Therapiestunde Teil 2

Herr Politycki, wie erzählt man in der Politik eine Geschichte richtig?

In der Serie „Therapiestunde“ befragt profil Menschen nach den Lehren, die sie der Politik mitgeben können. Teil 2: Der Schriftsteller und Reiseautor Matthias Politycki über linke Märchenerzähler, rechte Pöbler und die Demokratie als eine der besten Geschichten der Menschheit.

Drucken

Schriftgröße

Herr Politycki, was kann die Politik von Ihnen als Erzähler lernen?
Politycki
Seit einigen Jahren bemühen Politiker gern den Begriff des „Narrativs“, sobald sie dem Bürger etwas schmackhaft machen wollen. Anstatt Inhalte in ihrer Kompliziertheit zu vermitteln, wird suggeriert, man müsse nur die passenden Geschichten dazu „erzählen“. Das erkennt man bereits an sprechenden Schlüsselvokabeln, die die Sache eingängig „framen“. So werden zum Beispiel in Deutschland neu erlassene Gesetze auf eine Weise benannt, die bereits eine Zustimmung enthält, etwa das „Gute-Kindergarten-Gesetz“ oder „Demokratiefördergesetz“. Wer wollte da noch genauer nachfragen oder gar widersprechen?
Die Politik interessiert im Grunde nicht, was eine Erzählung ist?
Politycki
Wenn uns die Politik tatsächlich eine Erzählung bieten wollte, müsste sie bei den Stoffen, den Protagonisten und der Wortwahl deutlich nachbessern. Derzeit bemüht sie die immer gleichen Schlüsselbegriffe und Botschaften; ihre Protagonisten sind in der Regel blass und austauschbar; die Geschichten, die sie uns erzählen, stimmen mit unserer Alltagswirklichkeit nicht mehr überein oder stellen sie aus erzieherischen Gründen aus einer sehr spezifischen Erzählerperspektive dar.
Dabei wäre es ganz einfach: Anfang, Mitte und Schluss.
Politycki
Der erste deutsche Bundeskanzler, an den ich mich erinnere, war Willy Brandt. Durch seine Regierungsjahre zog sich tatsächlich eine Erzählung – wie später auch durch die von Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Die drei Erzählungen heißen „Aussöhnung“, „Wehrhaftigkeit“ und „Wiedervereinigung“. An ihnen wurde über Jahre gearbeitet, jede hatte eine Handlungslinie, die vom ersten Satz an auf den anvisierten Schluss zustrebte. Die Politik erzählte nicht so sehr Geschichten, sie schrieb Geschichten und Geschichte weit jenseits bloßer Narrative.
Was lauert unter der glatten Oberfläche der viel zitierten Narrative?
Politycki
Ein rasender Verfall von Bildung und Sprachkompetenz, der Überdruss am Denken in Antithesen und damit auch am Bemühen um Synthesen – zunächst, indem man Entscheidungen jeder weiteren Diskussion als „alternativlos“ entzog. Inzwischen wird offen ausgesprochen, dass blankes Durchsetzen eigener Positionen überfällig sei, ohne sich erst lang mit Pro und Kontra aufzuhalten. Heute zählt nicht Intellektualität, sondern eine möglichst eindeutige Haltung. Argumente werden ersetzt durch Pauschalmoralismus, Einwände gegen das eigene Narrativ bügeln wir interessanterweise mit dem Hinweis ab, man sitze da schlichtweg einem falschen – rechten oder linken – Narrativ auf. Um die Komplexität einer demokratischen Gesprächskultur wiederzuerlangen, müssten wir erst mal wieder lernen, in Nebensätzen zu denken.

In der  Serie „Therapiestunde“ befragt profil Menschen nach den Lehren, die sie der Politik mitgeben können. 

Wolfgang Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.