Heinz Fischer über die SPÖ: „Es ist eine schwere Krise“
Altbundespräsident Heinz Fischer kritisiert die SPÖ-Mitgliederbefragung und meint, Hans Peter Doskozil müsse sich ändern, wenn er die Partei einen wolle.
Wie schwer ist die Krise in der SPÖ?
Fischer
Es ist eine sehr schwierige Situation. Und eine schwere Krise, wie sie nur selten in der Sozialdemokratie vorkommt. Das knappe Ergebnis der Mitgliederbefragung hat die Situation nicht erleichtert. Und noch nicht die erhoffte Klarheit gebracht.
Woraus besteht die Krise: Dass die Parteivorsitzende attackiert wurde – oder dass es zum Showdown kam?
Fischer
Ich habe großen Respekt vor Pamela Rendi-Wagner. Sie hat sich sehr mutig und korrekt verhalten. Ich sage ihr ein aufrichtiges Wort des Dankes. Die SPÖ ist, glaube ich, eine bessere Regierungspartei als Oppositionspartei. Und ohne jetzt in alten Wunden zu wühlen, aber das Vorgehen des burgenländischen Landeshauptmannes gegen Rendi-Wagner hat mir wehgetan.
Soll er SPÖ-Vorsitzender werden?
Fischer
Das wird der Parteitag entscheiden und es wird wieder eine relativ knappe Entscheidung werden.
Es gab Debatten zwischen zwei Szenarien: Kampfabstimmung am Parteitag oder neuerliche Stichwahl unter Mitgliedern.
Fischer
Kampfabstimmungen um den Parteivorsitz sind manchmal unvermeidbar, wirken aber nicht Harmonie schaffend. Daher kam die SPÖ in eine Situation, in der sie – was die Prozedur betrifft – zwischen Skylla und Charybdis wählen musste. Beide Varianten – nämlich zweite Mitgliederbefragung oder „Kampfabstimmung“ – standen am Ende eines Prozesses, der nie hätte beginnen dürfen.
Die SPÖ ist tief gespalten.
Fischer
Es ist kein Zufall, dass die Sozialdemokratie Einigkeit immer besonders hochhielt, weil der erste Versuch, eine Arbeiterpartei zu gründen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Uneinigkeit gescheitert ist. Und erst Victor Adler hat 1889 die hoffnungslos gespaltene Arbeiterbewegung zu einer Partei vereinigte. Daher gehört es zu den Kernelementen sozialdemokratischen Fühlens und Denkens, dass man die Einheitlichkeit nicht in Frage stellen darf. Im jetzigen Konflikt sehe ich die Gefahr einer Spaltung kaum gegeben, weil der größere Anteil nicht in ideologischen Differenzen liegt, sondern in persönlichen Befindlichkeiten. Das ist traurig, aber leichter heilbar.
Trauen Sie eher Hans Peter Doskozil oder Andreas Babler die Heilung zu?
Fischer
Beide müssen es zusammenbringen, daran werden sie gemessen.
Viele Parteigranden, fast alle ehemaligen SPÖ-Kanzler, haben sich hinter Rendi-Wagner gestellt. Dennoch wurde sie nur Dritte. Wie kam das?
Fischer
Ich habe damit gerechnet, dass die Parteivorsitzende eine Mehrheit bekommt. Ich habe das falsch eingeschätzt. Unzufriedenheit zu schaffen ist leichter, als Zufriedenheit und Harmonie herbeizuführen. Wenn sich Unzufriedenheit paart mit Ehrgeiz, dann scheint das beträchtliche Energien freizusetzen.
Eine Entscheidung auf einem gut vorbereiteten Parteitag hätte wahrscheinlich im Ergebnis weniger Probleme bereitet. Man soll Basisdemokratie nicht als ein Wundermittel betrachten.
Was sagt das über den Zustand der Partei, wenn ein Außenseiter wie Andreas Babler Leidenschaft entfacht?
Fischer
Babler ist ja kein Unbekannter in der SPÖ. Ich kenne ihn seit mehr als 15 Jahren, er hat als Bürgermeister die bemerkenswerte Leistung vollbracht, in der Gemeinde mit dem größten Flüchtlingslager Österreichs menschliche Flüchtlingspolitik zu betreiben und mehr als zwei Drittel der Stimmen zu bekommen. Das habe ich immer anerkannt. Aber ich glaube, er hätte noch Zeit gehabt. Und noch ein bisschen Geduld haben können. Er ist aber angetreten, und jetzt werden – so oder so – große Anstrengungen notwendig sein, die Wunden zu heilen.
Doskozil ist überzeugt, dass man mit rechterer Politik Chance gegen die FPÖ hat. Wie sehen Sie das?
Fischer
Man hat die besten Chancen mit den bewährten Grundsätze der SPÖ.
Doskozil war etwa gegen die Aufnahme von Flüchtlingskindern aus Moria. Ist er der richtige?
Fischer
Ich habe keinen Anlass, jemand, der der Regierung als Verteidigungsminister gedient und sich eine solide Position als Landeshauptmann erarbeitet hat, irgendwelche Qualifikationen abzusprechen. Mit seinen Positionen, gerade in der Flüchtlingspolitik, war ich aber nicht immer einverstanden. Wenn er die Partei auf einer breiten Basis führen will, wird auch er lernen und sich verändern müssen.
Die Ausgangslage vor dem Showdown zwischen Doskozil und Babler erinnert an die Kampfabstimmung um den Parteivorsitz im Jahr 1967. Wien und weite Teile der Gewerkschaft standen hinter Ex-Innenminister Hans Czettel, Ex-Außenminister Bruno Kreisky war der Kandidat mehrerer Bundesländer.
Fischer
Es gab damals auch in Wien überzeugte Kreisky-Anhänger und in anderen Bundesländern Leute, die für den Hans Czettel gestimmt haben. Der Erfolg von Bruno Kreisky war nicht irgendein beiläufiges Ergebnis. Er hat sich pointiert seine Position erkämpft und dann großartige Arbeit geleistet.
Damals brauchte es keine Mitgliederbefragung. War sie jetzt ein Fehler?
Fischer
Ich will den Jungen, die begeistert sind über Basisdemokratie, nicht ihre Ideale von einer besseren Demokratie wegnehmen. Aber wenn Sie mich fragen: Eine Entscheidung irgendwann im Frühjahr auf einem gut vorbereiteten Parteitag hätte wahrscheinlich im Ergebnis weniger Probleme bereitet als das, was sich jetzt entwickelt hat. Man soll Basisdemokratie nicht als ein Wundermittel betrachten.
Aber vielleicht muss die SPÖ offener werden, weil neue Konkurrenz droht. Wie gefährlich könnte eine Kommunistische Partei der SPÖ auf Bundesebene werden?
Fischer
Ich glaube, dass eine politische Bewegung mit dem Namen „Kommunistische Partei Österreichs“ bei Nationalratswahlen keine entscheidende Rolle spielen wird. Anders ist es, wenn man sich überlegt, wie groß das Potenzial wäre für eine neue Linkspartei. Dafür muss sich die SPÖ nach dem Parteitag mit einer klaren Politik rüsten. In Österreich hatten die Kommunisten im Unterschied zu anderen Ländern bisher keine Chance, weil die SPÖ links genug war, um ihr keinen Platz zu lassen und breit genug, dass viele Menschen ein Stück des Weges mit ihr gehen konnten. Daran muss gearbeitet werden.
Ich sag Ihnen ehrlich, ich habe mich über Christian Kern intensiv gewundert.
Der Streit zwischen links und rechts entzündet sich oft an der Zuwanderungsfrage. Warum tut sich die SPÖ damit so schwer?
Fischer
Weil es um ein Menschenrecht geht, das nicht populär ist. Alle Menschen sind gleich an Rechten und Würde geboren, egal welcher Hautfarbe, Kultur, Sprache, heißt es in Artikel I der UN-Menschenrechte. Und das Recht auf Asyl gehört dazu. Und diesen Grundsatz durchzusetzen erfordert viel Kraft und Mut zu Unpopulärem. Ein neu gewählter Parteivorsitzender kann, etwas zugespitzt, vor der Frage stehen: Was ist wichtiger, ein gutes Wahlresultat oder ein gutes Gewissen gegenüber den Prinzipien der Menschenrechte?
Und, was ist für die SPÖ wichtiger?
Fischer
Im Prinzip sind Menschenrechte unveräußerlich. Nach der reinen Lehre müsste die SPÖ sagen: Die Einhaltung aller Menschenrechte ist mir wichtiger als ein Wahlresultat. Aber das Gegenargument ist: Damit stärkt man nur die rechten Parteien. Daher muss man da Kompromisse machen. Dafür braucht man viel Glaubwürdigkeit und Klugheit.
Wer hat diese Eigenschaften?
Fischer
Ich verteile vor dem Parteitag jetzt keine Punkte an Kandidaten.
Vielleicht verteilen Sie Punkte an einen Ehemaligen. Wie großen Anteil am Dilemma hat Christian Kern mit seinem überhasteten Abgang von der Parteispitze?
Fischer
Ich sag Ihnen ehrlich, ich habe mich damals intensiv gewundert.
Das war für Ihre Verhältnisse ein Wutausbruch.
Fischer
Ich bin eben ein friedlicher Mensch.
Sie haben seinerzeit Johanna Dohnal erlebt, die für Frauenrechte kämpfte, auf Parteitagen aber regelmäßig abgestraft wurde. Ist die SPÖ eine Macho-Partei?
Fischer
Dohnal hat viel ausgehalten, weil sie beseelt war vom Kampf für Gleichberechtigung, und auch viel erreicht. Ich glaube nicht, dass man heute sagen kann, die SPÖ ist eine Macho-Partei. Aber: Nach meiner Einschätzung hätte es ein Mann mit den gleichen Qualitäten wie Rendi-Wagner leichter gehabt. Und so manchen Fehler, den sie vielleicht gemacht hat, hätte man einem Mann weniger vorgehalten. In so einer schwierigen Phase, in der Rendi-Wagner die Partei führte, hatte es eine Frau sicher schwerer als ein Mann.
Hätte sie auch eine Chance gehabt, bei der nächsten Wahl FPÖ-Chef Herbert Kickl in Schach zu halten?
Fischer
Eine Chance hätte sie auf jeden Fall gehabt. Zum Beispiel durch eine Regierung auf breiter Basis ohne FPÖ.
Haben Sie mitgefiebert bei der Mitgliederbefragung?
Fischer
Natürlich hat mich das sehr beschäftigt. Ich habe aber auch intensiv versucht durchzudenken, welche Konsequenzen und Enttäuschungen daraus folgen könnten. Und ich bin zum Schluss gekommen: Wir haben uns auf sehr schwieriges Terrain begeben. Aber jede Krise eröffnet auch Chancen.