schon vor Langem in den 1. Bezirk und von dort schließlich in ein Haus am Wiener Stadtrand. Wie der Privatmann Strache seinen gewohnten Lebensstil in Zukunft finanzieren will, ist offen.
Nach 20 Jahren Berichterstattung über den Ex-FPÖ-Chef fällt das Resümee kurz aus. Der erfolgsverwöhnte Heinz-Christian Strache scheiterte nicht ehrenvoll in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, sondern verwerflich an sich selbst.
Hochmut kommt vor der Venusfalle.