Internationaler Frauentag: Heute ist kein Tag zum Feiern
Guten Morgen!
Vor 110 Jahren fand er zum ersten Mal statt – der internationale Weltfrauentag. 20.000 Frauen demonstrierten auf dem Ring in Wien, damals noch die Hauptstadt eines Kaiserreiches, in dem Wählen Männersache war. 110 Jahre später hat sich vieles verändert. Ein Tag zum Feiern ist der 8. März aber bis heute nicht.
Frauen verdienen immer noch weniger als Männer und das, obwohl sie häufiger in systemrelevanten Jobs arbeiten: In der Kinderbetreuung, Altenpflege, als Reinigungskraft oder im Supermarkt an der Kassa. Es hat eine Corona-Pandemie gebraucht, um diese Jobs sichtbar zu machen – und wie unterbezahlt und prekär sie sind.
Noch immer sind 91 Prozent der Bürgermeister Männer. Und raten Sie mal, wie hoch der Frauenanteil in den Vorstandsetagen der ATX-Unternehmen ist? Derzeit stehen wir bei 7 Prozent. Lesen Sie dazu ein Debatten-Interview in unserer aktuellen Ausgabe.
Auch innenpolitisch setzt man in der Krise lieber auf Männer, beobachtet Eva Linsinger in ihrem jüngsten Leitartikel. Darin findet sich ein Satz, über den man lachen könnte, wenn er nicht so ernst wäre: „Die einzige Frau auf der großen Krisenbühne Kanzleramt – das ist die Gebärdendolmetscherin.“
Dass uns Covid-19 in der Gleichstellung zurückgeworfen hat – Stichwort Homeschooling – zeigt nicht nur unsere aktuelle Titelstory von Christa Zöchling, sondern auch ein heute stattfindender profil-Online-Talk. Hier können Sie sich anmelden.
Es reicht aber nicht, mit dem Finger auf Minister und Unternehmer zu zeigen. Auch meine Branche, der Journalismus, sollte sich an der Nase nehmen. Ich persönliche nehme mich da nicht heraus. Zu selten stelle ich mir die Frage: Wie viele meiner Interview-Partner sind Männer? Und: In welcher Rolle kommen Frauen in meinen Texten zu Wort?
So erging es mir auch bei meiner aktuellen Heft-Recherche. Ich sprach mit einer slowenischen Journalistin, die vom rechtskonservativen Politiker Janez Janša als „Prostituierte“ bezeichnet wurde. Janša, mittlerweile Ministerpräsident, steht in der Kritik, die Pressefreiheit in Slowenien massiv zu beschneiden. Insbesondere Frauen werden zur Zielscheibe verbaler Attacken. Weil sie kritisch berichten, bekommen sie anonyme Drohbriefe mit Vergewaltigungsphantasien in ihr Büro.
Auch das ist 2021 eine Realität: Wenn Frauen angegriffen werden, dann häufig, indem man ihnen sexuelle Gewalt androht. Soziale Netzwerke haben das noch verstärkt.
Der 8. März ist kein Tag, an dem ein Strauß roter Rosen alles wett macht. Erst dann, wenn fehlende Gleichberechtigung das ganze Jahr über eine Bühne bekommt, können wir sie beseitigen. Erst dann ist der 8. März ein Tag zum Feiern.
Eine schöne Woche wünscht
Franziska Tschinderle
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