Von Holzbänken und Kostümen
Gerichtsverfahren - und hier zuvorderst Strafprozesse - sind zunächst einmal ziemlich ritualisierte Angelegenheiten. Der Weg zur Wahrheitsfindung führt traditionell über ordentlich Symbolik. Der Dresscode der Juristinnen und Juristen, zum Beispiel. Knöchellange schwarze Talare mit farblichen Disktinktionen am Revers, dazu passende Barette – Richter tragen violett, Staatsanwälte hellrot, die Kostümierung ist gesetzlich auf den Zentimeter normiert. Auch Rechtsanwälte haben Talare, aber diese werfen sie eigentlich nur noch bei Geschworenenprozessen um, sonst allenfalls zum Schlussplädoyer. Der Anwaltsstand kennt zwar seinerseits eine Talarpflicht, aber ist die ist aus 1868, also irgendwie verjährt.
Die Sitzordnung, ganz wichtig. Das Gericht ist nicht nur im sprachlichen Sinne das Hohe. Angeklagte müssen traditionell aufsehen, wobei der Höhenunterschied in klassischen Sälen wie dem Großen Schwurgerichtssaal am Wiener Landesgericht für Strafsachen doch beträchtlich ist.
Wie spricht man eine Richterin, einen Richter eigentlich richtig an? Wenn Sie in Österreich Lacher provozieren wollen, probieren Sie es mit „Euer Ehren“. Tatsächlich gibt es dazu keine Norm, mehr eine Usance. Einzelrichterinnen und -richter hören gerne „Herr/Frau Rat“ (ganz unabhängig davon, ob sie Hofräte sind oder nicht), in Schöffen- und Geschworenenverfahren hingegen hat sich „Herr/Frau Vorsitzende/r“ etabliert. Staatsanwälte wiederum werden als solche angesprochen, wobei Achtung: Oberstaatsanwälte legen großen Wert auf ihr „Ober“.
Wussten Sie, dass die Strafprozessordnung bis heute vorsieht, Schöffen und Geschworene „vor Gott geloben und schwören“ zu lassen? „Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe“. Kann man natürlich sagen, muss man aber nicht. Es geht auch per Handschlag.
Ein guter Verteidiger wird seiner Mandantschaft unter anderem empfehlen, vor Gericht einen möglichst manierlichen Eindruck zu hinterlassen. Schlechtes Benehmen kommt ja nie gut, hier steht zuweilen aber doch einiges auf dem Spiel. Daher der Leitsatz: Verurteilt wird niemals die Tat allein – sondern auch und gerade das Auftreten vor Gericht.
Große, medienöffentliche Verfahren haben zunehmend den Charakter von Pressekonferenzen. Wer am Wort ist, spricht nicht mehr nur zu den anderen Verfahrensbeteiligten – sondern auch und vor allem zu den anwesenden Journalisten, die das wiederum in die Welt hinaus tickern. Ein Urteil ist eine Sache, die öffentliche Meinung eine andere.
Gestern, Dienstag, wurde am Wiener Straflandesgericht der Prozess gegen den ehemaligen FPÖ-Chef und -Vizekanzler Heinz-Christian Strache eröffnet. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat Strache gemeinsam mit dem Wiener Privatklinikbetreiber Walter Grubmüller angeklagt. Es geht um vermutete Bestechlichkeit und der Bestechung. Laut der Anklage hatte Grubmüller der FPÖ 2017 10.000 Euro gespendet – umgekehrt soll Strache dafür gesorgt haben, dass die FPÖ einen Initiativantrag im Parlament einbringt, der Grubmüllers Klinik Vorteile gebracht hätte. Aus dem Antrag wurde zwar nichts, Strache soll aber später als Vizekanzler an einer Gesetzesänderung zugunsten der Privatklinik mitgewirkt haben.
Es ist dies der erste Strafprozess, der sich aus den Ermittlungen zum „Ibiza“-Video ergeben hat – weitere könnten folgen.
Zum Auftakt mussten Strache und Grubmüller auf der hölzernen Anklagebank Platz nehmen, die unzweifelhaft nicht auf Komfort ausgelegt ist. Man sitzt darauf wirklich nicht gut. Beide bekannten sich vor Einzelrichterin Claudia Moravec-Loidolt (sehr erfahren) nicht schuldig. Sie bestreiten die Vorwürfe der WKStA vielmehr mit Nachdruck.
Walter Grubmüller (er wird von seinem Bruder Helmut Grubmüller verteidigt) führte eingangs aus, dass er die Spende 2017 allein als Zeichen der Zustimmung zum blauen Wahlprogramm verstanden wissen wollte. Der Vorwurf eines Gesetzeskaufes sei „lächerlich".
Heinz-Christian Strache (Anwalt: Johann Pauer) verteidigte sich damit, dass er mit dem Initiativantrag 2017 seiner Erinnerung nach nichts zu tun hatte. Bei der späteren Gesetzesnovelle habe er lediglich als eine Art Vermittler zu einem Funktionär der Wirtschaftskammer agiert, der den Vorschlag erarbeitet habe (der dann wiederum von den Experten des Gesundheitsministeriums geprüft worden sei).
Der Prozess ist vorerst bis Freitag angesetzt. Mal sehen, ob sich das ausgeht, es sind doch einige Zeugen geladen. Die Chancen stehen obendrein hoch, dass dieses Verfahren nicht im ersten Rechtsgang erledigt wird. Für profil hat Stefan Melichar den ersten Verhandlungstag im Großen Schwurgerichtssaal beobachtet. Er erlebte einen sehr konzentrierten Heinz-Christian Strache, der sich während des Anklagevortrags der WKStA viele Notizen machte. „Hier geht es um mehr als ein paar tausend Euro in einem möglichen Bestechungsfall“, sagt Melichar. „Hier steht auch ein politisches System vor Gericht. Und es geht um die Frage, was das Ibiza-Video strafrechtlich bewirken kann.“
Wir haben den Fall Strache seit 2019 immer wieder ausführlich beleuchtet – und er wird uns wohl noch eine Zeit lang beschäftigen. Wenn Sie mehr wissen wollen – hier geht’s zum E-Paper!
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