Herr Stocker, Frau Voglauer: Was würden Sie an Ihrem Koalitionspartner gerne ändern?
Von Iris Bonavida und Eva Linsinger
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Wenn Sie sich eine Maßnahme von Ihrem Gegenüber wünschen dürften, die sofort umgesetzt wird, welche wäre es?
Stocker
Wenn es nur eine Sache sein dürfte, dann wäre es das Arbeitsmarktpaket, wie wir es im Dezember 2022 vorgeschlagen haben: mit degressivem Arbeitslosengeld, mehr Steuerbegünstigungen für Überstunden und finanziellen Erleichterungen für Weiterarbeiten nach dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter.
Erfüllen die Grünen den Wunsch?
Voglauer
Uns geht es natürlich auch darum, Armut im Alter zu bekämpfen. Die Koalition hat schon oft Einigungen geschafft. Aber bei diesem Arbeitsmarktpaket haben wir andere Vorstellungen. Hier müsste sich die ÖVP bewegen.
Stocker
Standort bestimmt Standpunkt. Für uns ist wichtig, dass jene, die am Arbeitsmarkt mehr leisten, auch mehr davon haben.
Frau Voglauer, was wäre Ihr Wunsch an die ÖVP?
Voglauer
Ein umfangreiches Klimaschutzgesetz. Es gibt den Ländern und der Industrie Planungssicherheit und Zielvorgaben.
Stocker
Ich muss da die gleiche Antwort geben wie die Kollegin: Wir sind in Verhandlungen.
Und wenn Sie etwas am Koalitionspartner ändern könnten, was wäre es?
Stocker
Wie viel darf ich ändern?
Voglauer
Oh, so viel willst du ändern?
Stocker
Nur um zu wissen, ob ich nur eine Sache sagen darf!
Eine Sache bitte.
Stocker
Ich würde mir wünschen, dass bei Problemlösungen nicht die Ideologie an erste Stelle gesetzt wird, sondern die Lösungen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Stocker
Aktuell zum Beispiel das unaussprechliche FlexKapG-Gesetz in weiblicher Form. Wir halten die weibliche Form ideologisch nicht für notwendig, der Inhalt ist aber wichtig für Start-ups. Daher stimmen wir zu.
Voglauer
Ich finde diese Gelassenheit durchaus lobenswert bei dem Thema Gendern. Wenn ich etwas verändern könnte, wäre es dieser reflexartige Aufschrei: Oh Gott, schon wieder die Grünen! Mehr Gelassenheit bei Forderungen der Grünen wäre schön, zum Beispiel im Landwirtschaftsbereich. Da geht es aber mehr um die Gemeinde- und Landesebene.
Die Grünen würden auch gerne den Nationalratspräsidenten ändern und wollen den Rücktritt von Wolfgang Sobotka. Die ÖVP sieht dafür keinen Grund.
Voglauer
Wir trennen zwischen Regierungsarbeit und Parlamentarismus. Sobotka ist kein Präsident, der von der Koalition bestellt wurde. Aber er hat das zweithöchste Amt der Republik inne. Wir Grüne haben klar kommuniziert, wie wir an seiner Stelle agieren würden.
Stocker
Ein Vorwurf ist schnell erhoben. Man muss ihn aber als erwiesen sehen, bevor man daran Konsequenzen knüpft. Das Ansehen eines Amtes wird auch dadurch beschädigt, wenn unberechtigte Vorwürfe erhoben werden. Wir haben in der Vergangenheit viele Rücktritte erlebt – bei Gernot Blümel etwa wurden alle Ermittlungen eingestellt. Auch bei Sobotka können sich alle Vorwürfe auflösen. Es ist nur mehr eine Anzeige offen.
Ich halte fest, dass es gelungen ist, in den letzten vier Jahren kein einziges Asylgesetz zu verschärfen – als erste Regierung seit SPÖ-Innenminister Caspar Einem.
Frau Kollegin, bring mich jetzt nicht auf Ideen!
Voglauer
Es gibt zwei Seiten der Medaille: Wir sehen, dass eine unabhängige Justiz in Ruhe arbeitet und Dinge aufklärt. Durch diese Aufklärung müssen Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, einiges aushalten. Aber wenn wir über Ämter reden: Wir müssen Demut vor dem Amt haben. Und uns immer wieder die Frage stellen: Wie bewege ich mich, dass jeder Anschein von Korruption verunmöglicht wird?
Und der Anschein entsteht durch Ermittlungen?
Voglauer
Letztendlich geht es um die Frage, wie man mit Vorwürfen und der Aufnahme von Ermittlungen umgeht. Da müssen wir noch viel lernen. Es gibt auch die Möglichkeit, sich einfach einmal zu entschuldigen.
Stocker
Bei Ermittlungsverfahren ist nichts bewiesen, es handelt sich um eine Verdachtslage. Darum sind sie eigentlich nicht öffentlich. Wir reden viel von Persönlichkeitsrechten, bis zu dem Moment, wo der Zweck die Mittel zu heiligen scheint.
Voglauer
Es ist aber schon so, dass Politikerinnen und Politiker eine Vorbildwirkung und moralische Ansprüche zu erfüllen haben. Menschen sollten sich durch politischen Diskurs nicht abwenden, das ist aber in den vergangenen Jahren passiert. Wir haben kein gutes Bild abgegeben.
Stocker
Dann sollten wir aber auch ein Vorbild sein in der Art, wie wir miteinander umgehen. Und nicht ständig Beschuldigungen erheben.
Sie sind sich einig, dass es in der Justiz eine unabhängige Weisungsspitze geben soll. Es spießt sich an Details. Vergeben ÖVP und Grüne die einmalige Chance, die Justiz zu entpolitisieren?
Voglauer
Wir sehen gerade, wie bedeutend diese Spitze wäre. Wir stellen uns einen Dreiersenat vor, der unabhängig von der Politik agiert. Wir haben eine klare Trennung von Legislative und Judikative. Deswegen soll es keine begleitende Kontrolle geben, sondern erst im Nachhinein.
Stocker
Wir sind uns im Ziel einig. Ob die Chance einmalig ist? Es gibt immer eine Chance.
Wer weiß, wer in der nächsten Regierung ist.
Stocker
Ja, wer weiß! Wir haben eben Auffassungsunterschiede: Wir als ÖVP glauben, dass eine einzige Person für Weisungen zuständig sein sollte. Ihre Bestellung, Abberufung und Kontrolle sollte durch das Parlament erfolgen. Aber es ist schon ein Fortschritt, dass sich alle einig sind, dass es eine unabhängige Führungsspitze neben dem Justizminister geben soll.
Aber kommt es noch in der Legislaturperiode?
Stocker
Wir verhandeln. In dem Moment, wo die Einigung da ist, kommt es.
Wir wollen ein paar Sachbereiche durchgehen. Immer mehr europäische Länder wollen Asylverfahren in Drittstaaten auslagern. Innenminister Gerhard Karner ist dafür, umgesetzt ist es aber nicht. Weil sich die Koalition nicht einig ist?
Stocker
Weil es einen Drittstaat braucht und wir es rechtskonform machen wollen. Aber ja, wir halten das für einen guten Weg.
Mit wir meinen Sie vermutlich nicht die Regierung.
Stocker
Nein, die Volkspartei.
Voglauer
Ich halte fest, dass es gelungen ist, in den letzten vier Jahren kein einziges Asylgesetz zu verschärfen – als erste Regierung seit SPÖ-Innenminister Caspar Einem.
Stocker
Frau Kollegin, bring mich jetzt nicht auf Ideen!
Voglauer
Europaweit muss es natürlich zu neuen Regelungen kommen, vor allem an den EU-Außengrenzen. Es kann nicht sein, dass wir Asylantragszahlen im 10.000er-Bereich haben und manche Nachbarstaaten im einstelligen Bereich. Der Innenminister verhandelt auf europäischer Ebene. Vieles ist auch in seinem eigenen Wirkungsbereich. Wir Grüne haben uns aber noch nicht festgelegt, ob Asylverfahren in Drittstaaten das richtige Modell sind.
Zuletzt hat sich die Regierung auf den Ausbau der Kinderbetreuung geeinigt. Aber Österreich ist Nachzügler, und es dauert, bis das Geld ankommen wird.
Stocker
Das Geld wird in den nächsten Jahren ausgeschüttet. 4,5 Milliarden Euro sind ein Quantensprung. Vor allem, und das sage ich als Kommunalpolitiker, der zehn Jahre in Wiener Neustadt für Kindergärten zuständig war, weil wir erstmals auf Dauer die Personalkosten finanzieren. Damit werden wir die Betreuungsquoten erhöhen – und alle können sich Fortschritte am Dashboard ansehen.
Voglauer
Dieses Monitoring wird für Tempo sorgen. Auch ich war in der Kommunalpolitik. Es ist wichtig, transparent zu machen, wo die eigene Gemeinde liegt und wie oft die Kindergärten geschlossen sind. Das bedeutet Wettbewerb. Die Finanzierung ist gesichert, Ausreden für den Ausbau gibt es keine mehr.
Stocker
Den Wettbewerb der Gemeinden sehe ich weniger. Am wichtigsten ist: Der Ausbau der Kinderbetreuung erhöht die Wahlfreiheit für Familien und vor allem für Frauen.
Voglauer
Du hast es Quantensprung genannt, ich nenne es Paradigmenwechsel. Eltern können im Dashboard den Status der Kindergärten im Ort anschauen und auch so entscheiden, wo sie sich niederlassen.
Der Verfassungsgerichtshof hat die ORF-Gremien wegen zu großem Polit-Einfluss für verfassungswidrig erklärt. Reformieren Sie Stiftungs- und Publikumsrat noch?
Voglauer
Wir würden das gerne noch in dieser Legislaturperiode reparieren.
Die letzten beiden U-Ausschüsse haben schon sehr viel Porzellan zerschlagen. Ich bin nicht sicher, wie viel Porzellan noch übrig ist.
Die U-Ausschüsse sind medial überbewertet.
Stocker
Aufgrund der Frist bis März 2025 gibt es keinen Zeitdruck. Ich bin schon länger in der Politik, der Politeinfluss im ORF ist seit den 1960er-Jahren Thema. Wir werden eine Lösung finden, die sicherstellt, dass es im ORF unabhängige Berichterstattung gibt – und auch objektive. Ich habe den Eindruck, dass es bei Objektivität und bei der Ausgewogenheit Luft nach oben gibt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Stocker
Ich richte das dem ORF nicht über ein Interview aus.
Voglauer
Die Grünen waren immer für die Entpolitisierung der ORF-Gremien. Wir würden die Reform gerne noch beschließen. Gerade in Zeiten von Fake News ist ein starker ORF wichtig.
Stocker
Aufgrund der Frist des VfGH bis März 2025 gibt es keinen Zeitdruck.
Beim Informationsfreiheitsgesetz und der Abschaffung des Amtsgeheimnisses sind Sie sich einig, Sie brauchen aber eine Zweidrittelmehrheit. Die SPÖ verlangt Nachverhandlungen. Wie geht das weiter?
Stocker
Hier sieht man, dass wir uns als Regierung in Bereichen finden, wo man es uns gar nicht zugetraut hätte. Es hat gedauert, aber die Infofreiheit ist da. Ausgerechnet die SPÖ, die immer das Infofreiheitsgesetz urgiert hat, macht auf einmal Bedenken geltend. Offenbar hat die SPÖ gehofft, dass wir uns nicht einigen.
Voglauer
Ich hoffe sehr, dass die Infofreiheit beschlossen wird – wie will die SPÖ erklären, dass sie Amtsgeheimnis und Amtsschimmel nicht abschaffen will? Die Infofreiheit bedeutet neue Transparenz im Alltag: Bei Umwidmungen, Bauprojekten, überall bekommen Bürgerinnen und Bürger Auskünfte.
Stocker
Das wird die SPÖ nicht verhindern wollen.
Nach der Wahl wird es eine andere Koalition geben. Wie beeinflusst das den Regierungsalltag?
Stocker
Man weiß nie, welche Regierung sich nach der nächsten Wahl findet. Wir legen uns nur in einem Punkt fest: Die ÖVP wird in keine Koalition gehen, der Herbert Kickl als Regierungsmitglied angehört. Wir kennen Kickl, er hat Regierungsverantwortung getragen und ist der Verantwortung nicht gerecht geworden. Er war und ist für die Sicherheit des Landes ein Risiko.
Voglauer
Für uns ist eine Koalition auch mit der FPÖ als Partei ausgeschlossen. Ich komme aus Kärnten, dort zahlen wir bis heute dafür, was uns die FPÖ eingebrockt hat. Die FPÖ bildet sich in Afghanistan weiter, will Landesrätinnen „herprügeln“ – all das lehnen wir zutiefst ab.
Vor der Wahl gibt es zwei Untersuchungsausschüsse. Wie viel Porzellan wird da zerschlagen?
Stocker
Die letzten beiden U-Ausschüsse haben schon sehr viel Porzellan zerschlagen. Ich bin nicht sicher, wie viel Porzellan noch übrig ist.
Voglauer
Die U-Ausschüsse sind medial überbewertet. Wir werden Anfang 2024 das Informationsfreiheitsgesetz und viele andere Themen diskutieren. Die Politik wird nicht nur von den U-Ausschüssen geprägt.
Wäre ein U-Ausschuss zur Signa-Pleite sinnvoll?
Stocker
In der Signa ist kein Bundesgeld. Die Opposition möchte die Vorgänge bei den Corona-Förderungen durchleuchten. Ich hätte auf die U-Ausschüsse gerne verzichtet. Aber es geht auch nicht, den Scheinwerfer nur auf eine Partei – die ÖVP – zu richten. Daher haben wir die Bühne erweitert.
Voglauer
Die Signa ist ein Fall fürs Insolvenzverfahren, nicht für den U-Ausschuss.
Die Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer und Sebastian Kurz standen auf der Payroll von Benko. Wäre eine Cool-off-Phase nach der Politik sinnvoll?
Stocker
Gusenbauer ist in Entscheidungsgremien und stärker involviert als Kurz. Man kann über eine Cool-off-Phase nachdenken. Aber dann muss es eine Überbrückung geben, die Ex-Politiker finanziell absichert. Denn wer soll sonst noch in die Politik gehen? Wir finden in manchen Gemeinden schon jetzt keine Bürgermeister mehr.
Voglauer
Wir sind auch dafür, über Cool-off zu diskutieren. Aber es gilt Erwerbsfreiheit, auch für Politiker. Wer sich bereit erklärt, sich den 24-Stunden-Job Ministeramt anzutun, darf danach nicht mit Berufsverbot bestraft werden.
Stocker
Wenn wir eine Cool-off-Phase einziehen, stellt sich die Frage der Dauer: Ein paar Monate werden nicht viel verhindern – ein paar Jahre sind aber nicht zumutbar. Klar ist: Beim Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft ist manchmal die Optik nicht gut. Eine Abkühlphase könnte das verhindern.
Voglauer
Sie darf jedenfalls nicht zu lange dauern.
Sigrid Maurer und August Wöginger telefonieren bis zu zehn Mal täglich miteinander. Wie ist das bei Ihnen?
Stocker
So häufig telefonieren wir nicht, das ist auch nicht notwendig.
Voglauer
Maurer und Wöginger haben eine dienende Rolle für die Koalition, wir dienen unseren Parteien.
Fotos: Wolfgang Paterno
Iris Bonavida
ist seit September 2022 als Innenpolitik-Redakteurin bei profil. Davor war sie bei der Tageszeitung "Die Presse" tätig.
Eva Linsinger
Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin